COVID 19: Prüfung der Herabsetzung der Vergütung durch den Aufsichtsrat
Der Aufsichtsrat hat im Rahmen seiner allgemeinen Überwachung die Auswirkungen der COVID 19-Pandemie auf die Lage der Gesellschaft sorgfältig zu prüfen. Dazu gehört auch die Pflicht, zu prüfen, ob die Vorstandsvergütung (etwa gemäß § 87 Abs. 2 AktG) herabzusetzen ist.
COVID 19 und Vorstandsvergütung: Erwartungshaltung und rechtliche Implikationen
Das zum Jahresanfang in Kraft getretene Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) hat erst in jüngster Vergangenheit Fragen rund um die Vorstandsvergütung bei börsennotierten Gesellschaften auf die Tagesordnung des Aufsichtsrats gebracht. Nach dem neu eingeführten § 87a AktG hat der Aufsichtsrat ein qualifiziertes Vorstandsvergütungssystem zu beschließen (s. zu den wesentlichen Vergütungsregelungen des ARUG II unseren Client Alert).
Aufgrund der COVID 19-Pandemie haben sich Aufsichtsräte nunmehr erneut mit der Vorstandsvergütung auseinanderzusetzen. Dies gilt zunächst und in besonderem Maße für Unternehmen, die staatliche Unterstützungsleistungen aus einzelnen Förderprogrammen des Bundes in Anspruch genommen haben oder in Anspruch zu nehmen gedenken (s. dazu nur den allgemeinen Deloitte Legal-Client Alert zu COVID 19). Für diese haben Mitglieder der Bundesregierung eine klare Erwartungshaltung an die Vergütungssysteme und deren Durchführung artikuliert:
- „Auch das Management muss einen Beitrag erbringen, dessen Höhe im Einzelfall zu klären ist.“ (Peter Altmaier in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 27.04.2020 zu der Erwartungshaltung der Beteiligung der Geschäftsleitung an Maßnahmen zur Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der COVID 19-Pandemie für Unternehmen).
- „Bei Krediten ab 500 Mio. Euro wird eine Selbstverpflichtung der Unternehmen erwartet, die Bonuszahlungen bzw. variable Vergütungen für das Jahr 2020 für Vorstände ausschließt.“ (Antwort des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 22.04.2020 auf die Anfrage des MdB D. Bartsch, wie viele der börsennotierten Unternehmen, die anlässlich COVID 19 staatliche Unterstützungen beantragt haben, ihren Vorstandsmitgliedern im laufenden Geschäftsjahr Boni auszahlen).
Zumindest in Teilen haben diese politischen Programmsätze bereits Eingang in die einschlägigen KfW-Bedingungen gefunden.
Immer wieder werden auch Forderungen laut, Gewinn- und Dividendenausschüttungsverbote sowie Auszahlungsverbote für Boni auch im Rahmen anderer staatlicher Unterstützungsmaßnahmen vorzusehen, etwa bei der Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld.
Aber auch bei Aktiengesellschaften, die keine staatlichen Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen, hat sich der Aufsichtsrat im Zusammenhang mit den Auswirkungen der COVID 19-Pandemie auf die Gesellschaft mit etwaigen Implikationen auf die Vorstandsvergütung zu befassen. Konkret hat er zu prüfen, ob er die Vergütung des Vorstands kürzen muss.
Pflicht zur Herabsetzung der Vorstandsvergütung
Nach § 87 Abs. 2 AktG soll der Aufsichtsrat die Bezüge der Vorstandsmitglieder auf eine angemessene Höhe herabsetzen, wenn sich die Lage der Gesellschaft verschlechtert und die weitere Gewährung der (unveränderten) Bezüge unbillig ist.
Die Herabsetzungsbefugnis nach § 87 Abs. 2 AktG beinhaltet ein Gestaltungsrecht – das Gesetz berechtigt den Aufsichtsrat in der Krise, einseitig in das Vertragsverhältnis mit dem Vorstand einzugreifen. Das im Wortlaut verankerte „soll“ darf keinen falschen Eindruck erwecken und nicht darüber hinwegtäuschen: In der Krise ist der Aufsichtsrat dazu verpflichtet, die Bezüge zu kürzen, sofern nicht ausnahmsweise besondere Umstände vorliegen, die eine Weitergewährung in bisheriger Höhe rechtfertigen. Die Herabsetzungsmöglichkeit nach § 87 Abs. 2 AktG kann insoweit ebenso wenig wie die mit ihr einhergehende Prüfungspflicht des Aufsichtsrates weder durch Satzung noch durch eine Individualvereinbarung mit dem Vorstandsmitglied ausgeschlossen oder erschwert werden.
