BFH: Vorsteuerabzug für Ausbaumaßnahmen an öffentlichen Straßen
Änderung der Rechtsprechung: Mittelbare Veranlassung für Vorsteuerabzug ausreichend - keine Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe. Der BFH schließt sich der Rechtsprechung des EuGH an und distanziert sich von einer engen Auslegung des notwendigen Zusammenhangs zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung im Rahmen des Vorsteuerabzugsrecht. Auswirkungen hat die Entscheidung insbesondere auf Fälle, in denen es um die Übernahme von Erschließungsmaßnahmen geht.
Hintergrund
Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug setzt voraus, dass ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Eingangsumsatz und dem zum Vorsteuerabzug berechtigten Ausgangsumsatz besteht oder die bezogenen Aufwendungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und Preisbestandteil der vom Steuerpflichtigen erbrachten entgeltlichen Leistungen sind. Die Tatsache, dass eine mit Vorsteuer belastete Eingangsleistung bezogen wird, die sich auf einen Gegenstand bezieht, der sich im Eigentum eines Dritten befindet, der von dieser Leistung unentgeltlich profitiert, führte – so auch in den Fällen der Übernahme von Erschließungsmaßnahmen – regelmäßig zur Versagung des Vorsteuerabzugs.
Diese nationale Sichtweise geriet erst durch die EuGH Entscheidung in der Rs. Iberdrola, C-132/16, ins Wanken. Der EuGH bejaht das Vorsteuerabzugsrecht für einer Gemeinde zugutekommende Infrastrukturausgaben eines Immobilieninvestors und führt aus, dass allein der Umstand, dass ein Dritter von der Dienstleistung profitiert, nicht ausreicht, um das Vorsteuerabzugsrecht des Steuerpflichtigen zu versagen. Auch mittelbare Zwecke reichen für das Recht auf Vorsteuerabzug aus, wenn die Eingangsumsätze für die wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen unerlässlich sind und als Kostenelemente der steuerpflichtigen Ausgangsumsätze anzusehen sind.
Davon ausgehend und zweifelnd an der engen Auslegung des notwendigen Zusammenhangs zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung legte der BFH (XI R 28/17) in der Rs. Mitteldeutsche Hartstein-Industrie (C-528/19) dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor. Mit der vorliegenden Entscheidung folgt der BFH (XI R 26/20) unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung der EuGH Entscheidung.
Sachverhalt (vereinfacht)
Einer GmbH war die Genehmigung zum Betrieb eines Kalksteinbruchs unter der Auflage erteilt worden, eine für den Abtransport des gewonnenen Kalksteins zu nutzende öffentliche Gemeindestraße auszubauen. Die Stadt war Eigentümerin der Straße. Aus den für den Ausbau von anderen Unternehmern bezogenen Bauleistungen machte die GmbH den Vorsteuerabzug geltend.
Entscheidung
Bezieht ein Unternehmer eine Leistung, um diese an einen Dritten unentgeltlich weiter zu liefern und zugleich die eigene unternehmerische Tätigkeit zu ermöglichen, steht ihm der Vorsteuerabzug zu, wenn die bezogene Eingangsleistung nicht über das hinausgeht, was erforderlich/unerlässlich war, um diesen Zweck zu erfüllen, und die Kosten der Eingangsleistung (kalkulatorisch) im Preis der getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind und der Vorteil des Dritten (hier: der Allgemeinheit) allenfalls nebensächlich ist. Insoweit reicht eine "mittelbare" Veranlassung für den Vorsteuerabzug aus (Änderung der Rechtsprechung).
§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG ist unionsrechtskonform dahingehend einschränkend auszulegen, dass eine Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe nicht erfolgt, wenn kein unversteuerter Endverbrauch droht.
Anmerkung
Nach der vorliegenden Entscheidung besteht einerseits das Recht auf Vorsteuerabzug und andererseits ist die unentgeltliche Zuwendung, die kostenlose Überlassung der Straße an den allgemeinen Verkehr, nicht steuerbar. Denn die Errichtung der Gemeindestraße erfolgt im überwiegenden unternehmerischen Interesse der Klägerin, da sie ohne die betreffenden Erschließungs- oder Ausbaumaßnahme ihre wirtschaftliche Tätigkeit im Kalksteinbruch nicht hätte ausüben können. Neu ist insbesondere, dass es für den Vorsteuerabzug nicht nachteilig ist, wenn mit den Eingangsumsätzen lediglich mittelbare Zwecke verfolgt werden. Steuerbare unentgeltliche Zuwendungen liegen ebenfalls nicht vor, wenn diese vor allem dem Unternehmenszweck dienen bzw. als Zuwendung an Dritte nur nebensächlichen Charakter haben.
Mit der vorliegenden Entscheidung ändert der BFH seine Rechtsprechung und folgt der neueren EuGH Rechtsprechung (vorliegend Rs. Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, C-528/19 sowie Rs. Vos Aannemingen BVBA, C-405/19), so dass auch die Finanzverwaltung zum Nach- und Umdenken angeregt werden wird. Auswirkungen hat die Entscheidung insbesondere auf die Fälle, in denen es um die Übernahme von Erschließungsmaßnahmen geht.
Betroffene Normen
§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3UStG; § 15 UStG
Vorinstanz
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 15.12.2016, 1 K2213/13, EFG 2018, S. 495
Fundstelle
BFH, Urteil vom 16.12.2020, XI R 26/20 (XI R 28/17)
Weitere Fundstelle
EuGH, Urteil vom 16.09.2020, C-528/19