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23.06.2015
Unternehmensrecht

Reform des Insolvenzrechts: Größere Rechtssicherheit für Lieferanten in der Insolvenz des Geschäftspartners

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat am 16.03.2015 einen Referentenentwurf für eine Anpassung des Insolvenzanfechtungsrechts vorgelegt. Wesentliches Ziel ist, den Wirtschaftsverkehr von Rechtsunsicherheiten zu entlasten, die von der derzeitigen Praxis des Insolvenzanfechtungsrechts ausgehen.

1. Einleitung

In den letzten Jahren wurde von Seiten der Wirtschaft, Sozialversicherungsträgern, verschiedenen Verbänden, u.a. von der Wirtschaftsprüfer- und Steuerberaterkammer, eine Reform des Insolvenzanfechtungsrechts angemahnt. Diese Forderungen wurden von der Politik aufgegriffen und nunmehr liegt ein erster Entwurf aus dem BMJV vor, der im Folgenden aus Sicht eines Lieferanten beleuchtet werden soll.

2. Hintergrund

Ausweislich der Begründung verfolgt der Gesetzesentwurf das Ziel, den Wirtschaftsverkehr von Rechtsunsicherheiten zu entlasten, die von der derzeitigen Praxis des Insolvenzanfechtungsrechts und der (Aus-) Nutzung dieser Regelungen durch die Insolvenzverwalter ausgehen. Dabei soll insbesondere die Praxis der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) eine Belastung mit unverhältnismäßigen und unkalkulierbaren Risiken darstellen. Die Belastung zeige sich aus Sicht des Geschäftsverkehrs vorwiegend bei der Frage, ob und unter welchen Umständen verkehrsübliche Zahlungserleichterungen das Risiko einer späteren Vorsatzanfechtung der erhaltenen Zahlungen begründen. Hierzu hält der Regierungsentwurf fest, dass nach der derzeitigen Rechtsprechung zu den Beweisanzeichen, auf deren Grundlage der Tatrichter das Vorliegen eines erforderlichen Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes bejahen kann, auch das Ersuchen des Schuldners um Zahlungserleichterungen, wie insbesondere Stundungen oder Ratenzahlungen, gehört. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zugunsten des Rechtsverkehrs zwar auch „entkräftende“ Beweisanzeichen entwickelt, die es den Betroffenen ermöglichen, sich darauf zu berufen, dass eine Zahlung in einen bargeschäftsähnlichen Austausch eingebunden oder Bestandteil eines ernsthaften Sanierungsversuchs war. Hinsichtlich solcher entkräftenden und einem Anfechtungsanspruch entgegenstehenden Tatsachen besteht jedoch ein erhebliches praktisches Problem für den Betroffenen. Denn der Beweis lässt sich in der Praxis ohne detaillierten Einblick in die Vermögensverhältnisse des Schuldners kaum führen und läuft daher üblicherweise ins Leere.

Mit den Neuregelungen soll daher ein angemessener Ausgleich zwischen den durch das Insolvenzanfechtungsrecht geschützten Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger und den legitimen Erwartungen und Interessen derjenigen erreicht werden, die sich insolvenzanfechtungsrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt sehen. In diesem Sinne zielt der Referentenentwurf darauf ab, die Insolvenzanfechtung an Tatbeständen festzumachen, die von den Betroffenen erkannt und nachvollzogen werden können und die im Zusammenspiel mit den sich an sie knüpfenden Rechtsfolgen Gewähr dafür bieten, dass die Betroffenen nicht in unverhältnismäßiger Weise belastet werden.

Für Lieferanten stellt sich die Anfechtungsproblematik nach derzeitiger Rechtsprechung konkret so dar: Jeder Lieferant tritt durch seine Warenlieferung zunächst in Vorkasse; jegliches und zudem durchaus geschäftsübliche Entgegenkommen gegenüber dem Kunden bei der Bezahlung wird ihm (aufgrund der Ausweitung der Indiz- und Beweisanzeichen) jedoch nachträglich zu Lasten gelegt. Wer als Lieferant einer Ratenzahlung oder Stundungsvereinbarung zustimmt, dokumentiert damit (nach Ansicht des BGH) seine Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Kunden und späteren Insolvenzschuldners. Aufgrund der gesetzlichen Vermutung in § 133 Abs. 1, S. 2 InsO wird hieraus wiederum auf die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz auf Seiten des Schuldners geschlossen. Jede Ratenzahlungs- und / oder Stundungsvereinbarung erleichtert damit dem späteren Insolvenzverwalter den Anfechtungsprozess.

3. Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO)

a)  Neuregelung laut Referentenentwurf

Für die dargestellte Problematik aus Lieferantensicht ist im Wesentlichen die Neuregelung bzw. Ergänzung der Vorsatzanfechtung relevant. § 133 InsO (Vorsatzanfechtung) soll zukünftig wie folgt lauten:

Abs. 1 (teilweise ergänzt, teilweise neu): Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger unangemessen zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Eine unangemessene Benachteiligung liegt nicht vor, wenn

  1. für eine Leistung des Schuldners unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, die zur Fortführung seines Unternehmens oder zur Sicherung seines Lebensbedarfs erforderlich ist, oder
  2. die Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften Sanierungsversuchs ist. Es wird vermutet, dass der andere Teil den Vorsatz des Schuldners kannte, wenn er zur Zeit der Rechtshandlung wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger unangemessen benachteiligte.“

Abs. 2 (neu): Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre.

