BFH: Verfassungsrechtliche Zweifel an der Einheitsbewertung bei der Grundsteuer - Neubewertung des Grundvermögens erforderlich
Sachverhalt
Die Klägerin errichtete im Erbbaurecht einen Lebensmittelmarkt. Das Finanzamt stellte den Einheitswert für das Erbbaurecht auf den 01.01.2005 fest. Die Klägerin beantragte die Rückrechnung der tatsächlichen Herstellungskosten auf die Verhältnisse des Jahres 1964. Die Ermittlung des Gebäudewerts wurde damit begründet, dass es sich bei dem Gebäude um ein Warenhaus und nicht um eine Markt- oder Messehalle handle. Die Klägerin ist jedoch der Auffassung, dass das Gebäude zwar zu Recht im Sachwertverfahren bewertet worden sei, aber wegen seines hallenartigen Charakters, seiner schlichten, nicht zum Verweilen bei angenehmer Atmosphäre einladenden Gestaltung und der tatsächlichen Wertrelationen nicht der Gebäudeklasse "Warenhäuser" zugeordnet werden könne.
Entscheidung
Die Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens sind von der Rechtsprechung des BFH trotz der verfassungsrechtlichen Zweifel, die sich aus dem lange zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunkt (01.01.1964) und darauf beruhender Wertverzerrungen ergeben, bislang als verfassungsgemäß beurteilt worden. Daran ist jedenfalls noch für Stichtage bis zum 01.01.2007 festzuhalten.
Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass das weitere Unterbleiben einer allgemeinen Neubewertung des Grundvermögens für Zwecke der Grundsteuer mit verfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), nicht vereinbar ist. Das BVerfG hat die für die Bedarfsbewertung unbebauter Grundstücke angeordnete, bis Ende 2006 geltende Festschreibung der Wertverhältnisse auf den 01.01.1996 als nicht mehr mit den Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar angesehen. Hiernach verfehlt erst recht die über mehr als vier Jahrzehnte unveränderte Einheitsbewertung des Grundbesitzes nach Maßgabe des Hauptfeststellungszeitpunkts auf den 01.01.1964 die sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebenden Anforderungen. Verfassungsrechtlich geboten ist eine erneute Hauptfeststellung auch im Beitrittsgebiet. Da im Beitrittsgebiet die Wertverhältnisse auf den 01.01.1935 festgeschrieben sind, wiegen die hiergegen bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken noch schwerer als im alten Bundesgebiet. Seit dem 01.01.1935 haben sich die für die Bewertung maßgeblichen Verhältnisse noch wesentlich stärker entwickelt und verändert als seit dem 01.01.1964.
Wann ist ein Gebäude ein Warenhaus? Das Grundstück muss ein Geschäftsgrundstück sein, das im Ganzen oder weit überwiegend dem Betrieb eines Einzelhandelsunternehmens dient und die üblichen Ladengrundstücke an Umfang übertrifft. Nach der Rechtsprechung des BFH dienen Markt- und Messehallen in der Regel nicht dem Einzel-, sondern dem gewerblichen Großhandel als Ausstellungs- und Handelsplatz. Sie hätten daher typischerweise anderen Funktionserfordernissen als Warenhäuser zu genügen. Ihre Ausführung erfordere - anders als bei dem Einzelhandel dienenden Warenhäusern - keine aufwendige, sondern mehr eine schlichte, funktionale Baugestaltung. Bei Markt- und Messehallen sei es gewöhnlich nicht erforderlich, durch aufwendige, repräsentative Baukonstruktionen und -ausführungen ein angenehmes Verkaufsklima zu schaffen und hierdurch die Kauflust von Endverbrauchern anzuregen. An dieser Rechtsprechung kann nach erneuter Prüfung nicht uneingeschränkt festgehalten werden. Denn zahlreiche Veranstaltungen wenden sich in Messehallen an das breite Publikum (beispielsweise Buch-, Einrichtungs- und Tourismusmessen) und dienen Markthallen vielfach dem Einzelhandel.
Das zu bewertende Gebäude ist daher zutreffend zu den Warenhäusern zu rechnen, denn es dient dem Betrieb eines Einzelhandelsunternehmens und übertrifft mit seiner Nutzfläche den Umfang üblicher Ladengrundstücke. Die Geschosshöhe geht nicht über die übliche Geschosshöhe in Warenhäusern hinaus und ist weit geringer als die übliche Geschosshöhe von Markt- und Messehallen.
Betroffene Norm
§ 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG, § 83 BewG, § 85 BewG, § 9 Abs. 2 BewG.
Streitjahr 2004
Anmerkung
Die Finanzminister der Länder haben bereits auf der Finanzministerkonferenz am 28. Januar 2010 eine länderoffene Arbeitsgruppe zur Reform der Grundsteuer unter der Federführung von Nordrhein-Westfalen eingesetzt. Die Arbeit dieser Arbeitsgruppe hat mit dem vorliegenden BFH-Urteil eine noch höhere Bedeutung erlangt.
Vorinstanz
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 14.08.2008, 11 K 900/06 BG, EFG 2009, S. 161.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 30.06.2010, II R 60/08.