Arbeitsrechtsrechtliche Inhalte im Koalitionsvertrag: Übersicht über die Pläne der neuen Bundesregierung
Mit dem Titel “Mehr Fortschritt wagen” wurde der Koalitionsvertrag zwischen SPD, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und FDP der Öffentlichkeit präsentiert. In den insgesamt 178 Seiten nehmen die Koalitionsparteien auch Stellung zu ihren Impulsen im Arbeitsrecht und in der Arbeitsmarktpolitik, die wir Ihnen nachfolgend darstellen werden.
Die wesentlichen Neuerungen aus dem Koalitionsvertrag sind:
Anhebung des Mindestlohns
Die Koalitionsparteien möchten eine höhere Mindestentlohnung für Arbeitnehmer durchsetzen und deswegen den gesetzlichen Mindestlohn auf 12 EUR pro Arbeitsstunde anheben (aktuell 9,60 EUR, ab 01.01.2022 auf 9,82 EUR und ab 01.07.2022 auf 10,45 EUR).
Stärkung der Tarifautonomie
Weiterhin soll die Tarifautonomie gestärkt werden. Hierzu soll zum einen die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden werden. Zum anderen soll die sog. Tarifflucht bei Betriebsausgliederung durch die verbindliche Fortgeltung des geltenden Tarifvertrags verhindert werden.
Betriebliche Mitbestimmung
Die Koalitionspartner wollen die betriebliche Mitbestimmung insbesondere im Hinblick auf die Digitalisierung weiterentwickeln. Betriebsräte sollen selbstbestimmt entscheiden können, ob sie analog oder digital arbeiten. Diesbezüglich soll auch das erst kürzlich verabschiedete Betriebsrätemodernisierungsgesetz (siehe Deloitte Tax-News) evaluiert werden.
Unternehmerische Mitbestimmung
Bei der Beteiligung von Arbeitnehmern in Aufsichtsräten nach dem Drittelbeteiligungsgesetz soll künftig auch die sog. Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz Anwendung finden. Demnach wären Arbeitnehmer anderer Konzerngesellschaften dem beherrschen Konzernunternehmen schon dann zuzurechnen, wenn eine faktische Beherrschung vorliegt.
Der bisherige so genannte “Einfriereffekt” beim Zuwachs von SE-Gesellschaften soll zukünftig verhindert werden. Das bedeutet, dass Unternehmen ihren mitbestimmungsfreien oder weniger mitbestimmten (z.B. Drittelbeteiligungsgesetz) Status in Zukunft dann nicht mehr behalten können, wenn sie nach der Umwandlung in eine SE weiterwachsen und z.B. den Schwellenwert für einen paritätisch zu besetzenden Aufsichtsrat überschreiten. Nach geltendem Recht verändert sich die Mitbestimmung in der SE bei einem Anwachsen der Personalstärke nicht mehr.
Arbeitszeit und Homeoffice
Der Grundsatz des 8-Stunden-Tages soll auch weiterhin beibehalten werden. Gleichwohl soll auf der Basis entsprechender tarifvertraglicher Vereinbarungen ermöglicht werden unter bestimmten Voraussetzungen und in einzuhaltenden Fristen Arbeitszeit flexibler zu gestalten; dabei soll auch die begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit geschaffen werden.
Beschäftigte in geeigneten Tätigkeiten sollen gegenüber ihrem Arbeitgeber einen Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Homeoffice erhalten. Arbeitgeber können nach dem Wunsch der Koalitionspartner dem Homeoffice-Begehren des Arbeitnehmers nur dann widersprechen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Homeoffice soll dabei als eine Möglichkeit der Mobilen Arbeit rechtlich von der Telearbeit und dem Geltungsbereich der Arbeitsstättenverordnung abgegrenzt werden.
Befristungen
Befristungen mit Sachgrund beim selben Arbeitgeber sollen zur Vermeidung von sog. Kettenbefristungen auf insgesamt sechs Jahre begrenzt werden. Für öffentliche Arbeitgeber sollen zudem der exklusive Befristungsgrund der Haushaltsbefristung abgeschafft und sachgrundlose Befristungen sukzessive reduziert werden.
Sonderurlaub und Kündigungsschutz bei Geburten
Der Koaltionsvertrag sieht einen Anspruch auf eine zweiwöchige vergütete Freistellung des Partners nach der Geburt des gemeinsamen Kindes vor. Den Mutterschutz und die Freistellung für den Partner soll es bei Fehl- bzw. Totgeburt künftig nach der 20. Schwangerschaftswoche geben. Ferner soll der elternzeitbedingte Kündigungsschutz um drei Monate nach Rückkehr in den Beruf verlängert werden, um den Wiedereinstieg abzusichern.
Höhere Erwerbsgrenzen für Mini- und Midi Jobs
Die Midi-Job-Grenze soll auf 1.600 Euro angehoben werden; die Minijob-Grenze soll sich zukünftig an einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden zu Mindestlohnbedingungen orientieren und mit Anhebung des Mindestlohns somit auf 520 EUR erhöht werden. Gleichzeitig wollen die Koalitionspartner die Einhaltung des geltenden Arbeitsrechts bei Mini-Jobs stärker kontrollieren.
Unternehmen und Arbeitsplätze im Strukturwandel
Mit dem Bestreben, Arbeitsplätze im Strukturwandel zu erhalten, legen die Koalitionspartner einen Schwerpunkt auf Weiterbildungen und beruflichen Neuorientierungen. Neben Anpassungen am Aufstiegs-BAföG soll auch die betriebliche Weiterbildung gefördert werden. Dazu soll der Bundesagentur für Arbeit zukünftig eine stärkere Rolle bei der Qualifizierung und dazugehöriger Beratung zukommen.
Weiterhin soll, unter Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitge-ber, zukünftig eine sog. geförderte Bildungs(teil)zeit möglich sein, z.B. für das Nachholen eines Berufsabschlusses oder zur beruflichen Neuorientierung.
Des Weiteren soll auch ein an das Kurzarbeitergeld angelehntes Qualifizierungsgeld gewährt werden können, wenn eine entsprechende Betriebsvereinbarung geschlossen wurde. Unternehmen im Strukturwandel soll so ermöglicht werden, ihre Beschäftigten durch Qualifizierung weiterhin im Betrieb zu halten und so Fachkräfte zu sichern.
Ferner wollen die Koalitionspartner das Transfer-Kurzarbeitergeld ausweiten und die Instrumente rund um die Transfergesellschaften weiterentwickeln. Zudem sollen Anreize für den Abschluss von Transformationstarifverträge geschaffen werden.
Bekämpfung des Fachkräftemangels
In arbeitsmarktpolitischer Hinsicht legen die Koalitionspartner Wert, dem Fachkräftemangel, insbesondere im Gesundheitswesen und Handwerk, zu begegnen. Eckpfeiler sind:
- höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen
- Stärkung der beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung
- Weiterentwicklung des Einwanderungsrechts mit dem Ziel der Arbeitskräfteeinwanderung (z.B. durch den Abbau von Hürden bei der Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen aus dem Ausland)
- Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Bereichen, in denen ein Mangel an Fachkräften herrscht.