COVID-19: Der Gesetzgeber entscheidet zu Gunsten der Gewerbemieter/Pächter und beschließt gesetzliche Vermutung
Die Pandemie hält die Welt weiter in Atem. Hohe Infektionszahlen, landesweite Ladenschließungen – der zweite Lockdown trifft uns alle. Jetzt versucht der Gesetzgeber, die Auswirkungen für gewerbliche Mieter durch Verweis auf die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage neu zu regeln.
Unter dem neuerlichen Lockdown haben im Besonderen Gewerbemieter und Pächter zu leiden. Viele sehen wegen der pandemiebedingt erlassenen erneuten und verstärkten Einschränkungen für die Nutzung gewerblicher Mietflächen ihre Existenz gefährdet.
Das weckt Erinnerungen an den ersten Lockdown: Damals sah sich der Gesetzgeber dazu veranlasst, einzugreifen und zur Abhilfe das Vermieterkündigungsmoratorium anzuordnen: Eine mit der Nichtzahlung von Miete für den Zeitraum April bis Juni 2020 begründete Kündigung war (und ist) Vermietern dadurch verwehrt. Mit dieser Maßnahme wollte man den Mietern etwas Luft verschaffen.
Diese Luft dürfte bei vielen gewerblichen Mietern jedoch spätestens mit dem zweiten Lockdown aufgebraucht sein. Gleichwohl hat der Gesetzgeber von einer Verlängerung der Kündigungsbeschränkungen abgesehen. Die Regierung weiß jedoch um die möglichen Gefahren, scheint sie diesmal jedoch anders – und jedenfalls prima facie zulasten der Vermieter – lösen zu wollen, nämlich mit Auswirkungen auf die Miethöhe.
Am 13.12.2020 hatten sich die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten auf die folgende weitere Maßnahme verständigt:
- „15. Für Gewerbemiet- und Pachtverhältnisse, die von staatlichen COVID-19 Maßnahmen betroffen sind, wird gesetzlich vermutet, dass erhebliche (Nutzungs-)Beschränkungen in Folge der COVID-19-Pandemie eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage darstellen können. Damit werden Verhandlungen zwischen Gewerbemietern bzw. Pächtern und Eigentümern vereinfacht.“
Umgesetzt wurde dieser politische Programmsatz sodann durch Änderungen im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB), die am 31.12.2020 in Kraft getreten sind:
- Artikel 240 § 7 EGBGB Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen
(1) Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.
(2) Absatz 1 ist auf Pachtverträge entsprechend anzuwenden.
Die Regelung gilt zeitlich befristet, nämlich vom 31.12.2020 bis zum 30.09.2022.
Um damit einhergehende gerichtliche Verfahren zwischen Mieter und Vermieter betreffend mögliche Anpassungen bei der Miethöhe zu beschleunigen, hat der Gesetzgeber zugleich in § 44 EGZPO (Einführungsgesetz zur ZPO) ein prozessuales Beschleunigungsgebot eingeführt. Hiernach sollen Verfahren über die Anpassung der Miete wegen pandemiebedingter staatlicher Beschränkungen vorrangig und beschleunigt behandelt werden. Darüber hinaus soll ein früher erster Termin spätestens einen Monat nach Zustellung der Klageschrift stattfinden.
Ein Lichtblick für Gewerbemieter und Pächter?
Bereits zu Beginn der Corona-Pandemie hatten wir den möglichen Rückgriff auf das Rechtsinstitut des Wegfalls oder der Störung der Geschäftsgrundlage beleuchtet und die einschlägigen Voraussetzungen bzw. die mit einer Anwendbarkeit des Rechtsinstituts einhergehenden Probleme dargestellt.
Das Ergebnis war: Ob ein auf § 313 BGB basierter Anspruch auf Anpassung der Miete besteht, kann nicht allgemein beantwortet werden, sondern bedarf – wie so oft – der Prüfung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls.
Zum Hintergrund: Mit dem im § 313 BGB kodifizierten Rechtsinstitut wird ein Ausgleich zwischen dem Erfüllungsinteresse einerseits und dem Anpassungs- oder sogar Beendigungsinteresse andererseits geregelt. § 313 BGB kann somit als Ausformung des Gedankens von Treu und Glauben ein Werkzeug sein, um bestehende Vertragsverhältnisse im Sinne eines „fairen Ausgleichs“ anzupassen oder gar der Beendigung zuzuführen.
§ 313 BGB – Die drei Elemente
Für eine Anwendung des Rechtsinstituts kommt es entscheidend darauf an, ob – in einem konkreten Einzelfall –
(i) sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben (reales/tatsächliches Element),
(ii) die Parteien, hätten sie den Ausbruch und die Auswirkungen des aktuellen Virus vorausgesehen, eine abweichende vertragliche Regelung getroffen hätten (hypothetisches Element)
und
(iii) einer der Parteien ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist (normatives Element).
