BFH: Sind die Regelungen über die Anrechnung ausländischer Steuern EU-widrig?
Eine unionsrechtskonforme Berechnung der anrechenbaren ausländischen Steuern verlangt, dass alle steuerrechtlich abzugsfähigen personenbezogenen und familienbezogenen Positionen, insb. die Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen sowie der Altersentlastungsbetrag und der Grundfreibetrag, von der Summe der Einkünfte im Nenner der Anrechnungsformel abgezogen werden. Eine weitergehende Steueranrechnung ist weder unions- noch verfassungsrechtlich geboten. Insbesondere ist die gesetzlich vorgegebene länderbezogene Aufteilung (per country limitation) bei der Höchstbetragsberechnung nicht zu beanstanden.
BFH, Urteil vom 18.12.2013, I R 71/10, siehe Deloitte Tax-News
--------------------------------------------------------------------------
BFH-Beschluss vom 09.02.2011:
EuGH-Vorlage zu der Frage, ob die Regelungen über die Anrechnung ausländischer Steuern auf die festgesetzte deutsche Einkommensteuer in Einklang mit den unionsrechtlichen Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten steht (§ 34c EStG).
Sachverhalt
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Im Streitjahr 2007 erzielten sie Kapitaleinkünfte u.a. aus Beteiligungen (sog. Streubesitz) an ausländischen Kapitalgesellschaften. Sie begehren die Anrechnung von ausländischen Kapitalertragsteuern, die auf Dividenden der jeweiligen Kapitalgesellschaften in den betreffenden Staaten erhoben worden waren. Sie sehen in der beschriebenen Minderung der Anrechnungshöchstbeträge einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit, die sogar weltweit, nicht nur innerhalb der Europäischen Union greifen kann. Aus diesem Grunde erstreben sie die Herabsetzung ihrer Steuerschuld um 1.200 Euro. Ihre Klage blieb erfolglos.
Entscheidung
Dem EuGH wird die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Regelungen über die Anrechnung ausländischer Steuern auf die festgesetzte deutsche Einkommensteuer in Einklang mit den unionsrechtlichen Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten steht (§ 34c EStG).
Erwirtschaften Personen, die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sind, im Ausland Einkünfte und zahlen sie darauf im Ausland Steuern, dann können diese Steuern unter bestimmten Voraussetzungen auf die deutsche Einkommensteuer angerechnet werden, um eine doppelte Besteuerung der ausländischen Einkünfte in Deutschland und im Ausland zu vermeiden. Die Steueranrechnung ist aber der Höhe nach beschränkt, und zwar auf einen Anrechnungshöchstbetrag. Dieser Höchstbetrag ist in einer Verhältnisrechnung zu ermitteln: Die deutsche Einkommensteuer, die sich bei der Veranlagung des zu versteuernden Einkommens einschließlich der ausländischen Einkünfte ergibt, wird im Verhältnis der ausländischen Einkünfte zur Summe der Einkünfte aufgeteilt (§§ 34c, 34d EStG). Im Ergebnis hat das zur Folge, dass vor allem solche privat veranlasste Ausgaben der Lebensführung, die vom Steuerpflichtigen im Inland steuerlich als Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden können, teilweise auch auf die ausländischen Einkünfte entfallen und dadurch das Anrechnungsvolumen mindern.
Ob diese verhältnismäßige "Teilhabe" der ausländischen Einkünfte an jenen Abzugsposten im Rahmen der Höchstbetragsberechnung zur Begrenzung der Anrechnungsbeträge den unionsrechtlichen Anforderungen des Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot (Kapitalverkehrsfreiheit) uneingeschränkt standhält, wird bezweifelt. Zwar wird eingeräumt, dass Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen nicht mit bestimmten Einkunftsteilen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, sondern das Gesamteinkommen belasten. Jedoch sei es prinzipiell Sache des Ansässigkeitsstaates, Kosten der persönlichen Lebensführung sowie der personen- und familienbezogenen Umstände zu berücksichtigen, nicht aber des Quellenstaates (s. dazu z.B. EuGH-Urteile vom 14.02.1995, 14.09.1999, BFH-Urteil vom 10.01.2007, EuGH-Urteil vom 06.07.2006). So gesehen müsse im Rahmen der Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags statt auf die "Summe der Einkünfte" (vgl. § 2 Abs. 3 EStG 2002) auf das zu versteuernde Einkommen (vgl. § 2 Abs. 5 EStG 2002) abgestellt werden, um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen, die ganz überwiegend Kosten der persönlichen Lebensführung sowie der personen- und familienbezogenen Umstände repräsentieren, als Minderungspositionen einzubeziehen und damit den "richtigen" Höchstbetrag zu bestimmen.
Dass die ausländischen Einkünfte und die darauf entfallenden ausländischen Steuern, um deren Anrechnung im Streitfall gestritten wird, nur teilweise aus Mitgliedstaaten der EU stammen, teilweise aber aus sog. Drittstaaten (Schweiz, USA, Japan), muss einer gemeinschaftsrechtlichen Beurteilung nicht entgegenstehen. Art. 56 EG (Art. 63 AEUV) bezieht ausdrücklich Drittstaaten ein.
Der Klage- und Revisionsantrag wurde ausdrücklich auf den Unterschiedsbetrag beschränkt, der sich ergibt, wenn bei der beschriebenen Anrechnungshöchstbetragsberechnung die steuerlich abziehbaren Kosten der Lebensführung einbezogen werden. Die Frage einer Erstattung ausländischer Quellensteuern durch den Ansässigkeitsstaat stellt sich nicht, wäre wohl aber auch zu verneinen (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 20.05.2008).
Betroffene Norm
§ 34c Abs. 1 EStG 2002, § 34d EStG 2002
Streitjahr 2007
Vorinstanz
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21.07.2010, 1 K 332/09, EFG 2010, S. 1689, siehe ausführlicher in den Deloitte Tax-News
Fundstellen
BFH, Urteil vom 18.12.2013, I R 71/10, siehe Deloitte Tax-News
BMF, Schreiben vom 30.09.2013, IV B 3 - S 2293/09/10005-04
EuGH, Urteil vom 28.02.2013, C-168/11
BFH, Beschluss vom 09.02.2011, I R 71/10, BStBl II 2011, S. 500
Pressemitteilung Nr. 30 vom 13.04.2011 zu BFH I R 71/10 vom 09.02.2011
Weitere Fundstellen
EuGH, Urteil vom 14.02.1995, C-279/93 "Schumacker", Slg. 1995 I, S. 225, Tz. 34
EuGH, Urteil vom 14.09.1999, C-391/97 "Gschwind", Slg. 1999 I, S. 5451, BStBl II 1999, S. 841
BFH, Urteil vom 10.01.2007, I R 87/03, BStBl II 2008, S. 22
EuGH, Urteil vom 06.07.2006, C-346/04 "Conijn", Slg. 2006 I, S.6137
EuGH, Urteil vom 20.05.2008, C-194/06 "Orange European Smallcap Fund NV", Slg. 2008 I, S. 3747