BFH: Steuerpflicht von Gutachtertätigkeiten im Auftrag des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung (MDK) zweifelhaft
Erstellen selbständige Unternehmer Gutachten zur Pflegebedürftigkeit von Patienten gegenüber dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung als Auftraggeber, unterliegt diese Tätigkeit nach nationalem Recht der Steuerpflicht. Eine Berufung auf die Steuerbefreiung nach Unionsrecht scheint jedoch möglich.
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Krankenschwester mit medizinischer Grundausbildung und akademischer Ausbildung im Bereich der Pflegewissenschaft sowie einer Weiterbildung in Pflege-Qualitätsmanagement, erstellte für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Gutachten zur Pflegebedürftigkeit von Patienten. Nach Auffassung des Finanzamts ist diese Tätigkeit weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht umsatzsteuerfrei.
Anmerkung
Die von der Klägerin im Auftrag des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung erstellten Gutachten dienen der Vorbereitung der Leistungsgewährung der Pflegekasse zur Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit. Bei den gutachterlichen Leistungen, die als Entscheidungshilfe für den Erlass von Leistungsbescheiden durch die Pflegekassen dienen, handelt es sich allerdings weder um eine steuerfreie Heilbehandlung, noch um Leistungen zur Betreuung oder Pflege von Personen. Schließlich sind die Umsätze der Klägerin, die als Krankenschwester mit entsprechenden Zusatzqualifikationen die Gutachten erstellt, keine, die von einer befreiten Einrichtung (z.B. der Sozialversicherungsträger bzw. MDK) erbracht werden.
Nach nationalem Recht scheidet daher die Steuerbefreiung für solche Vorbereitungshandlungen aus, da die Befreiung lediglich Leistungen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit selbst von der Besteuerung ausnimmt, nicht aber auch eng mit diesen Leistungen verbundene Leistungen.
Nach Unionsrecht hingegen sind auch eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen erbracht werden, steuerfrei.
Fraglich ist daher, ob sich die Klägerin direkt auf die Steuerbefreiung nach Unionsrecht berufen kann. Das ist der Fall, wenn ihre Gutachtertätigkeit ein eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundener Umsatz ist, auch wenn sie nicht gegenüber dem Hilfsbedürftigen selbst, sondern an eine Person erbracht wird, die sie benötigt, um seine eigene Leistung an den Patienten oder Hilfsbedürftigen zu erbringen. Sofern die Gutachtertätigkeit eine begünstigte Tätigkeit darstellt, ist klärungsbedürftig, welche Anforderungen an die unternehmerbezogene Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter, die nach der Richtlinie für die Steuerfreiheit erforderlich ist, zu stellen sind. Diese könnte aus der Stellung als Subunternehmer, aus einer pauschalen Übernahme der Kosten durch Kranken- und Pflegekassen oder aus Vertragsbeziehungen abzuleiten sein.
Betroffene Normen
§§ 4 Nr 15; 4 Nr. 15a UStG; Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL
Vorinstanz
FG Niedersachsen, Urteil vom 09.06.2016, 11 K 15/16
Fundstelle
BFH, Beschluss (EuGH-Vorlage) vom 10.04.2019, XI R 11/17