Bei der vorzunehmenden Prüfung ist – jedenfalls nach der bisher ganz herrschenden Meinung - stets die ursprünglich von den Parteien des jeweiligen Vertrages oder Rechtsverhältnisses angestrebte Risikoverteilung zu beachten. Bei gewerblichen Mietverträgen trägt nach tradiertem Verständnis der gewerbliche Mieter das Verwendungsrisiko und damit das Wagnis, mit der Mietsache Einnahmen und Gewinne erzielen zu können. Der Vermieter hingegen trägt das Risiko des Fortbestands der Gebrauchstauglichkeit der Mietsache.
Der Gesetzgeber und das erste Element
Mit der neuen pandemiebedingten Regelung schafft der Gesetzgeber (nur) insoweit Klarheit, als das Vorliegen der ersten Voraussetzung vermutet wird. Darüber müssen sich die Parteien (und Gerichte) also in Zukunft nicht mehr streiten. Vermutlich hätte es darüber ohnehin keinen Streit gegeben – wie erste Entscheidungen zeigen.
Die weiteren Voraussetzungen und damit Fragen, bei denen überwiegend Rechtsstreit herrscht, bleiben demgegenüber weiterhin offen.
Überdies stellt sich (weiterhin) insbesondere die Frage, ob das speziellere mietrechtliche Leistungsstörungsrecht (§§ 535 ff. BGB) gegenüber der Anwendung des § 313 BGB Vorrang genießt. Falls nicht, würde dies dem grundsätzlichen Ausnahmecharakter des in § 313 BGB verankerten Rechtsinstitutes zuwiderlaufen.
Tendenzen in der Rechtsprechung vor Einführung von Art. 240 § 7 EGBGB
In einigen ersten Entscheidungen befassten sich die Gerichte mit der Frage eines Minderungsrechts (§ 536 BGB) für Einzelhandelsflächen während des ersten Lockdowns und lehnten dieses ab (Landgerichte Heidelberg - Urteil v. 30.07.2020, 5 O 66/20; Zweibrücken - Urteil v. 11.09.2020, HK O 17/20; Frankfurt a.M.- Urteil v. 02.10.2020, 2-15 O 23/20; Stutt-gart - Urteil v. 19.11.2020, 11 O 215/20). Nach Auffassung der genannten Gerichte bestand die Pflicht zur Mietzahlung – auch der Höhe nach – unverändert fort. Das Vorliegen eines in der staatlich verordneten Schließung der Verkaufsstätten des Einzelhandels liegender Mangel der Mietsache wurde verneint. Die Beschränkungen der konkret vermieteten Sache, so die Grundlinie der Entscheidungen, müssten ihre Ursache gerade in deren Beschaffenheit und Beziehung zur Umwelt haben und nicht in den persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters. Es fehlt also an der Verknüpfung der Corona-Beschränkungen mit der Beschaffenheit der Mietsache; Vermieter handeln vertragsgerecht und erfüllen ihre mietvertraglichen Pflichten, indem sie die Mieträume in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand überlassen – weiter reicht ihre Verpflichtung nicht.
Auch soweit im Rahmen der genannten Verfahren bereits die Anwendung von § 313 BGB erörtert wurde, sah man einen darüber hinausgehenden Anspruch auf Anpassung des Vertrags unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB nur, wenn es aufgrund der Beschränkungen für den Gewerberaummieter zu existentiell bedeutsamen Folgen kommt. Die Frage nach dem nunmehr vom Gesetzgeber aufgegriffenen realen Element - als erste Voraussetzung des § 313 BGB – wurde dagegen nicht wirklich problematisiert.
Abweichend von der von den vorstehend genannten Landgerichten vertretenen Auffassung nahm das Landgericht München I in einem gleich gelagerten Sachverhalt mit Urteil vom 22.09.2020 (Az. 3 O 4495/20) einen Mangel der Mietsache und schließlich - wie auch das Landgericht Mönchengladbach mit Urteil vom 02.11.2020 (Az. 12 O 154/20) - eine Störung der Geschäftsgrundlage an. Den Gewerbemietern wurde ein entsprechendes Minderungsrecht bzw. ein Anspruch auf Vertragsanpassung zugestanden. Nach Auffassung des Landgerichts München I stand dem Mieter das Recht zu, eine Reduzierung der Miete um 80% (Anordnung vollständiger Einstellung des Betriebs), 50% (Beschränkungen im Hinblick auf die verwendbare Ladenfläche) bzw. 15% (allgemeiner Umsatzrückgang wegen Hygienemaßnahmen und Abstandsgebot) zu verlangen.
Nach wie vor: Es kommt auf den Einzelfall an
Unter anderem wegen der erkennbaren Uneinigkeit und der zwar absehbaren, aber derzeit fehlenden höchstrichterlichen Entscheidung, hat sich Ende 2020 der Gesetzgeber mit dem von ihm proklamierten Hauptziel eingeschaltet, durch Gesetzesänderungen die Verhandlungsbereitschaft der Parteien zu befördern und Rückenwind für Verhandlungslösungen zu schaffen.
