Baurechtliche Entwicklungen bei der Flüchtlingsunterbringung
Bis Ende 2015 werden ca. 800.000 Flüchtlinge in Deutschland angekommen sein. Bund und Länder werden damit im Hinblick auf die angemessene Unterbringung und Versorgung dieser Menschen vor enorme Herausforderungen gestellt. Der Artikel beleuchtet daher unter Berücksichtigung der Gesetzesnovelle vom 26.10.2015, welche baurechtlichen Anforderungen beim Bau von Flüchtlingsunterkünften zu beachten sind.
Baurechtliche Entwicklungen bei der Flüchtlingsunterbringung
Die Themen „Flüchtlinge“ und „Flüchtlingsunterkünfte“ stehen derzeit im Fokus der Nachrichten. Seit Anfang September 2015 sind mehr als 400.000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen (Quelle: ZEIT ONLINE vom 16. Oktober 2015). Insbesondere für die Länder und Gemeinden stellt sich neben den praktischen Problemen deshalb u. a. die rechtliche Frage, wie und wo in kürzester Zeit Wohnraum für so viele Menschen geschaffen werden kann. Im Folgenden soll daher in den Grundzügen erläutert werden, welche baurechtlichen Anforderungen beim Bau von Flüchtlingsunterkünften zu beachten sind. Dabei soll auch auf die Gesetzesnovelle vom 26. Oktober 2015 eingegangen werden.
I. Genehmigungsbedürftigkeit von Flüchtlingsunterkünften
Zunächst stellt sich die Frage nach der bauordnungsrechtlichen Genehmigungsbedürftigkeit von Flüchtlingsunterkünften. Grundsätzlich einer Baugenehmigung bedürfen:
- die veränderte Nutzung bestehender Gebäude (z.B. Nutzung eines Wohnhauses als Flüchtlingsunterkunft)
- die Neuerrichtung von Unterkünften (z.B. Errichtung einer Gemeinschaftsunterkunft)
- die Errichtung/Nutzung nicht nur ganz kurzfristig bestehender Notunterkünfte (z.B. Errichtung von „Containern“, wochenlange Unterbringung in Turnhallen).
Diese Genehmigungspflicht gilt auch für Länder und Gemeinden, es sei denn, das jeweilige Landesrecht gestattet eine Ausnahme für Landesvorhaben (z.B. § 76 BauO Bln).
II. Genehmigungsfähigkeit von Flüchtlingsunterkünften
Nachdem eine Genehmigungsbedürftigkeit besteht, ist die Genehmigungsfähigkeit zu klären. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung richten sich nach den jeweiligen Landesbauordnungen. Das Vorhaben muss sowohl dem Bauordnungsrecht (z.B. Brandschutz, Abstandsflächen) als auch dem Bauplanungsrecht (z.B. Vereinbarkeit mit bestehendem Bebauungsplan) entsprechen. Für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit kommt es dabei maßgeblich darauf an, ob sich das Baugrundstück im Gebiet eines Bebauungsplans, im Außen- oder Innenbereich befindet. Grundsätzlich gilt dabei Folgendes:
- Im Bereich eines Bebauungsplans müssen die Festsetzungen des Bebauungsplans beachtet werden, § 30 BauGB. Der Bebauungsplan enthält in der Regel Festsetzungen nach der BauNVO (z.B. Art der baulichen Nutzung).
- Im Innenbereich, d.h. Flächen in bebauten Gebieten ohne Bebauungsplan, muss sich die Unterkunft u. a. nach Art und Maß der Nutzung in die Umgebung einfügen, § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB. Entspricht die Eigenart der Umgebung einem Baugebiet der BauNVO, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es in diesem Baugebiet zulässig wäre, § 34 Abs. 2 BauGB.
- Im Außenbereich, d.h. Flächen, die außerhalb von Ortschaften liegen und für die kein Bebauungsplan besteht, ist die Errichtung von Unterkünften in der Regel unzulässig, § 35 BauGB.
Maßgeblich für die Beurteilung, ob die o.g. Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Art der Flüchtlingsunterkunft. Unterschieden wird zwischen „Erstaufnahmeeinrichtung“, „Gemeinschaftsunterkunft“ und „dezentraler Unterbringung“. Entscheidend und umstritten ist, ob die jeweilige Art der Unterkunft als „Wohngebäude“ oder als „Anlage für soziale Zwecke“ i.S.d. BauNVO zu qualifizieren ist. Letztere dürfen beispielsweise nur ausnahmsweise, z. B. in reinen Wohngebieten oder Industriegebieten errichtet werden. Die rechtliche Einordnung richtet sich vornehmlich nach dem Betriebskonzept der Einrichtung. Danach dürften Erstaufnahmeeinrichtungen und große Gemeinschaftsunterkünfte „Anlagen für soziale Zwecke“ sein, während kleine Unterkünfte bzw. die dezentrale Unterbringung je nach Einzelfall „Wohnungen“ oder „Anlagen für soziale Zwecke“ sein können.
III. Erleichterungen durch die Gesetzesnovelle vom 26. Oktober 2015
Aufgrund der bauordnungsrechtlichen Anforderungen sah sich der Gesetzgeber bereits Ende letzten Jahres gehalten, die Neuerrichtung von Flüchtlingsunterkünften zu erleichtern. Nachdem die erste Novelle vom 26. November 2014 allein wenig Erleichterungen brachte, ist nunmehr zum 26. Oktober 2015 eine zweite Gesetzesnovelle in Kraft getreten, die zunächst bis zum 31. Dezember 2019 gelten soll. Zwar bleibt die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften genehmigungsbedürftig. Durch Sondervorschriften in § 246 n.F. BauGB soll die Unterbringung von Flüchtlingen jedoch wesentlich vereinfacht werden. Insbesondere ist die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften im Außenbereich, im Gewerbe- und sogar im Industriegebiet unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Verfassungsrechtlich problematisch ist die Regelung in § 246 Abs. 14 BauGB n.F., wonach von allen Vorschriften des BauGB „in erforderlichem Umfang“ abgewichen werden kann, wenn auch bei Anwendung der neu eingefügten Sondervorschriften die „dringend benötigten“ Unterkünfte „nicht oder nicht rechtzeitig“ bereitgestellt werden können. Diese Regelung ist nicht nur sehr unbestimmt, sondern ermächtigt zur Umgehung des gesamten Bauplanungsrechts, was problematisch erscheint. Sofern diese Norm einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten würde, dürfte sie jedenfalls verfassungskonform dahingehend auszulegen sein, dass ihre Anwendung äußerst restriktiv und nur in absoluten Notsituationen erfolgt. Es wird daher im Wesentlichen auf die übrigen Sondervorschriften in § 246 Abs. 8 bis 17 ankommen.
IV. Fazit
Auf erste Sicht erscheinen die Neuregelungen sehr weitreichend. Gleichwohl ändert selbst § 246 BauGB n.F. nichts an den übrigen Zulassungserfordernissen (z.B. Bauordnung, Immissionsschutzgesetz, Denkmalschutzgesetz). Diese Vorschriften sind ebenfalls einzuhalten, wodurch die Erleichterungen in § 246 BauGB größtenteils relativiert werden. Insbesondere das Immissionsschutzgesetz dürfte die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften in Gewerbe- und Industriegebieten weitestgehend unmöglich machen. Es bleibt daher abzuwarten, ob sich die Neuregelungen in der Praxis bewähren oder ob der Gesetzgeber ein drittes Mal einschreiten wird, um Ländern und Gemeinden Unterstützung bei der Bewältigung der derzeitigen Herausforderungen zu leisten.