Abs. 3 (neu): Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, welche dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, tritt bei der Vermutung nach Absatz 1 Satz 3 an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners die eingetretene. Die Kenntnis des anderen Teils vom Vorsatz des Schuldners kann nicht allein daraus abgeleitet werden, dass

  1. der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung nach § 802b Absatz 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung abgeschlossen hat oder
  2. der Schuldner beim anderen Teil im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs um eine Zahlungserleichterung nachgesucht hat.“

Wesentliche Neuerung in Absatz 1 ist, dass auf eine unangemessene Benachteiligung abgestellt wird (Satz 1). Als gesetzlich vorgesehene Ausnahmen von einer solchen Benachteiligung wurden nunmehr Zahlungen im Rahmen der Fortführung eines Unternehmens (Satz 2, Nr. 1) und als Bestandteile eines ernsthaften Sanierungsversuchs (Satz 2, Nr. 2) normiert. Der Zeitraum für die Anfechtung einer Zahlung, der dem Lieferanten als Gläubiger eine Befriedigung seiner Forderung gebracht hat, wird durch Absatz 2 auf vier Jahre verkürzt. Bisher galten hier zehn Jahre. Schließlich wir in Absatz 3 eine Einschränkung der Vermutungsregelung aus Absatz 1 normiert, wobei explizit der Fall einer Zahlungserleichterung nicht ausreichend sein soll, um daraus die Kenntnis vom Schuldnervorsatz abzuleiten.

b)  Bewertung

Das Anliegen des Reformgesetzgebers ist einerseits einem ausufernden Gebrauch des Anfechtungsrechts Einhalt zu gebieten und damit andererseits dem Rechtsverkehr eine größere Sicherheit und Planbarkeit zu gewähren. Angesichts der zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe (z.B. "ernsthafter Sanierungsversuch", "unangemessene Benachteiligung" oder "Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs") steht jedoch zu befürchten, dass die Rechtsprechung erst in den nächsten Jahren diese mit Leben und Inhalt wird füllen müssen / können. Damit träte die gewünschte Rechtssicherheit zumindest für diesen Zeitraum nicht ein. Ob sie danach erreicht wird, mag angesichts der Rechtsprechungsdynamik gerade im Bereich des Anfechtungsrechts zudem kritisch gesehen werden. Wünschenswert wären damit aus Sicht von Lieferanten und anderer Teilnehmer des Geschäftsverkehrs, dass der Gesetzgeber selbst klare Vorgaben entwickelt und dies nicht (wie allzu oft) der Rechtsprechung überlässt.

4. Anfechtung wegen sog. inkongruenter Deckung (§ 131 InsO)

a)  Neuregelung laut Referentenentwurf

Auch die vorgeschlagene Änderung von § 131 InsO ist für Lieferanten praktisch sehr relevant. Die Regelung soll zukünftig wie folgt ergänzt werden:

„Eine Rechtshandlung ist nicht allein deshalb nach Satz 1 anfechtbar, weil der Gläubiger die Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung auf der Grundlage eines in einem gerichtlichen Verfahren erlangten vollstreckbaren Titels erwirkt hat.“

Die bisherige Rechtsprechung des BGH sah vor, dass eine Zahlung in der Zwangsvollstreckung oder auf einen Zwangsvollstreckungstitel als inkongruent angesehen wurde und damit der Anfechtung unterlag. Für Lieferanten hatte dies zur Folge, dass ein an sich vollkommen sozialadäquates und wünschenswertes Verhalten, nämlich die Forderungssicherung durch Beitreibung mittels Zwangsvollstreckung im Falle der späteren Insolvenz des Kunden, zu einer Rückgabepflicht auf Seiten der Lieferanten umschlug.

b)  Bewertung

Der Referentenentwurf versucht das Problem dadurch zu entschärfen, dass Zahlungen auf gerichtliche Titel nicht mehr zur Inkongruenz und damit der Anfechtbarkeit führen sollen. Zukünftig kann man als Lieferant also darauf vertrauen, dass man ein gerichtliches Mahn- oder Klageverfahren nicht umsonst betreibt und die daraufhin erfolgte Zahlung behalten darf, selbst wenn der Kunde später ein Insolvenzverfahren durchläuft. Positiv ist hieran ebenfalls, dass Bestrebungen hoheitlicher Stellen, namentlich der Finanzverwaltung und von Sozialversicherungsträgern, widerstanden wurde, Titeln dieser Träger (die sie im Übrigen selbst erlassen können) eine ähnliche Privilegierung zu gewähren, also ein "fiskalisches Sonderrecht" vermieden wurde. Problematisch ist an der vorgeschlagenen Neuregelung jedoch, dass sie verschiedene "Qualitäten" von Titeln schafft. So würde zukünftig ein Titel kraft einer notariellen Urkunde (typischer Weise die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung in Kreditverträgen) keinen Anfechtungsschutz genießen, wohingegen ein gerichtlich erstrittener Titel, diesen genießen soll. Auch scheint bedenklich, dass gerade Sozialversicherungsträger und Finanzämter, selbst wenn sie wollten, vielfach gar keine gerichtlichen Titel erstreiten könnten, da ihnen für eine Klage regelmäßig das Rechtsschutzinteresse fehlen wird (da sie für den Erlass von Titeln – siehe oben – selbst zuständig sind).

