Online-Gründung von Kapitalgesellschaften: Die Vorgaben der Digitalisierungsrichtlinie im Überblick
Die am 31.07.2019 in Kraft getretene Digitalisierungsrichtlinie enthält Vorgaben für die Online-Gründung von Kapitalgesellschaften, die innerhalb von zwei Jahren in das nationale Recht umzusetzen sind. Nach ihrer Umsetzung wird die Richtlinie auch in Deutschland eine Online-Gründung (zumindest) von GmbHs ermöglichen.
Einleitung
Am 31.07.2019 ist die sog. Digitalisierungsrichtlinie der Europäischen Union (Richtlinie (EU) 2019/1151 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht) in Kraft getreten. Die in der Richtlinie enthaltenen Vorgaben gehen auf das sog. Company Law Package der Europäischen Kommission zurück und haben insbesondere die Online-Gründung von Kapitalgesellschaften zum Gegenstand. In diesem Zusammenhang wird die Gesellschaftsrechtsrichtlinie aus dem Jahr 2017 durch die Digitalisierungsrichtlinie ergänzt und abgeändert. Die Digitalisierungsrichtlinie ist bis zum 31.07.2021 in nationales Recht umzusetzen, wobei dem Gesetzgeber im Falle von besonderen Umsetzungsschwierigkeiten eine Verlängerungsoption von einem Jahr zugestanden wird.
Übergreifende Zielvorgaben
Das übergreifende Ziel der Digitalisierungsrichtlinie besteht in der Bereitstellung von mehr digitalen Lösungen für Gesellschaften im Binnenmarkt, wie diese für einen wettbewerbsfähigen Binnenmarkt und die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit von Gesellschaften erforderlich sind. Gewährleistet werden sollen dabei nicht nur eine einfachere, raschere und effizientere Gründung von Gesellschaften und die Bereitstellung umfassender, barrierefreier Informationen, sondern auch eine effektivere Missbrauchsbekämpfung. Zugleich sollen die tradierten gesellschaftsrechtlichen Prinzipien der Mitgliedstaaten berücksichtigt werden.
Zielvorgaben für Online-Gründungen
Im Hinblick auf die Zielvorgaben für die Online-Gründung von Kapitalgesellschaften sind in der Richtlinie zwei grundlegende Aussagen verankert: Zunächst müssen die Mitgliedstaaten die Gründung in einem Online-Verfahren ermöglichen, welches die physische Präsenz des Antragstellers vor der hierfür zuständigen Stelle entbehrlich macht. Die zweite Vorgabe ist zeitlicher Natur: Das Online-Gründungsverfahren muss innerhalb von fünf Arbeitstagen abgeschlossen sein, vorausgesetzt, dass der Antragsteller eine natürliche Person ist und ausschließlich Musterdokumente verwendet. In anderen Fällen darf das Verfahren nicht länger als zehn Arbeitstage dauern.
Der nationale Gesetzgeber ist aufgefordert, detaillierte Regelungen für die Online-Gründung zu entwickeln und dabei gewisse Mindeststandards zu gewährleisten. So ist insbesondere zu gewährleisten, dass die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der handelnden natürlichen Personen ebenso wie die ordnungsgemäße Vertretung juristischer Personen geprüft werden können und sichergestellt sind. Weiter gibt die Richtlinie vor, dass die Mittel zur Überprüfung der Identität der Antragsteller zu regeln sind. Darüber hinaus ist eine Verpflichtung der Antragsteller vorzusehen, die in der sog. eIDAS-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.07.2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG) genannten Vertrauensdienste zu nutzen. Insoweit sind in Deutschland auch die im Vertrauensdienstegesetz (VDG) niedergelegten Durchführungsbestimmungen zu beachten.
Die Schaffung einer Möglichkeit zur „Gründung auf Knopfdruck“ im eigentlichen Sinne sieht die Richtlinie ebenso wenig vor wie einen Verzicht auf das Beurkundungserfordernis oder die Notare – diesen wird, was die Online-Gründung in Deutschland angeht, weiterhin die Rolle von „Gatekeepern“ zukommen.
Anwendungsbereich
Der Anwendungsbereich der Digitalisierungsrichtlinie erstreckt sich aus deutscher Perspektive grundsätzlich auf alle Formen der Kapitalgesellschaft, mithin die GmbH (einschließlich UG), die AG und die KGaA.
