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25.11.2014
Unternehmensrecht

Die neue EU-Vergaberichtlinie: Mehr Rechtssicherheit im Bereich der Inhouse-Vergabe?

Mit Wirkung zum 17. April 2014 ist die neue EU-Vergaberichtlinie in Kraft getreten. Erfüllt die Richtlinie ihre Zielsetzungen nach mehr Rechtssicherheit, insbesondere bei der Inhouse-Vergabe?

Eines der zentralen Ziele der jüngst in Kraft getretenen EU-Vergaberichtlinie (RL 2014/24/EU) ist die Gewährleistung von mehr Rechtssicherheit im Bereich öffentlicher Auftragsvergaben. Dieses Ziel wurde für die in der Praxis äußerst relevanten Bereichsausnahmen der Inhouse-Vergabe und der Interkommunalen Zusammenarbeit teils erreicht, teils versäumt und in einigen Fällen sogar konterkariert. Hoffnung bietet insoweit der Umsetzungsakt auf nationaler Ebene.

I. Einleitung

Mit Wirkung zum 17. April 2014 ist die neue EU-Vergaberichtlinie in Kraft getreten. Neben der Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), sowie der dem Vergaberecht ohnehin inhärenten Effizienzsteigerung öffentlicher Ausgaben steht hierbei die Erlangung von mehr Rechtssicherheit im Vordergrund.

Die Richtlinie ist bis April 2016 in deutsches Recht umzusetzen. Sollte ein entsprechender Umsetzungsakt bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt sein, erlangt die Richtlinie unmittelbare Wirkung. Die Vergaberichtlinie ist zudem im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung zu berücksichtigen. Die Rechtsanwender – insbesondere die Vergabekammern und Gerichte – sind demnach gehalten, die durch Europäisches Sekundärrecht vorgegebenen Maßstäbe zu berücksichtigen. Innerhalb rechtsstaatlicher Grundsätze gilt dies bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist. Es ist daher zu erwarten, dass die Vorgaben der EU-Vergaberichtlinie im Wege der richtlinienkonformen Auslegung bereits zum jetzigen Zeitpunkt konkrete Auswirkungen auf die Vergabeverfahren haben werden.

II. Das Inhouse-Privileg in der EU- Vergaberichtlinie

In Art. 12 der Richtlinie wird sich unter dem Titel „Öffentliche Aufträge zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors“ einiger komplexer und in der Judikatur seit geraumer Zeit umstrittener Rechtsprobleme angenommen. Die Richtlinie erfindet das Rad nicht neu, sie präzisiert jedoch bisher bestehende Unwägbarkeiten und implementiert zudem kleinere Neuerungen. Raum für rechtlichen Interpretationsspielraum besteht dennoch weiterhin reichlich.

In der Richtlinie wird u.a. die sogenannte Inhouse-Vergabe, also die vertikale Zusammenarbeit zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einer juristischen Person des privaten oder öffentlichen Rechts geregelt, die unter bestimmten Voraussetzungen vom Vergaberecht ausgenommen ist.
Gemäß Art. 12 Abs. 1 EU-Vergaberichtlinie liegt eine Inhouse-Fähigkeit vor, wenn insbesondere folgende Bedingungen kumulativ erfüllt sind:

  • der öffentliche Auftraggeber übt über die betreffende juristische Person eine ähnliche Kontrolle aus, wie über seine eigenen Dienststellen (Kontrollkriterium);
  • mehr als 80 % der Tätigkeiten der kontrollierten juristischen Person dienen der Ausführung der Aufgaben, mit denen sie von dem die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggeber oder von anderen von diesem kontrollierten juristischen Personen betraut wurden (Wesentlichkeitskriterium);
  • es besteht keine direkte Privatbeteiligung an der kontrollierten juristischen Person mit Ausnahme nicht beherrschender Formen der privaten Kapitalbeteiligung und Formen der privaten Kapitalbeteiligung ohne Sperrminorität, die in Übereinstimmung mit den Verträgen durch nationale Gesetze vorgeschrieben sind und keinen beherrschenden Einfluss auf die juristische Person vermitteln.

In Art. 12 Abs. 1 Ua. 1 wird klargestellt, dass eine Kontrolle auch durch eine andere juristische Person ausgeübt werden kann, die vom öffentlichen Auftraggeber auf gleiche Weise kontrolliert wird. Mithin können auch Enkelunternehmen unter das Inhouse-Privileg fallen. Ferner wird in Art. 12 Abs. 2 klargestellt, dass die vorstehenden Kriterien auch zwischen Schwester-gesellschaften Anwendung finden. Selbiges gilt auch im Upstream-Verhältnis (Vergabe einer kontrollierten juristischen Person an den öffentlichen Auftraggeber), sofern die kontrollierte juristische Person selbst als öffentlicher Auftraggeber zu kategorisieren ist. Eine Sonderkonstellation der vertikalen Zusammenarbeit betrifft die gemeinsame Kontrolle eines Auftragnehmers durch mehrere Auftraggeber. Hierbei statuiert Art. 12 Abs. 3 konzeptionell ähnliche Freistellungsvoraussetzungen wie im Bereich der einseitigen Kontrolle.

