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04.07.2022
Steuerrecht

BFH: Sonderausgabenabzug von Vorsorgeaufwendungen bei grenzüberschreitender Betätigung innerhalb der EU

Dank der Arbeitnehmerfreizügigkeit können Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten ihren Arbeitsplatz in der EU frei wählen und sind hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, Sozialleistungen und steuerlichen Vergünstigungen genauso zu behandeln, wie die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger des EU-Landes, in dem sie arbeiten. In einem aktuellen Fall hat sich der BFH in diesem Zusammenhang mit dem strittigen Sachverhalt auseinandergesetzt, wie es mit der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen bei grenzüberschreitender Betätigung innerhalb der EU bestellt ist.

Sachverhalt

Der in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Kläger war im Streitjahr 2016 in Luxemburg als Arbeitnehmer beschäftigt und dort sozialversicherungspflichtig. In​ 2016 zahlte er in Luxemburg Beiträge zur gesetzlichen Renten‑, Kranken‑ und Pflegeversicherung und sein Arbeitslohn unterlag dort dem Lohnsteuereinbehalt. Die vom Kläger gezahlten Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung wurden in Luxemburg vollständig, diejenigen zur Pflegeversicherung hingegen überhaupt nicht steuerlich berücksichtigt. Im Inland stellte das Finanzamt den luxemburgischen Arbeitslohn des Klägers bei der Einkommensteuerfestsetzung unter Progressionsvorbehalt steuerfrei. Im Streit stand nun der Umfang des Sonderausgabenabzugs für Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der inländischen Besteuerung.

Den vom Kläger bei der Besteuerung seiner Inlandseinkünfte begehrten Sonderausgabenabzug für seine gesamten in Luxemburg entrichteten Vorsorgeaufwendungen ​verwehrte das Finanzamt. Zur Begründung führte die Finanzbehörde an, die Aufwendungen stünden im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit im Inland steuerfreien Einnahmen, so dass § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG eine Berücksichtigung der Beiträge nicht erlaube.

Nach zunächst erfolglosem Einspruch wandte sich der Kläger an das FG und beantragte seine Vorsorgeaufwendungen steuerlich zu berücksichtigen. Das FG gab seinem Ansuchen insoweit statt, als es den in Luxemburg nicht abziehbaren Beiträgen zur Pflegeversicherung einen inländischen Sonderausgabenabzug gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG zusprach. Für den vom Kläger darüberhinaus geltend gemachten Abzug der in Luxemburg entrichteten Renten- und Krankenversicherungsbeiträgen erkannte das FG keine Rechtsgrundlage, da diese bereits in Luxemburg steuerentlastend berücksichtigt worden waren (Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.01.2020, 1 K 1904/19). Das Finanzamt hat das Urteil angefochten und vorgebracht, die Anforderungen des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchst. c EStG seien nicht erfüllt. Der Kläger hielt die Entscheidung des FG insoweit für zutreffend, als es die Beiträge zur luxemburgischen Pflegeversicherung als Sonderausgaben anerkannte, ging allerdings seinerseits in Revision mit dem Ziel, auch einen Abzug für die Renten- und Krankenversicherungsbeiträgen zu erhalten. Dabei vertrat er die Ansicht, die Anforderungen an die Ausnahme vom Sonderausgabenabzugsverbot gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchst. c EStG verstießen gegen die unionsrechtlich garantierte Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Entscheidung

Der BFH schloss sich den Entscheidungen der Vorinstanz an und wies beide Revisionen als unbegründet zurück.

In dem Verfahren waren zwei zentrale Rechtsfragen durch den BFH zu klären. Zum einen war streitig, ob die Anforderungen des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchst. c EStG erfüllt sind. Zum anderen galt es zu prüfen, wie das gesetzliche Merkmal „keinerlei steuerliche Berücksichtigung im Beschäftigungsstaat“ in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchst. c EStG im Hinblick auf die Vorsorgeaufwendungen auszulegen ist.

Grundsätzlich gilt das Abzugsverbot

Der Kläger bezog aufgrund seiner Tätigkeit als Arbeitnehmer Einkünfte in Luxemburg, die unter das dortige Besteuerungsrecht fielen und im Inland unter Progressionsvorbehalt steuerfrei gestellt wurden. Die Beitragslast zur luxemburgischen Pflegeversicherung orientiert sich am Einkommen des Versicherten. Folglich liegt ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang der Beiträge mit steuerfreien Einnahmen vor. Soweit Vorsorgeaufwendungen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen, schließt § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 EStG den Abzug der dort genannten​ Vorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben grundsätzlich aus. Hierdurch soll ein doppelter steuerlicher Vorteil vermieden werden. Dieses Abzugsverbot ist im Streitfall auch grundsätzlich anwendbar, führte der BFH an.

