Massenentlassungsanzeigepflicht - Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern für Schwellenwerte
Das BAG hat den EuGH um Klärung der Frage ersucht, ob Leiharbeitnehmer für die Schwellenwerte der Massenentlassungsanzeigepflicht zu berücksichtigen sind.
Gem. § 17 Abs. 1 KSchG können Arbeitgeber bei einer bestimmten Anzahl von Entlassungen im Verhältnis zur regelmäßigen Arbeitnehmerzahl verpflichtet sein, gegenüber der Agentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten. Ob auch Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der regelmäßigen Arbeitnehmerzahl im Entleihbetrieb zu berücksichtigen sind, ist bislang höchstrichterlich nicht entschieden.
LAG Düsseldorf
Das LAG Düsseldorf hat am 08.09.2016 (Az. 11 Sa 705/15) entschieden, dass Leiharbeitnehmer insoweit nicht zu berücksichtigen seien.
Im zugrundeliegenden Fall beschäftigte die beklagte Arbeitgeberin regelmäßig 120 Arbeitnehmer sowie drei bis vier Leiharbeitnehmer. Eine Massenentlassungsanzeige erstattete die beklagte Arbeitgeberin vor Ausspruch von mindestens 12 Kündigungen nicht.
Nach Ansicht der beklagten Arbeitgeberin sei der Schwellenwert für eine Anzeigepflicht bei 12 Entlassungen im Verhältnis zu 123 bzw. 124 Arbeitnehmern (inklusive Leiharbeitnehmern) nicht erreicht gewesen. Nach Ansicht der klagenden Arbeitnehmerin hätten die Leiharbeitnehmer dagegen nicht berücksichtigt werden dürfen, sodass mit 12 Entlassungen im Verhältnis zu 120 Arbeitnehmern (exklusive Leiharbeitnehmern) eine Anzeigepflicht bestanden habe. Mangels Massenentlassungsanzeige sei die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses unwirksam.
Das LAG Düsseldorf teilte die Ansicht der Klägerin.
Bei einer Betriebsgröße zwischen 61 und 499 Arbeitnehmern sei der Schwellenwert für eine Anzeigepflicht bei Entlassung von mindestens 10 % der Arbeitnehmer erreicht – bei 120 Arbeitnehmern also bei 12, bei 123 bis 124 Arbeitnehmern bei aufzurundenden 13 Entlassungen. Da die Leiharbeitnehmer nicht zu berücksichtigen seien, sei der Schwellenwert – bezogen auf 120 Arbeitnehmer – bei 12 Entlassungen erreicht gewesen.
Auch wenn das BAG für diverse Schwellenwerte entschieden habe, dass Leiharbeitnehmer insofern als Arbeitnehmer des Entleihbetriebs zu berücksichtigen seien, ließe sich diese Wertung nicht pauschal auf andere Schwellenwerte übertragen. Die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern sei anhand des Sinn und Zwecks des jeweiligen Schwellenwertes zu beurteilen. Sinn und Zweck des § 17 Abs. 1 KSchG sprächen gerade gegen eine Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern. Insbesondere verfolge § 17 KSchG primär arbeitsmarktpolitische Ziele. Die Bundesagentur solle in die Lage versetzt werden, frühzeitig Maßnahmen hinsichtlich der zu entlassenden Arbeitnehmer einzuleiten. Durch Entlassungen im Entleihbetrieb komme es nicht zwingend auch zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher.
Vorabentscheidungsverfahren
Auf die Revision der beklagten Arbeitgeberin hat der 12. Senat des BAG am 16.11.2017 (Az. 2 AZR 90/17 (A), PM 51/17) entschieden, den EuGH u.a. um Klärung der Frage zu ersuchen, ob Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der § 17 KSchG zugrundeliegenden Richtlinie 98/59/EG so auszulegen sei, dass bei der regelmäßigen Arbeitnehmerzahl des Entleihbetriebs dort eingesetzte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen seien.
Praxishinweis
Grundsätzlich gilt: Je höher die regelmäßige Arbeitnehmerzahl, desto höher muss die Zahl der Entlassungen sein, um eine Anzeigepflicht auszulösen. Je nach Anzahl im Betrieb eingesetzter Leiharbeitnehmer könnte die einseitige Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern für die regelmäßige Arbeitnehmerzahl, nicht aber für die Anzahl der Entlassungen, die Hürden für eine Anzeigepflicht verzerren. Eine höchstrichterliche Klärung dieser grundsätzlichen Frage ist daher begrüßenswert.
In den vergangenen Jahren wurde der Kreis der arbeitsrechtlichen Schwellenwerte, in deren Rahmen Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sind, durch die nationale Rechtsprechung und zuletzt etwa durch § 14 Abs. 2 AÜG n.F. stetig erweitert. Es bleibt daher mit Spannung abzuwarten, wie der EuGH die Rolle von Leiharbeitnehmern im Rahmen der Schwellenwerte für eine Massenentlassungsanzeigepflicht beurteilen wird. Bis dahin sollte im Rahmen von Personalabbaumaßnahmen sorgfältig erwogen werden, wie Leiharbeitnehmer für die Berechnung der regelmäßigen Arbeitnehmerzahl berücksichtigt werden, und ob ggf. eine (vorsorgliche) Massenentlassungsanzeige unter fortgeführter Aussparung der Leiharbeitnehmer erstattet wird.