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07.06.2016
Unternehmensrecht

BGH: StromNEV-Umlagemechanismus ohne Rechtsgrundlage

Der BGH hat mit Beschluss vom 12.04.2016 (EnVR 25/13) entschieden, dass die Regelungen des § 19 StromNEV zum Umlagemechanismus nicht nur in der 2011er Fassung, sondern auch in der geltenden Fassung nichtig sind. Jetzt ist der Gesetzgeber gefragt!

Hintergrund der aktuellen Entscheidung

Im Zuge der Energierechtsreform im August 2011 hat der Gesetzgeber die Regelung zu den Sonderformen der Netznutzung in § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV 2011 grundlegend geändert. Letztverbraucher, die an einer Abnahmestelle eine Benutzungsstundenstundenzahl von mindestens 7.000 Stunden und einen Strombezug von über zehn Gigawattstunden (GWh) pro Jahr erreichten, konnten bei der zuständigen Regulierungsbehörde demnach eine vollständige Befreiung von den Netzentgelten beantragen. Neben den Einzelheiten der Tatbestandsvoraussetzungen und dem Geltungszeitraum der Netzentgeltbefreiungen waren auch die Modalitäten der Kostenverteilung umstritten. Die mit der Befreiung einhergehenden Mindererlöse der Netzbetreiber sollten gem. § 19 Abs. 2 S. 6 StromNEV 2011 über einen Umlagemechanismus auf sämtliche Netznutzer umgelegt werden. Die Einzelheiten dieses Umlageverfahrens waren Gegenstand einer Festlegung der Bundesnetzagentur vom 14.12.2011 (BK8-11-024), die mit diversen Beschwerden i.S.d. § 75 EnWG angefochten wurde. Am 06.03.2013 hat das OLG Düsseldorf (VI-3 Kart 43/12 (V) u.a.) entschieden, dass § 19 Abs. 2 StromNEV 2011 nichtig ist, und die auf dieser Grundlage erlassene Festlegung der Bundesnetzagentur aufgehoben. Hiergegen haben im vorliegenden Verfahren sowohl die Bundesnetzagentur als auch der betroffene Übertragungsnetzbetreiber Rechtsbeschwerden erhoben.

Entscheidung des BGH vom 12.04.2016

Nachdem der BGH mit Beschluss vom 06.10.2015 (EnVR 32/13) bereits der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 08.05.2013 (VI-3 Kart 178/12 (V)) gefolgt war und die vollständige Netzentgeltbefreiung als unzulässig bewertet hat, bestätigte er mit Beschluss vom 12.04.2016 nunmehr auch die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 06.03.2013, wonach die Regelungen des § 19 Abs. 2 S. 6 und 7 StromNEV 2011 über den StromNEV-Umlagemechanismus nichtig ist. Darüber hinaus hat der BGH entschieden, dass auch § 19 Abs. 2 S. 12 bis 15 StromNEV in der ab 22.08.2013 geltenden Fassung („StromNEV 2013“) und § 19 Abs. 2 S. 13 bis 16 in der seit 01.01.2014 geltenden Fassung („StromNEV 2014“) nichtig sind. Die Festlegung der Bundesnetzagentur hat der BGH dementsprechend mit Wirkung für alle Netzbetreiber aufgehoben.

Entscheidungsbegründung des BGH

Der BGH verweist auf seinen Beschluss vom 06.10.2015 und begründet seine Entscheidung damit, dass aus der Nichtigkeit von § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV 2011 auch die Nichtigkeit von § 19 Abs. 2 S. 6 und 7 StromNEV 2011 folge, weil die Netzentgeltbefreiung einerseits und der Umlagemechanismus andererseits so eng miteinander verflochten seien, dass sie eine untrennbare Einheit bildeten, die nicht in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt werden könne. Der Regelung zum Umlagemechanismus komme daher keine selbständige Bedeutung zu, so dass sie auch nicht separat bestehen bleiben könne.

Die Festlegung kann nach Ansicht des BGH auch nicht auf § 19 Abs. 2 S. 12 bis 15 StromNEV 2013 bzw. § 19 Abs. 2 S. 13 bis 16 StromNEV 2014 gestützt werden, weil die Regelungen über das Umlageverfahren in diesen Fassungen ebenfalls mangels Ermächtigungsgrundlage nichtig seien. Nach 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 3 EnWG könne der Verordnungsgeber Methoden zur Bestimmung der Entgelte für den Netzzugang sowie die Voraussetzungen für die Genehmigung individueller Entgelte regeln. Die StromNEV-Umlage stelle jedoch gerade kein Entgelt für die Netznutzung dar, sondern eine zusätzliche Abgabe, deren Erhebung in der Ermächtigungsgrundlage nicht vorgesehen sei. Bei den Mindererlösen aufgrund von individuellen Netzentgelten handele es sich auch nicht um Kosten des Netzbetriebs, die zuordenbar durch die Integration von dezentralen Anlagen zur Erzeugung aus erneuerbaren Energiequellen verursacht würden, oder strukturell vergleichbare Kosten, deren bundesweite Umlage der Verordnungsgeber gem. § 24 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 EnWG regeln könne.