Ausnahme vom Ausschluss des Sonderausgabenabzugsverbots Anwendung

Der deutsche Gesetzgeber hat als Reaktion auf die Entscheidung des EuGH (Urteil vom 22.06.2017, C-20/16, Bechtel, BStBl II 2017, 1271) mit § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 EStG eine Ausnahme vom strengen Sonderausgabenabzugsverbot zur Wahrung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zugelassen. Demnach sind Vorsorgeaufwendungen im Sinne von Abs. 1 Nr. 2, 3 und Nr. 3a (d.h. auch Pflegeversicherungsbeiträge) ungeachtet eines unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs mit steuerfreien Einnahmen gleichwohl als Sonderausgaben zu berücksichtigen, soweit sie in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit in einem (u.a.) EU-Mitgliedstaat erzielten Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit stehen (Buchst. a), diese Einnahmen nach einem DBA im Inland steuerfrei sind (Buchst. b) und der Beschäftigungsstaat keinerlei steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung dieser Einnahmen zulässt (Buchst. c). Die erforderlichen Voraussetzungen sieht der BFH im Streitfall als erfüllt an und schließt sich der Argumentation des FG an, dass die vom Kläger entrichteten Beiträge zur luxemburgischen Pflegeversicherung im Rahmen seiner deutschen Einkommensteuererklärung als Sonderausgaben abzuziehen sind. Das grundsätzlich einschlägige Abzugsverbot gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 EStG findet nach Halbsatz 2 der Vorschrift keine Anwendung. Diese Betrachtungsweise gilt insbesondere für Vorsorgeaufwendungen die im Hinblick auf das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums von Verfassungs wegen in Höhe der tatsächlich geleisteten Beiträge gemäß § 10 Abs. 4 Satz 4 EStG ohne Begrenzung zum Abzug zuzulassen sind.

Die getrennte Betrachtung der einzelnen Sparten der Vorsorgeaufwendungen ist erforderlich

Der BFH setzte sich in dem Streitfall ferner mit der Frage auseinander, wie das dritte Tatbestandsmerkmal (Buchst. c: „keinerlei steuerliche Berücksichtigung im Beschäftigungsstaat“) der steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Tätigkeitsstaat auszulegen ist. Ist die Summenbetrachtung aller geleisteten Vorsorgeaufwendungen entscheidend oder ist eine Betrachtung der Vorsorgeaufwendungen einzeln und getrennt voneinander vorzunehmen? Die in der Vorinstanz vertretene und vom BFH bekräftigte Auffassung, für die Beurteilung einer steuerlichen (Nicht-)Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Beschäftigungsstaat seien die jeweiligen Versicherungssparten losgelöst voneinander zu beurteilen, lässt sich jedenfalls nicht klar aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchst. c EStG ableiten. Entscheidend ist daher, dass bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten unionsrechtlich grundsätzlich der Wohnsitzstaat vorrangig zur Gewährung personen- und familienbezogener Entlastungen verpflichtet ist. Ansonsten wäre nicht gewährleistet, dass die nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG grundsätzlich unbeschränkt abzugsfähigen Beiträge eines im Inland ansässigen Steuerpflichtigen entweder im Beschäftigungs- oder im Wohnsitzstaat steuerlich anerkannt werden. Maßgebend sei hier, dass eine staatenübergreifende Nichtberücksichtigung von bestimmten Vorsorgeaufwendungen den Kläger im Vergleich zu einem unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer, der aufgrund einer Beschäftigung im Inland der Sozialversicherungspflicht unterfiele und seine diesbezüglichen Beiträge voraussetzungslos gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG in Abzug bringen könnte, schlechter stellen würde. Wenn der Beschäftigungsstaat nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchst. c EStG "keinerlei" steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung dort bezogener Einnahmen zulässt, sind die einzelnen Sparten der Vorsorgeaufwendungen daher im Inland getrennt voneinander zu beurteilen und entsprechend steuerentlastend zu berücksichtigen. Nur mit dieser „isoliert“ auf die jeweilige Art von Vorsorgeaufwendungen abstellenden Betrachtung ist sichergestellt, dass der Wohnsitzstaat seine grundsätzliche Pflicht erfüllt, die persönliche und familiäre Situation des Steuerpflichtigen „vollständig“ (vgl. EuGH-Urteil Imfeld und Garcet vom 12.12.2013, C-303/12, HFR 2014, 183, Rz 69) zu erfassen.