5. Verzinsung (§ 143 InsO)

a)  Neuregelung laut Referentenentwurf

Eine weitere für Lieferanten sehr wichtige Neuregelung betrifft die Verzinsungspflicht von (Rück-) Zahlungen, die aus einer erfolgten Anfechtung resultieren. § 143 InsO soll zukünftigwie folgt ergänzt werden:

„Eine Geldschuld ist nur zu verzinsen, wenn die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs oder des § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorliegen.“

Die bisherige Regelung führte dazu, dass der erfolgreich angefochtene Betrag nicht erst ab dem Zeitpunkt der Anfechtung, sondern bereits ab Vornahme der Rechtshandlung (also z.B. der Bezahlung der gelieferten Ware), zu verzinsen war. Für diese galt (und gilt) der gesetzliche Zinssatz, der aktuell weitaus höher als marktüblich ist. Dies wiederum führte zumindest teilweise zu ungewünschten Auswüchsen auf Seiten der Insolvenzverwalter. Da die Pflicht zur Verzinsung unabhängig von dem Zeitpunkt der erklärten Anfechtung (rückwirkend) lief, sprachen einige Beobachter in der Branche davon, dass Insolvenzverwalter bewusst Anfechtungsansprüche sehr spät im Verfahren geltend machten, da ihnen eine Verzinsung ihrer Forderungen sicher war und eine möglichst spät erklärte Anfechtung letztlich zu einer Massemehrung führte.

b)  Bewertung

Durch die vorgeschlagene Koppelung an die allgemeinen Vollzugsvoraussetzungen, d.h. an § 291 BGB, wird dieser ungewünschten Praxis zukünftig der Boden entzogen. Für alle Anfechtungsgegner heißt dies zukünftig, dass ihre Forderungen erst mit der Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter (und nicht rückwirkend für ggf. mehrere Jahre) zu verzinsen sind. Eine sicherlich aus Sicht der Lieferanten als Anfechtungsgegner durchweg zu begrüßende Regelung.

6. Bisherige Diskussion und Ausblick

Der Referentenentwurf wird derzeit in der Fachliteratur und in der Wirtschaft vielfach diskutiert und war auch zuletzt Thema des Düsseldorfer Restrukturierungsforums am 14. April 2015. Hier wurde insbesondere die Erforderlichkeit einer Reform des Insolvenzanfechtungsrechts erörtert. Daran kann vor dem Hintergrund jüngerer Entscheidungen durchaus gezweifelt werden. Ein kürzlich ergangener Beschluss des BGH (Beschluss vom 16. April 2015, Az. IX ZR 6/14) geht allerdings in eine gläubigerfreundliche Richtung. Der BGH hat entschieden, dass allein die Bitte des Schuldners auf Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung, wenn sie sich im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs hält, als solche kein Indiz für eine Zahlungseinstellung oder Zahlungsunfähigkeit des Schuldners darstellt. Der Abschluss einer Ratenzahlung wird häufig als Indiz für eine Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz angesehen, so dass der Insolvenzverwalter die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO erfolgreich geltend machen kann. Die Zahlungen im Rahmen der Ratenzahlungsvereinbarung müssen an die Insolvenzmasse zurückgewährt werden. Dem aktuellen Beschluss zufolge soll das nicht gelten, wenn sich der Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs hält. Auch wenn der Beschluss nur einen Einzelfall betrifft, lässt sich auf dieser Basis durchaus hinterfragen, ob eine neue gesetzliche Regelung erforderlich ist.

Als Antwort auf die eingangs gestellte Frage lässt sich festhalten, dass eine größere Rechtssicherheit für die Lieferanten von krisenbefangenen und ggf. später insolventen Kunden bei Umsetzung des Referentenentwurfs zu erwarten ist. Die weitere Diskussion in Wissenschaft und Politik lässt aber schon nach den ersten Einschätzungen Änderungen im Gesetzgebungsverfahren erwarten. Es bleibt daher mit Spannung abzuwarten, wie groß die durch die Gesetzesreform gewonnene Rechtssicherheit für die Lieferanten tatsächlich sein wird. Wir hoffen, Sie in einer der nächsten Ausgaben über eine endgültige und hoffentlich lieferantenfreundliche Gesetzesfassung informieren zu können.

Ihre Ansprechpartner

Dr. Martin Ströhmann
Partner

MStroehmann@deloitte.de
Tel.: 089 29036-8955

Phillip-Boie Harder
Manager

PHarder@deloitte.de
Tel.: 0211 8772-4043

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