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05.04.2016
Unternehmensrecht

Übersicht über aktuelle Rechtsprechung zu Preisanpassungsfragen in Strom- und Gaslieferverträgen

Der Beitrag greift bedeutende Urteile aus der neueren Rechtsprechung zu (Preis-)Anpassungsrechten in AGB von Energielieferverträgen auf. Hierbei geht es insbesondere um Sonderkündigungsrechte bei gestiegener EEG-Umlage und die Verfassungsbeschwerde gegen BGH-Urteile zu Preisanpassungsklauseln, die bereits vom EuGH als nicht transparent beurteilt wurden.

Einseitige Änderungen von Energielieferverträgen durch die Lieferanten sind in unterschiedlicher Ausprägung seit geraumer Zeit Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. Beschränkten sich die Rechtsstreitigkeiten zunächst auf die Auslegung der sogenannten Steuer- und Abgabenklausel und die Geltendmachung überhöhter Netzentgelte unter Verstoß gegen § 315 Abs. 3 BGB, so beschäftigt sich der BGH seit Jahren mit der Frage der AGB-rechtlichen Zulässigkeit von Preisanpassungsklauseln. Auf die völlig verunglückten (vermeintlichen) Preisanpassungsregelungen in den AVBen bzw. den GVVen folgten unzählige BGH-Verfahren und sogar die Vorlage zum EuGH. Nachfolgend stellen wir nunmehr die jüngste Rechtsprechung zu (Preis-)Anpassungsregelungen in AGB vor.

I. Urteil des LG Düsseldorf vom 22.10.2015 zum Sonderkündigungsrecht bei gestiegener EEG-Umlage

Das Landgericht Düsseldorf hat (Urteil vom 22.10.15, Az. 14d O 4/15) entschieden, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die das bei Preisanpassungen gesetzlich vorgesehene Sonderkündigungsrecht des Verbrauchers im Falle der Erhöhung von gesetzlichen Steuern, Abgaben und sonstigen hoheitlichen Abgaben (insbesondere EEG-Umlage) ausschließen, eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners darstellen und somit unwirksam sind. Die Besprechung dieses Urteils können sie vertieft hier nachlesen.

Folgen für Versorger – Gestaltung von AGB
Die Rechtsprechung folgt hier der überwiegenden Praxis der Versorger, die ein Sonderkündigungsrecht auch bei der Weiterwälzung von „Steuern, Abgaben und sonstigen hoheitlichen Belastungen“ nicht ausschließen. In der Praxis bedeutet dies aber, dass Kunden mindestens ein jährliches Preisanpassungsrecht allein aufgrund der jährlichen Anpassung der EEG-Umlage eingeräumt wird. Diese Folge konterkariert die AGB-rechtlich zulässige Laufzeit in Verbraucherverträgen von 24 Monaten, die im Hinblick auf die Akquisitionskosten durchaus angemessen erscheint.

Die Rechtsprechung überrascht auf Grundlage der gesetzlichen Herleitung nicht, führt aber zu systemwidrigen Ergebnissen, so dass fraglich ist, ob hier nicht eine andere Auslegung von EU-Richtlinie und EnWG geboten erscheint.

Es ist bisher aber in der Rechtsprechung nicht geklärt, ob vor allem die gesetzlich veranlassten Umlagen, auf die der Lieferant keinen Einfluss hat (wie etwa EEG, Offshore-Haftung, Regelenergieumlage) und die somit von jedem Lieferanten in der gleichen Höhe erhoben werden, nicht so zu behandeln sind wie beispielsweise die Umsatzsteuer. Im Wesentlichen handelt es sich ja um eine transparente Kostenweitergabe, die vor dem Hintergrund von § 307 BGB nicht bedenklich sein dürfte. Nach der Rechtsprechung ist „bei der Beurteilung von AGB auf Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen“ (BGH, Urteil vom 25.11.2015, Az. VIII ZR 360/14). Für einen solchen „durchschnittlichen Vertragspartner“ dürfte es keinen Unterschied machen, ob der Preis aufgrund einer Umsatzsteuererhöhung steigt oder aufgrund einer Erhöhung der besagten Umlagen. Erhöhungen dieser „hoheitlich veranlassten“ Preisbestandteile sind – gleich ob es sich um die Umsatzsteuer oder eine Umlage handelt – immer dem Einfluss des Verwenders der AGB entzogen. Ein Sonderkündigungsrecht verfolgt ja vor allem den Zweck, dem Verbraucher den Wechsel zu einem anderen Energieversorger zu ermöglichen. Wenn die Umlagen aber immer gleich sind, kann das Kündigungsrecht seinen Zweck nicht erfüllen. Der EuGH hat etwa zu Preisanpassungsklauseln in Mobilfunkverträgen, die an den Verbraucherpreisindex anknüpften, entschieden, dass diese nach Maßstäben der Universaldienstrichtlinie (Richtlinie 2002/22/EG) nicht zu beanstanden seien, obwohl die EU-Richtlinie eine ähnliche Regelung wie die EU-Binnenmarktrichtlinien Strom und Gas enthält (EuGH, Urteil vom 26.11.2015, Rs. C-326/14).