Die Voraussetzungen für die Herabsetzung: Verschlechterung der Lage der Gesellschaft und Unbilligkeit der fortgesetzten Vergütung in unveränderter Höhe
Für die Herabsetzung genügt im Ausgangspunkt jede Verschlechterung der Lage der Gesellschaft, gleich woraus diese resultiert und ohne dass sie besonders wesentlich sein muss.
Den Vergleichsmaßstab für die Verschlechterung der Lage bildet die Lage der Gesellschaft im Zeitpunkt des Abschlusses des Anstellungsvertrages – wirtschaftliche Schwierigkeiten, die bereits beim Abschluss des Anstellungsvertrages bekannt waren, begründen daher kein Herabsetzungsrecht – und auch keine Verpflichtung des Aufsichtsrates zur Herabsetzung.
Neben der Verschlechterung muss es unbillig sein, die bisherige Vergütung weiter zu zahlen. Das ist zweifelsohne bei existenzbedrohenden Krisen der Fall, insbesondere bei einer drohenden Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft.
Aber auch unterhalb dieser Schwelle kann im Einzelfall eine Unbilligkeit gegeben sein, die es der Gesellschaft ermöglicht und den Aufsichtsrat verpflichtet, von einer Fortzahlung der unveränderten Vergütung abzusehen. Der Aufsichtsrat hat dazu anhand der Umstände des Einzelfalls eine Billigkeitsprüfung durchzuführen. Dabei hat er auf Seiten der Gesellschaft den Umfang der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft gegenüber dem Zeitpunkt des Abschlusses des Anstellungsvertrages zu berücksichtigen sowie in welchem Maße die eingetretene Verschlechterung dem Vorstandsmitglied zurechenbar ist. Auf Seiten des Vorstandsmitgliedes hat der Aufsichtsrat die persönlichen Verhältnisse des betroffenen Vorstandsmitglieds zu würdigen. Etwaige Pflichtverletzungen des Vorstandsmitglieds in Bezug auf die Verschlechterung der Lage sind ebenfalls zu berücksichtigen, das Vorliegen von Pflichtverletzungen ist allerdings für die Annahme der Unbilligkeit nicht erforderlich.
Mit Blick auf die COVID 19-Pandemie wird danach eine unbillige Verschlechterung der Lage der Gesellschaft im Einzelfall anzunehmen sein,
- wenn der operative Geschäftsbetrieb pandemiebedingt, etwa aufgrund der zur Eindämmung der Pandemie angeordneten Beschränkungen, teilweise oder gar vollständig einzustellen war,
- die Gesellschaft in einem signifikanten Umfang pandemiebedingte Forderungsausfälle zu verzeichnen hat,
und diese Umstände sich jeweils nachhaltig – also mindestens auf die fortgesetzte Planung des laufenden Geschäftsjahres und des Folgegeschäftsjahres bezogen – auf die wirtschaftliche (Ertrags-)Lage der Gesellschaft auswirken.
Als Indizien für die nachhaltige nachteilige Auswirkung auf die Ertragslage der Gesellschaft können weiter Maßnahmen herangezogen werden, die die Gesellschaft zur Vermeidung dieser Auswirkungen ergreift. Hierunter fallen zum Beispiel eine Dividendenkürzung (bis hin zu Null), die Inanspruchnahme staatlicher Unterstützungsleistungen, vor allem aus den relevanten COVID 19-Hilfsprogrammen, in einem signifikanten Umfang, die Anordnung von Kurzarbeit und Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld (in großem Stil) bzw. Personalmaßnahmen wie (Massen-)Entlassungen oder dauerhafte Lohnkürzungen für die Mitarbeiter.
Der konkrete Pflichtenkanon bei der Herabsetzung der Vergütung
Liegen die Voraussetzungen für eine Herabsetzung vor, hat der Aufsichtsrat die Vergütung anzupassen.
Dabei muss er die Vergütung auf die gerade noch angemessene Höhe herabsetzen. Dabei hat er sämtliche Umstände zu berücksichtigen und abzuwägen, also sowohl Anlass, Schwere und Dauer der Verschlechterung der Lage für die Gesellschaft als auch die persönlichen Verhältnisse des einzelnen betroffenen Vorstandsmitglieds.
Viele Details sind in der rechtswissenschaftlichen Literatur und Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt – auch und gerade weil vergleichbare Fallgestaltungen zumindest in den letzten 12 Jahren eher Seltenheitswert hatten. Gefragt ist deshalb eine sorgfältige und einzelfallgerechte Entscheidung durch den Aufsichtsrat.