Ob das gesetzgeberische Ziel ein sinnvolles war, ist allerdings ebenso fraglich wie die Sinnhaftigkeit der Regelung selbst und deren tatsächliche Auswirkungen.
Das Ansinnen des Gesetzgebers ist ehrenhaft – er möchte die Mieter schützen. Zugleich zeigt die Gesetzesbegründung allerdings, dass der Gesetzgeber von einem Bild ausgegangen ist, wie es so nicht immer zutrifft – hier der solvente und potente Vermieter, dort der wirtschaftlich unterlegene Mieter, dem es beizuspringen gilt. Offensichtlich eine etwas einseitige Sichtweise, denn ebenso wie eine Verpflichtung zur Zahlung der Miete bei Verbot der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes erhebliche wirtschaftliche Risiken für den Mieter mit sich bringt, kann ein teilweiser oder vollständiger Ausfall von Mieteinnahmen den Vermieter in Bedrängnis bringen – und nicht immer verfügt der Vermieter gleichsam gottgegeben über eine größere finanzielle Leistungsfähigkeit.
Vor diesem Hintergrund ist – jedenfalls aus Vermietersicht – begrüßenswert, dass sich die Gesetzesänderung nur zum tatsächlichen Element verhält und für eine tatsächliche Anpassung weiter die Umstände des Einzelfalls zu prüfen sind.
Im Ergebnis lässt sich auch unter Geltung der Neuregelung nicht mit Bestimmtheit oder allgemeingültig sagen, ob einem Gewerberaummieter bzw. Pächter tatsächlich ein Anspruch auf Anpassung seiner Mietzahlungspflicht aus § 313 BGB zusteht. Nach wie vor bedarf es einer Einzelfallprüfung, in deren Rahmen unter Berücksichtigung der konkreten Vertragsausgestaltung besonderes Augenmerk auf das hypothetische Element – hätten die Parteien (nicht der Mieter!) einen anderen Vertrag geschlossen? – und die (Un-)Zumutbarkeit für den Mieter (normatives Element) zu legen ist. In diesem Zusammenhang sind sodann insbesondere die folgenden Aspekte zu würdigen:
- Dauer der Beschränkungen
- wirtschaftliche Lage des Unternehmens des Mieters
- Ausmaß der Umsatzeinbußen des Mieters
- Finanzierungskosten des Vermieters
- mögliche Anpassung des Geschäfts(-modells) (bspw. auf Online- oder Auslieferungsservices)
- Höhe, Zeitpunkt und eventuelle Erweiterungen staatlicher Hilfen
- Einsparungen durch Kurzarbeit
- Kündigungsrechte des Mieters in absehbarer Zeit
Generell dürfte im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit bzw. der von den Parteien angestrebten Risikoverteilung zu berücksichtigen sein, ob der Mietvertrag vor oder nach dem Ausbruch der Pandemie bzw. vor oder nach dem ersten Lock-Down abgeschlossen wurde. Handelt es sich um einen nach dem ersten Lock-Down abgeschlossenen Vertrag, der keine (zumindest teilweise) Verlagerung des Verwendungsrisikos des Mietgegenstands auf den Vermieter vorsieht, so dürfte viel dafür sprechen, dass die Parteien in Kenntnis der Pandemie und eines eventuellen weiteren Lock-Downs bewusst nicht von dem bisherigen Verständnis der Risikoverteilung abweichen wollten. Entsprechendes kann aber auch für vor dem ersten Lockdown geschlossene Verträge gelten – es kommt auf den Einzelfall und die Prüfung aller relevanten Elemente an.
Gemeinsame Bewältigung
Auch weiterhin gilt also: Im Ergebnis geben die Umstände des konkreten Einzelfalls und die festgehaltenen Vereinbarungen den Ausschlag. Zwar hat sich die Ausgangssituation für den Mieter nicht verschlechtert, jedoch ist es für beide Parteien weiterhin ratsam, sich zu einer einvernehmlichen, interessenausgleichenden und problemlösenden Vereinbarung zusammenfinden.
Für den Fall, dass keine Einigung erzielt werden kann, ist Mietern angesichts der neuen Regelung jedoch (noch) stärker anzuraten, ihre vermeintlichen Ansprüche auf Anpassung des Mietvertrages gerichtlich durchzusetzen bzw. zumindest die Erfolgsaussichten im Einzelfall sorgfältig prüfen zu lassen.
Für in Zukunft abzuschließende Miet- bzw. Pachtverträge, sollten zudem vorsorglich entsprechende Lücken vertraglich geschlossen werden, um etwaige Rechtsstreitigkeiten, aber auch existenzgefährdende Folgen zu vermeiden.
Es besteht nämlich weiter ein gemeinsames Interesse, die jeweilige andere Partei als Vertragspartner zu erhalten. Das gilt umso mehr in der Pandemie - denn auch sie wird (hoffentlich bald) vorübergehen.