Darüber hinaus stellt die Richtlinie in Art. 12 Abs. 4 Kriterien für den Bereich der Interkommunalen Zusammenarbeit – wenn also zwei öffentliche Auftraggeber untereinander einen Vertrag schließen –auf. Hierbei hat insbesondere die Implementierung des zuvor weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur diskutierten Wesentlichkeitskriteriums in der Praxis für Verwirrung gesorgt. Danach müssen die beteiligten öffentlichen Auftraggeber weniger als 20 % der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten auf dem offenen Markt erbringen.

III. Bewertung der EU-Vergaberichtlinie

Während das Kontrollkriterium des Inhouse-Privilegs von der Rechtsprechung sukzessive präzisiert wurde, bestand im Bereich des Wesentlichkeitskriteriums weit mehr Unklarheit. Der EuGH hatte den Weg hier nur strukturell vorgegeben. Er hatte lediglich klargestellt, dass es neben eines qualitativen auch eines quantitativen Kriteriums bedarf.

Im Hinblick auf das quantitative Kriterium ist die Richtlinie deutlich großzügiger als der EuGH. Dieser hatte in einem Fall das Vorliegen des Wesentlichkeitskriteriums bei einer Fremdtätigkeit von 10 % des Gesamtumsatzes noch bejaht. Dementgegen hat er es bei einer Fremdtätigkeit von 20 % des Gesamtumsatzes explizit abgelehnt. Der eindeutige Wortlaut der Richtlinie stellt nunmehr klar, dass eine Fremdtätigkeit von bis zu 20 % einer inhousefähigen Vergabe nicht entgegensteht.

In der Rechtsprechung war und ist zudem umstritten, unter welchen Voraussetzungen Umsätze als „für den Auftraggeber erzielt“ anzusehen sind (qualitatives Kriterium). Hierzu wird in Art. 12 Abs. 1 und in Erwägungsgrund 32 EU-Vergaberichtlinie verdeutlicht, dass der quantitativ auf 80 % festgesetzte Tätigkeitsanteil qualitativ „in Ausführung von Aufgaben erfolgen muss, mit denen [der Auftragnehmer] von dem kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber betraut worden ist, und zwar ungeachtet des Begünstigten der Ausführung des Auftrags. Es ist daher unerheblich, wer den Auftragnehmer vergütet. Entscheidend ist das Bestehen eines Näheverhältnisses zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer.

Leider hat es der Europäische Gesetzgeber versäumt, die qualitativen Anforderungen des Wesentlichkeitskriteriums auch darüber hinaus zu präzisieren. Insoweit wäre es wünschenswert gewesen, wenn etwa eine Klarstellung dahingehend erfolgt wäre, dass Aufgaben, die in Erfüllung von öffentlich-rechtlichen (oder auch privaten) Verpflichtungen des Auftraggebers – wie etwa im Bereich der Daseinsvorsorge – den Anforderungen an ein hinreichendes Näheverhältnis stets genügen.

Ein ebenfalls ungelöstes Problem besteht darin, dass die Richtlinie keinerlei Aussagegehalt dahingehend hat, ob im Rahmen des Wesentlichkeitskriteriums Umsätze von Tochterunternehmen zu berücksichtigen sind. Bisher findet sich hierzu nur vereinzelte Rechtsprechung auf nationaler Ebene. Es scheint also, als würden sich die Legislativorgane der EU nur mit derjenigen Materie auseinandersetzen, die bereits seitens des EuGH behandelt wurde.

Dem Wesentlichkeitskriterium mit der nötigen Rechtssicherheit zu entsprechen wird sich auch weiterhin als Balanceakt darstellen. Es bleibt zu hoffen, dass der deutsche Gesetzgeber diese und weitere Unsicherheiten durch einen deutlich präziseren Umsetzungsakt ausräumen wird. Hinsichtlich des Kontrollkriteriums greift die Richtlinie die bisherige EuGH Rechtsprechung auf. Begrüßenswert ist, dass die Richtlinie klarstellt, dass das bloße Vorliegen von Enkel, Schwester- und Reverse-Konstellationen keinen Ausschlussgrund darstellt. Richtigerweise ist hier eine Prüfung anhand des Kontrollkriteriums vorzunehmen. Dem in solchen Konstellationen drohenden, graduellen Kontrollverlust kann hierdurch zu Genüge Rechnung getragen werden.

Ad absurdum wird das erklärte Ziel nach mehr Rechtssicherheit jedoch durch das Wesentlichkeitskriterium im Rahmen der Interkommunalen Zusammenarbeit geführt. Hier bleibt es abzuwarten, wie zunächst die Rechtsprechung und sodann der deutsche Gesetzgeber mit dieser Thematik umgeht. Problematisch ist insoweit insbesondere, dass der EU Vergaberichtlinie bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine gewisse Vorwirkung zukommt und sich öffentliche Auftraggeber an dieser ausrichten müssen.

Ihr Ansprechpartner

Sebastian Schnitzler
Manager

sschnitzler@deloitte.de
Tel.: 040 37853837

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