Bewertung der Entscheidung

Die Entscheidung des BGH war in weiten Teilen zu erwarten. Der BGH hatte bereits in seinem Beschluss vom 6. Oktober 2015 entschieden, dass eine Befreiung von den Netzentgelten nicht durch die Ermächtigungsgrundlage in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 EnWG gedeckt und daher nichtig ist. Begründet wurde dies mit der Argumentation, dass die genannten Vorschriften den Verordnungsgeber lediglich zur näheren Ausgestaltung von Netzentgelten ermächtigten, nicht aber zur Befreiung bestimmter Nutzer von solchen Entgelten. Insoweit war es absehbar, dass der BGH aufgrund der engen sachlichen Verknüpfung auch das Umlagesystem zur Finanzierung der Netzentgeltbefreiungen für nichtig erklären würde.

Dass darüber hinaus auch die Regelungen zur Umlage der Mindererlöse aus individuellen Netzentgelten nach § 19 StromNEV 2013 und StromNEV 2014 mangels Ermächtigungsgrundlage nichtig sein sollen, überrascht hingegen. Kritisch zu bewerten sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Ausführungen des BGH zum angeblich fehlenden gesamtgesellschaftlichen Interesse an der intensiven und gleichmäßigen Netznutzung. Die intensive und gleichmäßige Netznutzung liege – anders als die Förderung Erneuerbarer Energien – lediglich im Interesse der Nutzer des jeweiligen Netzes. Mindererlöse aufgrund von individuellen Netzentgelten seien daher nicht strukturell vergleichbar mit Kosten des Netzbetriebs, die zuordenbar durch die Integration von dezentralen Anlagen zur Erzeugung aus erneuerbaren Energiequellen verursacht würden. § 24 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 EnWG komme damit nicht als Ermächtigungsgrundlage in Betracht. Diese Argumentation kann nicht recht überzeugen. Denn die Einsparung von energie- und volkswirtschaftlich unnötigen Kosten für Netzstabilisierungsmaßnahmen entspricht geradezu exemplarisch dem in § 1 Abs. 1 EnWG definierten allgemeinen Gesetzeszweck der preisgünstigen und effizienten Versorgung mit Energie, der das übergeordnete und im Allgemeininteresse liegende energiepolitische Ziel der Wettbewerbsfähigkeit wiedergibt. 

Aufhebung der Festlegung für alle Marktteilnehmer

Entgegen dem allgemeinen Grundsatz, demzufolge eine Entscheidung nur zwischen den am Rechtsstreit beteiligten Parteien (inter partes) wirkt, entfaltet die aktuelle Entscheidung des BGH eine allgemeine Wirkung (inter omnes), da die Aufhebung der Festlegung nicht teilbar ist. Die zum 15.12.2011 rückwirkende Aufhebung gilt somit für alle betroffenen Akteure gleichermaßen (die BNetzA hatte die Festlegung selbst bereits mit Wirkung ab dem 01.01.2015 widerrufen).

Rückabwicklung der StromNEV-Umlage?

Der BGH hat nicht nur die Festlegung der Bundesnetzagentur aufgehoben, sondern zugleich auch die Regelungen zum Umlagemechanismus in § 19 Abs. 2 StromNEV 2011, StromNEV 2013 und StromNEV 2014 für nichtig erklärt. Damit besteht nach der aktuellen Rechtslage formal weder eine Verpflichtung der Übertragungsnetzbetreiber, den Verteilernetzbetreibern ihre durch die individuellen Netzentgelte verursachten Mindererlöse zu erstatten, noch eine Rechtsgrundlage für den Ausgleich der Kosten untereinander und die Umlage auf die Letztverbraucher. Auch die entsprechenden in der Vergangenheit geleisteten Zahlungen waren rechtsgrundlos. Insoweit ist grundsätzlich eine Rückabwicklung des StromNEV-Umlagemechanismus denkbar.

Der Markt geht jedoch davon aus, dass der Gesetzgeber (kurzfristig) eine Rechtsgrundlage für das Umlagesystem schaffen wird, die nicht nur für die Zukunft, sondern auch rückwirkend gelten wird. Damit könnte eine Rückabwicklung vermieden und der etablierte Umlagemechanismus fortgeführt werden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Netzbetreiber den Umlagemechanismus trotz der rechtlichen Unsicherheiten zunächst weiter praktizieren werden. Marktteilnehmer sollten jedoch in Erwägung ziehen, die Zahlungen im StromNEV-Umlagemechanismus bis zur Klärung der Rechtslage nur unter Vorbehalt zu tätigen, um sich damit die Möglichkeit einer Rückforderung zu einem späteren Zeitpunkt offenzuhalten.

Individuelle Netzentgelte sind nicht betroffen!

Die seit dem 01.01.2012 bestehenden Ansprüche auf Gewährung individueller Netzentgelte bei atypischer bzw. intensiver und gleichmäßiger Netznutzung gem. § 19 Abs. 2 S. 2 bis 4 StromNEV 2013 bzw. StromNEV 2014 waren nicht Gegenstand des BGH-Verfahrens und gelten daher unverändert weiter. Allerdings stellt sich in der Praxis die Frage, wie Netzbetreiber reagieren werden, wenn die durch die individuellen Netzentgelte verursachten Mindererlöse nicht mehr über den Umlagemechanismus kompensiert werden sollten. Dies gilt insbesondere für Netzbetreiber, in deren Netzen relativ viele privilegierte Letztverbraucher angeschlossen sind (z.B. in Industrieparks). Im Einzelfall ist es durchaus denkbar, dass diese Netzbetreiber individuelle Netzentgelte in Frage stellen könnten. Auch aus diesem Grund sollte der Gesetzgeber zeitnah Rechtssicherheit schaffen.

Fundstelle

BGH, Beschluss vom 12.04.2016, EnVR 25/13

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