BFH: Rechnungsabgrenzung für Kfz-Steueraufwand – Berichtigung eines objektiv falschen Bilanzansatzes
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt eine Spedition und machte für das Streitjahr 2002 in ihrem Jahresabschluss Kfz-Steuern in Höhe von 98.000 Euro als Betriebsausgaben geltend. Davon entfielen rechnerisch 44.000 Euro auf die Zulassungszeit der Fahrzeuge im nachfolgenden Wirtschaftsjahr. Es ist zwischen den Beteiligten streitig, ob für Kraftfahrzeugsteuern (Kfz-Steuern) ein aktiver Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) gebildet werden muss, soweit die gezahlte Steuer auf die voraussichtliche Zulassungszeit von Fahrzeugen im nachfolgenden Wirtschaftsjahr entfällt.
Entscheidung
Ein RAP ist zu aktivieren, wenn und soweit Ausgaben vor dem Abschlussstichtag vorliegen, die Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen. Die Entrichtung der Kfz-Steuern war Aufwand der Klägerin für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag. "Aufwand für eine bestimmte Zeit" ist grundsätzlich in dem Sinne zu verstehen, dass einer Vorleistung eine noch nicht erbrachte zeitraumbezogene Gegenleistung gegenübersteht. Daher ist auch die gezahlte Kfz-Steuer, soweit sie auf die voraussichtliche Zulassungszeit von Fahrzeugen im nachfolgenden Kalenderjahr entfällt, aktiv abzugrenzen.
Der Besteuerungstatbestand der Kfz-Steuer wird durch das fortdauernde Halten des Kraftfahrzeugs verwirklicht. Die Steuerzahlungsschuld entsteht hierbei mit Beginn des jeweiligen Entrichtungszeitraums. Entrichtungszeitraum ist ein Jahreszeitraum, da die Steuer grundsätzlich für die Dauer eines Jahres im Voraus zu leisten ist. Es handelt sich um eine gesetzlich vorgeschriebene Vorauszahlung auf eine noch nicht entstandene Steuer. Hieraus ergibt sich, dass es sich bei der im Streitfall für die entrichtete Kfz-Steuer in Höhe von 44.000 Euro um Ausgaben vor dem Abschlussstichtag des Streitjahres handelt, die Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen. Für die gezahlten Kfz-Steuern ist daher ein aktiver RAP in Höhe des Betrages zu bilden, der auf das Halten der Fahrzeuge zum Verkehr auf öffentlichen Straßen im nachfolgenden Wirtschaftsjahr entfällt (im Streitfall: 44.000 Euro).
Das Finanzamt ist hierbei nicht an die von der Klägerin bei der Bilanzaufstellung vertretene Rechtsauffassung gebunden, ein RAP sei nicht zu aktivieren. Zwar ist Ausgangspunkt für die steuerliche Gewinnermittlung die von der Klägerin beim Finanzamt eingereichte (Steuer-)Bilanz. Von dieser darf (und muss) das Finanzamt nur abweichen, wenn und soweit sie den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung oder den zwingenden bilanzrechtlichen Vorgaben des Einkommensteuergesetzes nicht entspricht.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein objektiv falscher Bilanzansatz nur unter der weiteren Voraussetzung fehlerhaft, dass der Steuerpflichtige den Fehler nach den Erkenntnismöglichkeiten eines ordentlichen Kaufmanns im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung - bezogen auf die am Bilanzstichtag objektiv bestehenden Verhältnisse - erkennen konnte. Dieser sog. subjektive Fehlerbegriff gilt nach bisheriger Rechtsprechung nicht nur für Tatsachenerkenntnisse, sondern auch für die Beurteilung von Rechtsfragen. Für die Fälle, in denen die Rechtslage zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung ungeklärt ist, weil noch keine Rechtsprechung zu der in Rede stehenden Bilanzierungsfrage ergangen ist, hat der BFH daher entschieden, dass dann jede der kaufmännischen Sorgfalt entsprechende Bilanzierung als "richtig" anzusehen ist. An den in diesem Sinn zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung subjektiv "richtigen" Bilanzansatz ist das Finanzamt gebunden, auch wenn die Rechtsfrage nach diesem Zeitpunkt durch eine höchstrichterliche Entscheidung im gegenteiligen Sinne entschieden worden ist.
Nach Maßgabe dieser Rechtsprechung hat die Klägerin durch das Unterlassen der Bildung eines aktiven RAP eine der kaufmännischen Sorgfalt nicht entsprechende Entscheidung getroffen. Die Frage der Aktivierung eines RAP für vorausbezahlte Kfz-Steuer war nicht streitig, sondern entsprach im Anschluss an die BFH-Rechtsprechung der gängigen Bilanzierungspraxis. Angesichts dessen kann für den Zeitpunkt der von der Klägerin aufgestellten Bilanz davon ausgegangen werden, dass die Pflicht zur Aktivierung eines RAP für vorausbezahlte Kfz-Steuer nicht zweifelhaft war.
Betroffene Norm
§ 5 Abs. 5 Nr. 1 EStG; § 4 Abs. 2 EStG.
Streitjahr 2002
Anmerkungen
Mit dieser Entscheidung bestätigt der BFH die bisher gängige Bilanzierungspraxis. Gerade weil die Rechnungsabgrenzung in den Fällen vorausbezahlter Kfz-Steuern bei Bilanzaufstellung nicht zweifelhaft war, sah der Senat auch keinen Anlass, den Ausgang des Verfahrens vor dem Großen Senat zum sog. "subjektiven Fehlerbegriff" abzuwarten. Im BFH-Beschluss vom 07.04.2010 (Vorlagebeschluss an den Großen Senat) legt der I. Senat jedoch dar, weshalb sich der sog. subjektive Fehlerbegriff bei der Bilanzierung anders als nach der bisherigen Rechtsprechung nur auf die Tatsachenfragen beschränken sollte. Sollte der Große Senat des BFH die im Vorlagebeschluss vertretene Auffassung teilen, wären erstmalig höchstrichterliche Urteile nach Aufstellung der Bilanz zugunsten, aber auch zulasten des Bilanzierenden zu berücksichtigen. Es bleibt daher abzuwarten, wie der Große Senat die Vorlagefrage entscheiden wird.
Vorinstanz
Thüringer Finanzgericht, Urteil vom 25.09.2009, I 443/06, EFG 2009, S. 1738.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 19.05.2010, I R 65/09, BStBl II 2010, S. 967.
Weitere Fundstellen
BFH, Beschluss vom 07.04.2010 (Vorlagebeschluss an den Großen Senat), I R 77/08, BStBl II 2010, S. 739, DStRE 2010, S. 699, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News.