Folgt man der Rechtsprechung des BGH, besteht für den Aufsichtsrat insoweit jedoch kein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum. Den einschlägigen Bewertungsmaßstab für den Zielbetrag der herabgesetzten Vergütung bildet die Gesamtvergütung, die das einzelne Vorstandsmitglied bei Abschluss des Vorstandsanstellungsvertrages zum Zeitpunkt der Entscheidung des Aufsichtsrats über die Herabsetzung als angemessene Vergütung im Sinne des § 87 Abs. 1 AktG mit der Gesellschaft vereinbaren könnte.
Basierend auf § 87 Abs. 2 AktG kann insbesondere die noch nicht ausgezahlte laufende Vergütung gekürzt werden. Umstritten ist demgegenüber, ob auf noch nicht ausgezahlte aber erdiente Boni des Vorjahres zurückgegriffen werden darf.
Jedenfalls hat der Aufsichtsrat, wenn der Vorstand auch eine erfolgs- bzw. leistungsabhängige variable Vergütung erhält, zu prüfen, ob diese – angesichts der Nichterfüllung bzw. nur teilweisen Erfüllung von einzelnen Erfolgs- bzw. Leistungsparametern – im laufenden Geschäftsjahr weniger wert ist.
In solchen Fällen kann unter Umständen bereits die damit einhergehende Reduzierung der Gesamtvergütung die Unbilligkeit einer unveränderten Fortführung des bestehenden Vergütungssystems beseitigen, so dass eine zusätzliche Kürzung der laufenden Bezüge nicht (mehr) erforderlich ist.
Bei einer nachhaltigen Verschlechterung der Lage der Gesellschaft hat der Aufsichtsrat im Einzelfall auch eine Herabsetzung der Leistungen aus einer Zusage der betrieblichen Altersversorgung (BAV-Zusage) zu prüfen – die sich dann auf die weiteren erdienbaren Versorgungsanwartschaften des Vorstandsmitglieds (Future Service) auswirkt.
Schließlich muss der Aufsichtsrat aber auch berücksichtigen, dass die Vorstandsmitglieder, deren Vergütung gekürzt wird, ein Sonderkündigungsrecht haben, wonach sie das Vorstandsanstellungsverhältnis mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen auf den Schluss des nächsten Kalendervierteljahrs kündigen können (§ 87 Abs. 2 S. 3 AktG). Es mag daher im Einzelfall im Interesse der Gesellschaft liegen, das Gehalt eines für die Bewältigung der Krise wichtigen Managers nicht zu kürzen, um nicht das Risiko einer von ihm erklärten Kündigung herbeizuführen.
Der Aufsichtsrat hat seine konkrete Befassung mit Fragen der Vorstandsvergütung und den Ablauf und die Ergebnisse der Prüfung einer etwaigen Herabsetzung der Vergütung nach § 87 Abs. 2 AktG (inklusive des Beschlusses über die Herabsetzung) umfassend zu dokumentieren, um seine konkrete Entscheidung transparent und – im Hinblick auf eine etwaige gerichtliche Prüfung – aktienrechtlich nachvollziehbar zu machen. Die Dokumentation hat insbesondere die konkreten Erwägungen zu enthalten, die der Aufsichtsrat in die konkreten Billigkeitsentscheidungen in seiner Entscheidung über die Herabsetzung der Vergütung und eine etwaige Neufestsetzung von deren Höhe einbezogen hat. Die Dokumentation dient dem Aufsichtsrat zudem zum Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung seiner organschaftlichen Pflichten nach Maßgabe der §§ 93, 116 AktG und erfüllt damit auch den Zweck, Haftungsrisiken für die Aufsichtsratsmitglieder zu vermeiden.
Zusammenfassung:
Die Folgen der COVID-19-Pandemie können sich im Einzelfall auf die (Höhe der) Vergütung der Vorstände von Aktiengesellschaften auswirken. Den Aufsichtsrat trifft die Verpflichtung, zu prüfen, ob die vereinbarte Vergütung angesichts der Folgen der Pandemie weiterhin angemessen oder aber als unbillig anzusehen ist. Der Aufsichtsrat hat diese Prüfung auf der Grundlage hinreichend belastbarer Prognose zu Auswirkungen der COVID 19-Pandemie auf die Lage der Gesellschaft durchzuführen und eine einzelfallgerechte Abwägung vorzunehmen. Unterlässt er dies, besteht das Risiko, dass sich die Aufsichtsratsmitglieder selbst Haftungsrisiken aussetzen und schadensersatzpflichtig machen.
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