BFH: Entfernungspauschale bei Hin- und Rückweg an unterschiedlichen Arbeitstagen
Die Entfernungspauschale für Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte gilt arbeitstäglich zwei Wege (einen Hin- und einen Rückweg) ab. Legt ein Arbeitnehmer den Hin- und Rückweg an verschiedenen Arbeitstagen zurück, hat die Einzelbewertung der jeweiligen Fahrt nur mit der Hälfte der Entfernungspauschale von 0,30 Euro je Entfernungskilometer und Arbeitstag (also 0,15 Euro/km) zu erfolgen. Der BFH bestätigt diese Rechtslage auch für das seit dem VZ 2014 geltende (neue) Reisekostenrecht.
Sachverhalt
Der Kläger ist als Flugbegleiter tätig, was häufig mehrtätige Einsätze erfordert. Er ist der Auffassung dass die Entfernungspauschale (0,30 Euro pro Entfernungskilometer) auch in den Fällen arbeitstäglich anzusetzen ist, in denen er die Hin- und Rückfahrt zwischen Wohnung und Arbeitsplatz an unterschiedlichen Tagen durchgeführt hat. Finanzamt und FG gewährten die Entfernungspauschale hingegen für diejenigen Arbeitseinsätze, bei denen Hin- und Rückfahrt auf unterschiedliche Tage fielen, nur zur Hälfte (0,15 Euro pro Entfernungskilometer) für den jeweiligen Arbeitstag.
Entscheidung
Der BFH bestätigt die Auffassung des FG, dass die Entfernungspauschale für „Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte“ nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1 EStG die Aufwendungen für zwei Wege abgilt. Voraussetzung für den Abzug der Entfernungspauschale sei demnach, dass der Steuerpflichtige die Hin- und Rückfahrt zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte an einem Arbeitstag zurücklegt. Werden Hin- und Rückfahrt jedoch an unterschiedlichen Arbeitstagen zurückgelegt, kann die Entfernungspauschale für jeden Arbeitstag nur zur Hälfte geltend gemacht werden.
Gesetzliche Grundlage - Entfernungspauschale
Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1 EStG auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte. Für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer diese erste Tätigkeitsstätte aufsucht, ist eine Entfernungspauschale von 0,30 Euro für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte anzusetzen.
Gesetzeshistorie
Vor Einführung der Entfernungspauschale entschied der BFH, dass der Kilometer-Pauschbetrag für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit dem eigenen Kraftfahrzeug Hin- und Rückfahrt abgilt und dass bei einfacher Fahrt nur die Hälfte des Pauschbetrags als Werbungskosten abgezogen werden dürfen. Der Gesetzgeber sei bei der Regelung des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG a.F. vom Normalfall ausgegangen, dass dem Arbeitnehmer pro Arbeitstag Aufwendungen für zwei beruflich veranlasste Fahrten (für die Hinfahrt zur Arbeitsstätte und für die Rückfahrt von der Arbeitsstätte) entstünden (BFH, Urteil vom 17.12.1971, VI R 12/70). Nur zur Vereinfachung werde der Pauschbetrag nicht auf die tatsächlich auf der Hinfahrt und der Rückfahrt gefahrenen Kilometer angewendet, sondern auf die Entfernung der kürzesten benutzbaren Straßenverbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Dabei sollte im Ergebnis aber nur die Hälfte des Pauschbetrags je Kilometer pro Fahrt als Werbungskosten abziehbar sein.
An dieser Rechtslage hat sich nach Auffassung des BFH im Grundsatz weder mit der Einführung der Entfernungspauschale ab dem 01.01.2001 noch durch das seit dem Veranlagungszeitraum 2014 geltende (neue) Reisekostenrecht etwas geändert. Es ergebe sich keine Abweichung des vom Gesetzgeber angenommenen Leitbilds eines arbeitstäglichen Hin- und Rückwegs zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durch die Einführung der Entfernungspauschale.
