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20.06.2017
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Steuerbefreiung für die Dienstleistungen selbständiger Zusammenschlüsse für ihre Mitglieder; Generalanwälte beim EuGH legen Schlussanträge vor

 Neben der Rechtsnatur des Zusammenschlusses und deren Branchenbeschränkung bleibt die grenzüberschreitende Anwendung fraglich.

Hintergrund

 Der EuGH urteilte in der Rechtssache Kommission/Luxemburg, C-274/15, dass die luxemburgische Regelung, nach der sonstige Leistungen eines selbständigen Zusammenschlusses von Personen an dessen Mitglieder steuerbefreit sind, wenn diese Leistungen für steuerpflichtige Leistungen eines Mitglieds genutzt werden, sofern der Umsatz dieser steuerpflichtigen Tätigkeit nicht mehr als 30% des Gesamtumsatzes ausmacht, zu weitreichend ist. Die Anwendung der Steuerbefreiung setzt voraus, dass die Mitglieder des Zusammenschlusses eine Tätigkeit ausüben, die entweder steuerbefreit oder nicht steuerbar ist. Die an den Zusammenschluss erbrachte sonstige Leistung muss unmittelbar dem Zweck der Ausübung der steuerbefreiten Tätigkeit des Mitglieds dienen.

Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung wird das Urteil im Vertragsverletzungsverfahren Kommission/Deutschland, C-616/15, mit Spannung erwartet. In diesem Verfahren vertritt die Kommission die Ansicht, dass Deutschland dadurch gegen seine unionsrechtlichen Verpflichtungen verstoßen hat, dass es die Umsatzsteuerbefreiung für Dienstleistungen auf selbständige Zusammenschlüsse von Personen beschränkt hat, deren Mitglieder heilberufliche Leistungen im Bereich der Humanmedizin erbringen (vgl. § 4 Nr. 14 UStG). Auch in den beiden weiteren anhängigen Verfahren DNB Banka, C-326/15 und Aviva, C-605/15, geht es um die Fragen

  • welche Rechtsform ein selbständiger Zusammenschluss von Personen aufweisen muss,
  • ob die Steuerbefreiungsvorschrift auf Zusammenschlüsse von Versicherungsunternehmen/Banken anwendbar ist oder sie nur Tätigkeiten erfasst, die dem Gemeinwohl dienen,
  • wie das gesetzliche Erfordernis, dass die Leistungen von Kostenteilungsgemeinschaften nicht im Wettbewerb mit kommerziellen Dienstleistern stehen dürfen, auszulegen und
  • ob die Steuerbefreiungsvorschrift auch auf grenzüberschreitende Leistungen anwendbar ist.

Schlussanträge der Generalanwälte

 Während die Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen zu DNB Banka, C-326/15 und Aviva, C-605/15 meint, dass ein selbständiger Zusammenschluss von Personen zwar keine juristische Person aber ein Steuerpflichtiger im Sinne der MwStSystRL sein muss, gelangt Generalanwalt Wathelet im Rahmen seines Schlussantrags im Vertragsverletzungsverfahren Kommission/Deutschland, C-616/15, zum gegenteiligen Ergebnis. Folgt man der Ansicht der Generalanwältin, so erfüllt ein Konzern als solcher die Voraussetzung eines selbständigen Zusammenschlusses nicht, da es an der erforderlichen Selbständigkeit über eigenes Vermögen zu verfügen, fehlt. Ausgehend von der systematischen Stellung und der Entstehungsgeschichte der Steuerbefreiungsvorschrift führt die Generalanwältin weiter aus, dass die Steuerbefreiung nur dann greifen könne, wenn die Mitglieder steuerfreie Umsätze im Sinne von Art. 132 MwStSystRL (nur bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten) ausführten. Darunter fallen Finanzdienstleistungen nicht, so dass die Steuerbefreiung nicht auf Zusammenschlüsse von Finanzdienstleistern wie Versicherungen oder Banken anwendbar wäre. Anderer Ansicht sind hingegen die Kommission und der Generalanwalt Wathelet im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, C-616/15.

Sowohl die Kommission als auch der Generalanwalt wenden sich gegen jegliche Beschränkung der Steuerbefreiungsvorschrift, also auch gegen die mögliche Beschränkung auf die dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten. Im Hinblick darauf, dass die Leistungen von Kostenteilungsgemeinschaften nicht im Wettbewerb mit kommerziellen Dienstleistern stehen dürfen, führt der Generalanwalt mit Verweis auf das EuGH Urteil v. 20.11.2013, Taksatorringen, C-8/01 aus, dass es auf eine Einzelfallprüfung ankomme. Eine wie nach dem deutschen Umsatzsteuerrecht vorgesehene Beschränkung der Befreiungsvorschrift auf heilberufliche Leistungen, sei jedenfalls nicht durch eine reale und allgemeine Gefahr von Wettbewerbsverzerrung für alle Zusammenschlüsse, die nicht im Gesundheitssektor tätig sind, zu rechtfertigen. Generalanwältin Kokott führt in diesem Zusammenhang aus, dass das Tatbestandsmerkmal der fehlenden Wettbewerbsverzerrung restriktiv, im Sinne einer Vorschrift zur Missbrauchsvermeidung, ausgelegt werden müsse. Ferner ist sie der Ansicht, dass die Steuerbefreiungsvorschrift nicht auf einen grenzüberschreitenden Zusammenschluss Anwendung finden kann. Das Steueraufkommen eines Mitgliedstaats von (wechselnden) Situationen und nicht verifizierbaren Einschätzungen in anderen Mitgliedstaaten oder gar Drittstaaten abhängig zu machen, führe in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten.

Anmerkung

 Sollte der EuGH im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland dem weiten Verständnis des Generalanwalts Wathelet in seinem Schlussantrag folgen, so fielen zukünftig gemeinwohlbezogene, aber auch andere steuerfreie Tätigkeiten im Sinne von Art. 135 MwStSystRL in den Anwendungsbereich der Befreiungsvorschrift.

Auch für den Bereich der juristischen Personen des öffentlichen Rechts wird die Befreiungsvorschrift an Bedeutung gewinnen, wenn der EuGH zu dem nicht unwahrscheinlichen Ergebnis kommt, dass die deutsche Vorschrift nicht im Einklang mit der MwStSystRL steht. Wechselwirkungen könnten sich zudem auf den Anwendungsbereich der umsatzsteuerlichen Organschaft ergeben. Sachverhalte, bei denen die strengen Voraussetzungen der Organschaft nicht erfüllt sind, könnten dann gegebenenfalls über die Vorschrift des Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL – und je nach Entscheidung des EuGH in den Rechtssachen DNB Banka und Aviva sogar grenzüberschreitend – von der Steuer befreit sein.

Betroffene Norm

 Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL; § 4 Nr. 14 UStG

Fundstellen

EuGH, Urteil vom 4. Mai 2017, C‑274/15 

EuGH, SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN JULIANE KOKOTT vom 1. März 2017, C‑326/15 

EuGH, SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN JULIANE KOKOTT vom 1. März 2017, C‑605/15

EuGH, SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS MELCHIOR WATHELET vom 5. April 2017, C‑616/15

Weiterführende Literatur

- Ismer, Piotrowski, Reiß, MwStR 2017, S. 345, Kostenteilungsgemeinschaften nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL: Showdown am EuGH
- Möser, MwStR 2017, S. 375, Kostenteilungsgemeinschaften in der Banken- und Versicherungsbranche

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