Aufgrund der in der durch die Digitalisierungsrichtlinie neu gefassten Bestimmung des Art. 13g Abs. 1 S. 2 der Gesellschaftsrechtsrichtlinie vorgesehenen Opt-Out-Lösung steht es dem nationalen Gesetzgeber allerdings frei, die Möglichkeit der Online-Gründung nur für GmbHs (und damit auch die UG als „kleine Schwester der GmbH“) zu schaffen. Aufgrund der unter anderem aus der Formenstrenge herrührenden Komplexität von AG und KGaA ist damit zu rechnen, dass der deutsche Gesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird. Ohnehin dürfte das praktische Bedürfnis an der Online-Gründung einer GmbH am größten sein.
Was die Gründungsformen angeht, umfasst die Digitalisierungsrichtlinie sowohl die Sachgründung als auch die Bargründung. Auch insoweit steht dem nationalen Gesetzgeber allerdings ein Wahlrecht zu und darf er das Online-Gründungsverfahren auf Fälle der Bargründung beschränken. Auch insoweit ist überwiegend wahrscheinlich, dass der deutsche Gesetzgeber von seiner Opt-Out-Möglichkeit Gebrauch machen und auf die Aufnahme von Bestimmungen zur Online-Gründung im Wege der Sachgründung verzichten wird. Dies sowohl vor dem Hintergrund der mit Sachgründungsvorgängen regelmäßig verbundenen höheren Komplexität, auch in Fragen der Einbringungsfähigkeit und Bewertung von Sacheinlagen, als auch vor dem Hintergrund, dass im Rahmen von Sachgründungen häufig Grundstücke und GmbH-Anteile eingebracht werden, deren rechtswirksame Einbringung ohnehin besonderen Formvorschriften unterliegt.
Nach der Digitalisierungsrichtlinie sollen im Online-Verfahren nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen als Antragsteller auftreten können. Es ist zu erwarten, dass die Gründung durch ausländische juristische Personen auch in Zukunft mit besonderen Herausforderungen verbunden sein wird. Insbesondere muss sichergestellt sein, dass die jeweilige ausländische Kapitalgesellschaft tatsächlich existiert und ordnungsgemäß vertreten wird. Hierzu wird in der Regel die Einholung einer Notarbescheinigung oder ähnlicher Dokumente erforderlich sein, die mit der Apostille (in Papierform!) versehen werden müssen. Aus der Digitalisierungsrichtlinie geht ausdrücklich hervor, dass die Anforderungen des nationalen Rechts an die Echtheit und Korrektheit eingereichter Urkunden unberührt bleiben. Darüber hinaus lässt sie es zu, bei Zweifeln an der Vertretungsbefugnis in Ausnahmefällen die physische Anwesenheit des Antragstellers zu verlangen.
Die zukünftige Rolle der Notare
Anders als dies im ursprünglichen Kommissionsvorschlag vorgesehen war, stellt die Digitalisierungsrichtlinie nun ausdrücklich klar, dass die Mitgliedstaaten in allen Phasen des Online-Verfahrens Notare beteiligen dürfen. Damit stehen die neuen Vorgaben der Fortführung der deutschen Rechtstradition der vorsorgenden Rechtspflege, also der doppelten Prüfung durch Notar und Registergericht, nicht entgegen. Der Notar bleibt folglich „Gatekeeper“. Diskutiert wird derzeit insbesondere, als zentrales Element des Online-Gründungsverfahrens eine „Online-Beurkundung“ vorzusehen, die im Rahmen einer Videokonferenz durchgeführt werden könnte.
Eine solche Online-Beurkundung könnte als zusätzlicher Sicherungsmechanismus dienen, um Identitätsdiebstahl und Missbrauch – wie dieser in anderen europäischen Rechtsordnungen durchaus häufig vorkommt – vorzubeugen.
Im Rahmen der Online-Beurkundung könnte der Notar in einem ersten Schritt die Validität des elektronischen Identifizierungsmittels überprüfen und sich in einem zweiten Schritt vergewissern, dass es sich beim Antragsteller tatsächlich um die ausgewiesene Person handelt. Ganz so einfach, wie Konsumenten dies zwischenzeitlich von Online-Identverfahren im Zusammenhang mit der Eröffnung von Bankkonten kannten, wird sich das Verfahren allerdings nur bedingt gestalten. Denn zur erforderlichen Identifizierung des Antragstellers enthält die Digitalisierungsrichtlinie eine Bezugnahme auf die eIDAS-Verordnung, auf deren Grundlage für Deutschland derzeit der elektronische Personalausweis als Identifizierungsmittel bei der Europäischen Kommission notifiziert ist, und fordert damit für die Online-Beurkundung einen Personalausweis mit Online-Ausweisfunktion oder ein anderes Identifizierungsmittel der höchsten Sicherheitsstufe nach der eIDAS-Verordnung.
