Rechtsprechung konkretisiert Anforderungen an Energie-Kundenanlagen nach dem EnWG
Die ersten Urteile zu Kundenanlagen im Jahr 2018 erfordern eine neue Bewertung der selbst betriebenen Strom- und Gasinfrastrukturen, in denen Dritte Verbraucher eingebunden sind.
Relevanz für die Praxis
Die Infrastruktureinrichtung „Kundenanlage“ wurde im Jahr 2011 in das Energiewirtschaftsgesetz als Abgrenzung zum regulierten Energienetz aufgenommen. Sowohl Energieverteilanlagen in industriellen Werksinfrastrukturen als auch in Gewerbe- und Wohnimmobilien fallen seitdem in den Anwendungsbereich. Eine behördliche Genehmigung für den Kundenanlagenbetrieb oder die Feststellung der Kundenanlage ist gesetzlich nicht vorgesehen.
In Bezug auf die vielfältigen Geschäftsmodelle zur Eigenversorgung und dezentralen Versorgung Dritter, wie z. B. beim Contracting, Mieterstrom und industrieller Eigenversorgung ist die Frage nach der Qualifikation der Kundenanlage elementar. Für viele Unternehmen kommt es nicht in Betracht, ein Netz zu betreiben, das u.a. einer Genehmigung für den Betrieb nach § 4 EnWG und ggf. nach § 110 EnWG auf Betrieb eines geschlossenen Verteilnetzes bedarf. Der Netzbetrieb hat u.a. auch zur Folge, dass die Unternehmen nach § 6b EnWG buchhalterisch entflechten müssen.
Konkretisierung der Anforderungen durch die Rechtsprechung
Seit Einführung der Kundenanlage war deren Status im Detail in seiner Reichweite ungeklärt. Die obergerichtliche Rechtsprechung hat nun in jüngster Zeit in mehreren Urteilen den Begriff der Kundenanlage i. S. d. § 3 Nr. 24a EnWG näher konkretisiert. In den streitgegenständlichen Fällen ging es um die Einordnung von sehr großen und zum Teil zersplitterten bzw. inhomogenen Arealen von Wohnimmobilien als Kundenanlage. Die Oberlandesgerichte haben nunmehr in ihren Entscheidungen betont, dass der Status als Kundenanlage eine gesetzliche Ausnahmeregelung darstellt und daher grundsätzlich eng auszulegen ist.
Eindruck der Geschlossenheit
Das in § 3 Nr. 24a lit. a) EnWG genannte Merkmal der „räumlichen Zusammengehörigkeit“ ist nach Ansicht der Gerichte erfüllt, wenn das Gebiet geographisch nach außen von seiner Umgebung abgegrenzt ist und zugleich über eine innere Verbundenheit oder Geschlossenheit verfügt. Mit dem Begriff der „räumlichen Zusammengehörigkeit“ wird eine Abgrenzung zu verstreuten, diffundierenden, mit ihrer Umgebung verschmelzenden Gebieten vorgenommen. Im Gegensatz zu solchen Gebieten stellt das Merkmal der Zusammengehörigkeit auf die von außen wahrnehmbare und durch die innere Verbundenheit geschaffene räumliche Gebietseinheit ab. Eine solche liegt nach Ansicht der Gerichte nur vor, wenn der Eindruck der räumlichen Zusammengehörigkeit nicht durch störende oder trennende Unterbrechungen aufgehoben (wie z. B. Straßen, Gleise etc.) wird. Bei der Beurteilung, ob eine trennende Unterbrechung vorliegt, ist ein objektiver Maßstab anzulegen, der sich stets am Einzelfall zu orientieren hat.
So haben beispielsweise mehrspurige Straßen mit begrüntem Mittelstreifen zur Folge, dass das Kriterium der räumlichen Zusammengehörigkeit nicht vorliegt, da solche Straßen regelmäßig nicht der Erschließung der jeweiligen Gebiete dienen, sondern vielmehr der Erschließung des Stadtgebietes. Anliegerstraßen können hingegen im Einzelfall Erschließungscharakter aufweisen, sofern sie einen verbindenden Charakter aufweisen.
Unbedeutend für den Wettbewerb
ür die in § 3 Nr. 24a lit. c) EnWG genannte Voraussetzung der Unbedeutendheit für den Wettbewerb ist maßgeblich, ob die Anlage angesichts ihres wettbewerblichen Einflusses als Teil des natürlichen Monopols anzusehen und deswegen eine Regulierungsbedürftigkeit zu bejahen ist. Dies ist mittels einer wertenden Gesamtschau derjenigen Kriterien zu beurteilen, die Aufschlüsse über das wirtschaftliche Gewicht und damit über die Ähnlichkeit der Anlage mit einem typischen regulierten Verteilernetz gibt. Der wettbewerbliche Einfluss hängt insbesondere von der Anzahl der an die Anlage angeschlossenen Letztverbraucher ab, wobei ein absoluter Maßstab anzulegen ist. Von einer Unbedeutendheit kann nach Ansicht der Gerichte, in Übereinstimmung mit der restriktiven Beschlusspraxis der Bundesnetzagentur, bei einer Anzahl von deutlich über 100 angeschlossenen Letztverbrauchern nicht mehr ohne weiteres ausgegangen werden.
Die Gerichte betonen jedoch ausdrücklich, dass es hier keine starren Grenzwerte gibt und daher stets im Rahmen einer Betrachtung des Einzelfalls zu untersuchen ist, ob eine geringe Bedeutung für den Wettbewerb vorliegt. Auch steht eine hohe Anzahl von Kunden der Einordnung als Kundenanlage im Einzelfall nicht entgegen, wenn nur eine geringe Energiemenge durchgeleitet wird oder eine geringe Gebietsausdehnung vorliegt. Bei der Menge der durchgeleiteten Energie ist nach der Rechtsprechung ebenfalls eine absolute Betrachtungsweise vorzunehmen. Die Rechtsprechung nimmt auch hier ein „Je-Mehr-desto-Abwägung“ vor. Je kleiner die Energiemenge ist, desto eher kann angenommen werden, dass die Anlage unbedeutend für die Sicherstellung des Wettbewerbs ist. Die Rechtsprechung betont auch hier ausdrücklich, dass keine festen Schwellenwerte existieren.
Fazit
Die neusten Entscheidungen zeigen deutlich, dass die obergerichtliche Rechtsprechung, in Anlehnung an die Gesetzesbegründung und die Beschlusspraxis der Bundesnetzagentur, eine restriktive Auslegung vornimmt und den Ausnahmecharakter der Regelung des § 3 Nr. 24a EnWG ausdrücklich und die Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls betont.
Die Entscheidungen können aber nicht uneingeschränkt für die Bewertung von Kundenanlagen in anderen Fällen übertragen werden, denn die entschiedenen Sachverhalte waren sehr speziell gelagerte (Extrem-) Fälle. Darüber hinaus ist die Aussagekraft im Hinblick auf Kundenanlagen zur betrieblichen Eigenversorgung nach § 3 Nr. 24b EnWG nur gering, da diese nicht Gegenstand der Entscheidungen waren und hier andere Kriterien insbesondere beim räumlichen Zusammenhang gelten.
Dennoch sollten diese Entscheidungen zum Anlass genommen werden, den Status eigener Kundenanlagen anhand der Kriterien der Gerichte zu überprüfen.
In einem Workshop am 10.10.2018 haben wir die Auswirkungen der aktuellen Rechtsprechung erläutert sowie unsere Erfahrungen aus der Praxis eingebracht.