Mithin ist es fragwürdig, ob jegliche Anpassung von Umlagen als eine Vertragsänderung im Sinne des EnWG oder der EU-Richtlinie zu sehen ist. Andererseits fehlt eine explizite gesetzliche Regelung wie in § 29 UStG. Die Rechtsprechungsentwicklung bleibt daher abzuwarten.

II. Urteil des BGH vom 09.12.2015 zu Preis- und Vertragsanpassungsklausel in AGB eines Gaslieferanten

Mit Urteil vom 09.12.2015 hat der BGH (Az. VIII ZR 349/14) entschieden, dass eine AGB-Klausel in einem Normsonderkundenvertrag, in der der Verwender sich das Recht vorbehält, Vertragsanpassungen vorzunehmen, die nicht Preisanpassungen oder vertragswesentliche Regelungen sind, gegen § 308 Nr. 5 BGB sowie das Transparenzverbot gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstößt.

Eine Klausel, die dem Vertragspartner im Falle einer Preisanpassung das Recht einräumt, den Vertrag nur bis zum Wirksamwerden der Preisanpassung außerordentlich zu kündigen, hielt das Gericht hingegen für wirksam.

1. Die „Vertragsanpassungs“-Klausel
Die allgemeine Anpassungsklausel lautete wie folgt:
„Anpassungen des Vertrags, ausgenommen Preisanpassungen und vertragswesentliche Regelungen, werden dem Kunden mit einer Frist von mindestens 6 Wochen zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens schriftlich mitgeteilt. In diesem Fall ist der Kunde berechtigt, den Vertrag in Textform ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zum Inkrafttreten der Anpassung zu kündigen. Kündigt er den Vertrag nicht, so treten die Anpassungen ab dem in der Mitteilung genannten Zeitpunkt in Kraft. Die W. AG ist verpflichtet, den Kunden in der schriftlichen Mitteilung auf die Bedeutung seines Schweigens hinzuweisen.“

Verstoß gegen § 308 Nr. 5 BGB und das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB)
Nach Ansicht des BGH habe die streitgegenständliche Klausel dem Vertragspartner nur die Möglichkeit gelassen, zu kündigen oder zu schweigen und die Vertragsanpassung zu akzeptieren. Eine anderweitige Willensbetätigung, z.B. in Form eines Widerspruchs gegen die beabsichtigte Vertragsanpassung, räume die Klausel dem Vertragspartner nicht ein und verstoße somit gegen § 308 Nr. 5 BGB.

Ungeachtet dessen werde die Klausel auch dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht gerecht. Der Verwender der o.g. Klausel mache laut BGH nicht hinreichend deutlich, welcher Art die genannte „Vertragsanpassung“ sein könne. Es werde lediglich deutlich, dass es sich nicht um Preisanpassungen handeln könne. Der Begriff der „vertragswesentlichen Regelungen“ sei hingegen nicht hinreichend verständlich. Dies führe zwar nicht zwangsläufig zur Intransparenz der Klausel, dem Verwender sei es aber zur Sicherstellung der Transparenz unschwer möglich gewesen, die Klausel ggf. durch Nennung einiger Beispiele konkreter zu fassen.

2. Die Preisanpassungsklausel
Zur vereinbarten Preisanpassungsklausel entschied der BGH, dass die Klausel nicht zum Nachteil des Kunden von wesentlichen Grundgedanken des § 41 Abs. 3 Satz 2 EnWG abweiche und deshalb nicht nach § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB unwirksam sei. Die Klausel lautete: „Dem Kunden steht im Fall einer Preisänderung das Recht zu, den Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist außerordentlich auf das Datum des Wirksamwerdens der Preisänderung zu kündigen.“

Trotz des Schweigens der Regelung des § 41 Abs. 3 S. 2 EnWG zu einer zeitlichen Grenze des eingeräumten Kündigungsrechts sei es jedenfalls allgemein anerkannt, dass das außerordentliche Kündigungsrecht aus wichtigem Grund innerhalb einer angemessenen Zeit nach Kenntnis über das Kündigungsrecht ausgeübt werden müsse. Dieser Gedanke liege auch der allgemeinen Regelung des § 314 Abs. 3 BGB zugrunde. Vor diesem Hintergrund sei die Einräumung eines unbefristeten Kündigungsrechts weder vom Wortlaut noch von den Gesetzesmaterialien zu § 41 Abs. 3 S. 2 EnWG gedeckt. Auch entspräche eine solch weitgehende Ausdehnung des Kündigungsrechts nicht dem Sinn und Zweck der Regelung. Diese bezwecke allein, dass der Kunde die Möglichkeit habe, sich von einem Vertrag zu lösen, dessen neue Gestaltung sich aufgrund des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts des Versorgers zu Lasten des Kunden auswirken würde. Diesem Zweck ist genüge getan, wenn dem Kunden das Kündigungsrecht nur bis zum Wirksamwerden der Leistungsanpassung zustehe.