Darüber hinaus hält die Digitalisierungsrichtlinie die Option bereit, in Zweifelsfällen die physische Anwesenheit des Antragstellers zu Zwecken der Identitätsfeststellung zu verlangen.
Praxisrelevanz
Die Einführung eines Online-Verfahrens für die Gründung von Kapitalgesellschaften ergänzt das deutsche Gesellschaftsrecht um Möglichkeiten, die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union schon seit längerer Zeit zum Standardrepertoire gehören. Vor diesem Hintergrund geht mit der Richtlinie ein kräftiger Modernisierungsschub einher.
Festzuhalten ist jedoch, dass nicht davon auszugehen ist, dass sich das Verfahren der Online-Gründung als ein Verfahren darstellen wird, welches gleichsam die Gründung einer Gesellschaft „auf Knopfdruck“ ermöglichen wird – die Erleichterung beschränkt sich darauf, dass das derzeit regelmäßig erforderliche persönliche Erscheinen entfällt, es gleichsam zu einer „Beurkundung auf Distanz“ kommt, wie dies in anderen Mitgliedstaaten schon gang und gäbe ist.
Weiter ist zu erwarten, dass dem Anwendungsbereich des Online-Gründungsverfahrens enge Grenzen gesetzt werden. Kapitalgesellschaften wie die AG und die KGaA werden in Deutschland voraussichtlich auch in Zukunft nicht online gegründet werden können. Zudem spricht einiges dafür, dass der deutsche Gesetzgeber die Sachgründung aus dem Anwendungsbereich der neu zu schaffenden Regelungen herausnehmen wird.
Weitere Einschränkungen können sich daraus ergeben, dass die Notifizierung von Identifizierungsmitteln auf der Grundlage der eIDAS-Verordnung durch Staaten außerhalb der Europäischen Union nicht vorgesehen ist. Dies hat zur Konsequenz, dass sich Angehörige von Drittstaaten nicht als Antragsteller am Online-Verfahren beteiligen können.
Ein (weiteres) in der Praxis erhebliches Hindernis für eine schnelle Gründung wird die Digitalisierungsrichtlinie nicht beseitigen können, nämlich das Erfordernis der Eröffnung eines auf die neu gegründete Gesellschaft lautenden Bankkontos. Dieses kann aufgrund der von Geldwäsche- und Compliance-Bestimmungen geprägten KYC-Verfahren der Geschäftsbanken zu erheblichen Verzögerungen führen. Hier bleibt abzuwarten, ob das Unterhalten einer Bankverbindung im (europäischen) Ausland „hoffähiger“ oder einer ausdrücklichen Regelung zugeführt wird und/oder der Gesetzgeber Möglichkeiten für eine unmittelbare Kommunikation zwischen Kreditinstitut und Notar und die zeitnahe Einrichtung eines Bankkontos schafft.
Positiv ist zu vermerken, dass die Digitalisierungsrichtlinie die deutsche Rechtstradition der vorsorgenden Rechtspflege respektiert und es nicht nur erlaubt, sondern auch fordert, das Online-Verfahren mit den gebotenen Schutzmechanismen zu versehen. Negative Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit des deutschen Handelsregisters sind daher nicht zu befürchten.
Im Übrigen bleibt die Umsetzung der Vorgaben ins nationale Recht durch den deutschen Gesetzgeber und die Gesetzgeber anderer Mitgliedstaaten abzuwarten. Insoweit stellt sich beispielsweise die Frage, ob es dem Gesetzgeber gelingen wird, praxistaugliche Muster zu entwickeln. Insbesondere bei komplexeren Fallgestaltungen mit mehreren Gründern werden maßgeschneiderte Lösungen erforderlich sein, die sich in der Regel mit Musterdokumenten nicht sachgerecht erarbeiten lassen.
Jedenfalls für Fälle der Bargründung einer GmbH könnte die Digitalisierungsrichtlinie nach ihrer Umsetzung in deutsches Recht zu wesentlichen Erleichterungen bei Gründungen führen. Zu hoffen bleibt, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung auch den Wettbewerb der Rechtsordnungen bei Gründungsakten vor Augen hat, um so zu vermeiden, dass deutsche Rechtsformen weiter an Bedeutung verlieren, weil gründungswillige Unternehmer liberaleren europäischen Rechtsordnungen den Vorzug geben – wie etwa Estland, mit seinen Bestimmungen zur echten Online-Gründung einer Kapitalgesellschaft und der Möglichkeit, eine taggleiche Eintragung zu bewirken.
Fundstelle
Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (Text von Bedeutung für den EWR)