Teleologische Reduktion des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2 EStG
Die Einzelbewertung der jeweiligen Fahrt mit 0,15 Euro/km hat nach Ansicht des BFH in teleologischer Reduktion des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2 EStG in Fällen zu erfolgen, in denen der Hin- und Rückweg zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte an verschiedenen Arbeitstagen durchgeführt wird oder der Steuerpflichtige z.B. nach einer Fahrt von der Wohnung zur ersten Tätigkeitsstätte eine Auswärtstätigkeit antritt und von dieser unmittelbar nach Hause zurückkehrt oder eine Auswärtstätigkeit unmittelbar von zu Hause aus antritt, anschließend seine erste Tätigkeitsstätte aufsucht und von dort wieder nach Hause fährt.
Betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1 u. S. 2, § 9 Abs. 4 S. 1 u. S. 2 EStG
Streitjahr 2014
Anmerkung
Der Werbungskostenabzug für Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte führen immer wieder zu Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung. So sind zu diesem Thema noch weitere Revisionsverfahren beim BFH anhängig:
- VI R 6/19 und VI R 14/19: Wie ist der Gesetzeswortlaut "typischerweise arbeitstäglich" in § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a S. 3 EStG auszulegen? Ist die Rechtsnorm nur anwendbar, wenn der Arbeitnehmer den vom Arbeitgeber bestimmten Ort (hier: Sammelpunkt) an sämtlichen seiner Arbeitstage aufsuchen soll?
Aktuell: Mit Urteilen vom 19.04.2021 (VI R 6/19, siehe Deloitte Tax-News) und vom 02.09.2021, VI R 14/19 Entscheidung Detail | Bundesfinanzhof, hat der BFH nun festgestellt, dass die entsprechende Anwendung der Entfernungspauschale gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a S. 3 EStG voraussetzt, dass der Arbeitnehmer den Ort oder das weiträumige Gebiet zur Aufnahme der Arbeit aufgrund einer Weisung des Arbeitgebers zum einen typischerweise arbeitstäglich und zum anderen auch dauerhaft aufzusuchen hat. Ein "typischerweise arbeitstägliches" Aufsuchen erfordert nach Ansicht des BFH kein ausnahmsloses Aufsuchen des vom Arbeitgeber festgelegten Orts oder Gebiets an sämtlichen Arbeitstagen des Arbeitnehmers. Ein nach Weisung "typischerweise fahrtägliches" Aufsuchen genüge aber nicht. Für die Frage, ob der Arbeitnehmer denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet aufgrund der Weisung des Arbeitgebers "dauerhaft" aufzusuchen hat, sei die Legaldefinition in § 9 Abs. 4 S. 3 EStG entsprechend heranzuziehen.
- VI R 26/20: Ist ein Taxi ein öffentliches Verkehrsmittel i.S. des § 9 Abs. 2 S. 2 EStG und können damit die Taxikosten für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte in tatsächlich entstandener Höhe – über die Entfernungspauschale hinaus – als Werbungskosten geltend gemacht werden? Dies hat der BFH bislang offengelassen (BFH, Beschluss vom 15.11.2016, VI R4/15).
Aktuell: Mit Urteil vom 09.06.2022, VI R 26/20 hat der BFH mittlerweile entschieden, dass ein Taxi kein "öffentliches Verkehrsmittel" i.S. des § 9 Abs. 2 S. 2 EStG ist. Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte mit einem Taxi können daher lediglich in Höhe der Entfernungspauschale gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2 EStG als Werbungskosten in Ansatz gebracht werden.
Vorinstanz
Finanzgericht Münster, Urteil vom 14.07.2017, 6 K 3009/15 E
Fundstelle
BFH, Urteil vom 12.02.2020, VI R 42/17, lt. BMF zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen.
Pressemitteilung Nr. 26 vom 12.06.2020
Weitere Fundstellen
BFH, Urteile vom 04.04.2019 VI R 27/17, vom 10.04.2019 VI R 6/17, vom 11.04.2019 VI R 36/16, VI R 40/16, VI R 12/17, siehe Deloitte Tax-News
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.06.2012, 7 K 4440/10, EFG 2013, 114
BFH, Urteil vom 15.11.2016, VI R 4/15, siehe Deloitte-Tax-News
BMF, Finales Einführungsschreiben vom 30.09.2013, IV C 5 - S 2353/13/10004, siehe Deloitte-Tax-News
BFH, Urteil vom 11.09.2003, VI B 101/03, BStBl II 2003, 893
BFH, Urteil vom 11.09.2012, VI B 43/12
BFH, Urteil vom 26.07.1978, VI R 16/76