III. Urteil des BGH vom 09.12.2015 zum Preisänderungsrecht eines Gasgrundversorgers

Mit Urteil vom 09.12.2015 (Az. VIII ZR 330/12) hat der BGH entschieden, dass einem regionalen Gasgrundversorger in einem Tarifkundenvertrag (jetzt: Grundversorgungsvertrag) für die Zeit 2005 bis 2008 bei gestiegenen (Bezugs-)Kosten ein Preisänderungsrecht aus ergänzender Vertragsauslegung zustand. Damit bestätigt der BGH die grundlegenden Senatsurteile vom 28.10.2015 (Az. VIII ZR 158/11 und Az. VIII ZR 13/12) zum Preisänderungsrecht aus ergänzender Vertragsauslegung. Gegen diese ist jedoch zwischenzeitlich Verfassungsbeschwerde erhoben worden.

1. Sachverhalt
Gegenstand des Rechtsstreits war der Gaslieferungsvertrag der Klägerin, eines regionalen Gasversorgers, an die Beklagte, einer Tarifkundin (jetzt: Kundin in der Grundversorgung). Der Versorger bot im Rahmen der Grundversorgung verschiedene Grundversorgungstarife an. Nach Abschluss des Vertrags bezog die Beklagte nach dem Prinzip der Bestpreisabrechnung (Preisstaffelung entsprechend der individuellen Verbrauchsmenge) Erdgas von der Klägerin. Nach vorheriger öffentlicher Bekanntmachung änderte die Klägerin den Arbeitspreis, wogegen die Beklagte Widerspruch erhob.

2. Preisänderungsrecht nur aus ergänzender Vertragsauslegung
Der BGH ist der Ansicht, dass es sich – obwohl die Klägerin verschiedene Grundversorgungstarife anbiete – auch bei Verträgen nach dem Prinzip der Bestpreisabrechnung um einen Grundversorgungsvertrag handele. Im Einklang mit der neuen Grundsatzrechtsprechung des BGH (Urteile vom 28.10.2015, Az. VIII ZR 158/11 und Az. VIII ZR 13/12) stellt der Senat sich wiederum auf den Standpunkt, der Klägerin stehe ein Preisanpassungsrecht im Falle der Steigerung von (Bezugs-)Kosten (soweit keine Kostensenkungen in anderen Bereichen vorliegen) aus ergänzender Auslegung des Energielieferungsvertrags der Parteien zu. Damit gab der Senat der Klägerin Recht. Hinsichtlich der Frage, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Preisänderungsrecht vorgelegen haben, verwies der Senat den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück.

Diese Grundsatzrechtsprechung des BGH ist nunmehr aber Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Überprüfung. Am 26.11.2015 wurde Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben (Az. 1 BVR 2971-15). Der Beschwerdeführer rügt darin den Entzug des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG. Nach Meinung des Beschwerdeführers hätte der BGH nochmals dem EuGH die Frage vorlegen müssen, ob bei Unwirksamkeit der vertraglichen Regelungen auf Grundlage der § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV dennoch ein Preisänderungsrecht aus ergänzender Vertragsauslegung hergeleitet werden dürfe oder ob dies unzulässig sei (s. Deloitte Tax-News).

3. Fazit
Sollte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung annehmen und entscheiden, dass der BGH die aufgeworfene Frage im Wege der Vorabentscheidung dem EuGH hätte vorlegen müssen, droht der Branche erneut ein langjähriger Streit um die Wirksamkeit von Preisanpassungen und Rückforderungsansprüchen der Kunden. Betroffene Erdgaslieferanten müssen vor diesem Hintergrund prüfen, inwieweit sie die vorgenommenen Rückstellungen für etwaige Rückforderungsansprüche der Kunden bereits auflösen können.

Ihre Ansprechpartner

Dr. Florian-Alexander Wesche
Partner

FWesche@deloitte.de
Tel.: 0211 8772-4068

Alexander Janik
Associate

ajanik@deloitte.de
Tel.: 0211 8772-4249

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