Keine Berücksichtigung der Pflegeversicherungsbeiträge im Beschäftigungsstaat

Bei der luxemburgischen Pflegeversicherung ("l'assurance dépendance") handelt es sich um eine im Jahr 1999 eingeführte Pflichtversicherung. Sie ist Teil der dort obligatorischen Sozialversicherungen. Anders als in Deutschland (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG) lässt Luxemburg keinerlei steuerliche Berücksichtigung der gesetzlichen Pflegeversicherungsbeiträge zu. Unter Berücksichtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV), stellte der BFH fest, dass solche Vorsorgeaufwendungen, die nach nationaler Rechtslage grundsätzlich steuermindernd zu berücksichtigen wären und im Beschäftigungsstaat im Rahmen der Besteuerung der dort erzielten Einnahmen von Gesetzes wegen nicht („keinerlei“) zum Abzug zugelassen sind, vom Ausschluss des Sonderausgabenabzugs auszunehmen sind. Andersfalls entstünde eine nicht mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit vereinbare Ungleichbehandlung, die sich nicht aus den Unterschieden zwischen den nationalen Steuervorschriften ergäbe. Hiergegen spricht nicht, dass Luxemburg einen Sonderausgabenabzug für Renten- und Krankenversicherungsbeiträge des Steuerpflichtigen zulässt. Dieser Umstand kann die Nichtabzugsfähigkeit von Beiträgen zu einer gesetzlichen Pflegeversicherung nicht kompensieren. Der § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchst. c EStG setzt folglich voraus, dass der Beschäftigungsstaat „keinerlei“ steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung der dort erzielten Einnahmen zulässt. Eine Einschränkung hat der BFH allerdings angeführt. Die einzelne Betrachtung gilt nur für Vorsorgeaufwendungen, denen sich ein Steuerpflichtiger​ gesetzlich nicht entziehen kann und die ihm zwangsläufig entstehen.

Keine doppelte Berücksichtig von Vorsorgeaufwendungen

Die Münchener Richter erkannten keine Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Sonderausgabenabzug für die bereits in Luxemburg steuermindern berücksichtigten Renten- und Krankenversicherungsbeiträge an. Die Beiträge unterliegen dem in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 EStG geregelten Abzugsverbot. Zwar sind die in Buchst. a und b des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 EStG benannten Anforderungen erfüllt, nicht aber diejenigen des Buchst. c. Eine Ausnahme hiervon ergibt sich weder aus Halbsatz 2 der Vorschrift noch aus der unionsrechtlich garantierten Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dies ist die inzwischen einhellige Auffassung des BFH (siehe dazu auch das BFH Urteil vom 13.4.2021, I R 19/19, BFH/NV 2021, 1357). Denn bei der vorliegend gebotenen einzelnen Betrachtung der Vorsorgeaufwendungen, lässt der Beschäftigungsstaat Luxemburg die vom Kläger streitig gestellten Beiträge zur Renten- und zur Krankenversicherung im Rahmen der Besteuerung der dort erzielten Einnahmen zum Abzug zu. Der Kläger kann aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit daher nicht das Recht herleiten, Vorsorgeaufwendungen staatenübergreifend mehrfach in Abzug zu bringen.

Ergebnis

Der BFH kommt resümierend zum Schluss, dass dem Kläger für die im Rahmen der Besteuerung seiner Arbeitslohneinkünfte in Luxemburg nicht abziehbaren Beiträge zur (dortigen) gesetzlichen Pflegeversicherung ein inländischer Sonderausgabenabzug zusteht. Einen weitergehenden Abzug der übrigen Vorsorgeaufwendungen schloss der BFH dagegen aus. Der BFH stellte in diesem Zusammenhang fest, dass das Unionsrecht den Wohnsitzstaat weder auf der Ebene des Sonderausgabenabzugs noch im Rahmen des Progressionsvorbehalts verpflichtet, Beiträge zu einer bestimmten Sparte von Vorsorgeaufwendungen, die bereits bei der Besteuerung der im ausländischen Beschäftigungsstaat erzielten und im Inland steuerfreien Einnahmen zum Abzug zugelassen worden sind, nochmals in Deutschland steuermindernd zu berücksichtigen. Eine derart mehrfach steuermindernde Berücksichtigung der Beiträge lasse sich, so der BFH, weder aus der nationalen Rechtslage noch aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit herleiten.

Hinweis

Der BFH hat mit dem Urteil eine erste Orientierung für die Auslegung der Ausnahme vom Sonderausgabenabzugsverbot bei steuerbefreiten EU-Auslandseinkünften geschaffen. Allerdings wird vielseitig kritisiert, dass der Wortlaut der Norm ("keinerlei") selbst kleinste Entlastungen im ausländischen Beschäftigungsstaat genügen lässt, um einen inländischen Sonderausgabenabzug auszuschließen.

Betroffene Normen

§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b EStG, § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. c EStG, § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 EStG

Streitjahr
​2016

Vorinstanz

Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.01.2020, 1 K 1904/19

Fundstelle

BFH, Urteil vom 27.10.2021, X R 28/20​

Ihre Ansprechpartner

Christian Röpke
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croepke@deloitte.de
Tel.: (040) 32080-4901

Stefan Prokop
Manager

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Tel.: (0211) 8772 5700

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