BNetzA-Festlegung: Die neuen Standard-Netznutzungsverträge in der Stromwirtschaft – eine Analyse
Die neuen Standard-Netznutzungsverträge in der Stromwirtschaft die durch die Bundesnetzagentur am 16. April 2015 beschlossen wurden, setzten als Musterverträge für jeden Betreiber eines Elektrizitätsnetzes in Deutschland ab 2016 einen verbindlichen Rechtsrahmen und schaffen damit Rechtssicherheit für Lieferanten und Kunden.
Nach einer sehr kontrovers geführten Konsultation hat die Bundesnetzagentur („BNetzA“) am 16. April 2015 erstmalig auch im Bereich der Stromwirtschaft Standardverträge für die Netznutzung, d.h. für die Durchleitung von Strom zu Entnahmestellen per Festlegung beschlossen. Diese Musterverträge sind von jedem Betreiber eines Elektrizitätsnetzes in Deutschland ab dem 1. Januar 2016 anzuwenden. Die einheitlichen Vertragsstandards schaffen Transparenz und Rechtssicherheit für Lieferanten und Letztverbraucher, die nun nicht mehr einer Vielzahl unterschiedlicher Geschäftsbedingungen für den Netzzugang ausgesetzt sind. Umgekehrt bieten die Musterverträge den Netzbetreibern – einschließlich Übertragungsnetzbetreibern – die Sicherheit, vollumfänglich regulatorisch zulässige Geschäftsbedingungen zu verwenden.
Im Folgenden werden wir kurz die wesentlichen Bestandteile des neuen Netznutzungsvertrags („NNV“) darstellen und auf interessante Neuerungen eingehen.
Rechtsnatur, Inhalt und Umfang der Musterverträge
Der von der BNetzA festgelegte NNV kann als ein „reiner“ Netznutzungsvertrag oder als sog. Lieferantenrahmenvertrag ausgestaltet werden. Die erste Variante (reiner Netznutzungsvertrag) eignet sich für Letztverbraucher, die ihre Strombelieferung netzseitig selbst kontrahieren. Der Lieferantenrahmenvertrag wird dagegen von Lieferanten abgeschlossen, die mehrere Letztverbraucher über das Netz des Netzbetreibers beliefern. In beiden Fällen regelt der Vertrag im Wesentlichen die Rechte und Pflichten der Netzbetreiber und der Netzkunden (Lieferanten und/oder Letztverbraucher) im Hinblick auf die Nutzung der Elektrizitätsversorgungsnetze. Der Vertrag enthält Bestimmungen u. a. zu den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Nutzung des Netzes (z. B. die Bedingung, dass sämtliche Entnahmestellen einem bestimmten Bilanzkreis zugeordnet werden), zu Messung, Entgelten, Abrechnung, und Zahlungen sowie Regelungen zum Ausgleich von Mehr-/Mindermengen und zu Leistungsstörungen. Darüber hinaus sind vor dem Hintergrund der Insolvenzen von TelDaFax und Flexstrom besondere Regelungen zur Kündigung und Vorauszahlung aufgenommen worden.
Des Weiteren ist vorgesehen, dass es zukünftig ein elektronisches Netzentgeltpreisblatt geben soll, wozu die Netzbetreiber bis zum 1. August 2015 eine Prozessbeschreibung der Bundesnetzagentur vorlegen sollen.
Da die Geschäftsbedingungen des Mustervertrags im Rahmen einer Festlegung der Bundesnetzagentur – eine sog. Allgemeinverfügung im Sinne des VwVfG – getroffen worden sind, unterliegen diese Geschäftsbedingungen nur sehr eingeschränkt der Kontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 ff. BGB. In regulatorischer Hinsicht sind die Netzbetreiber daran gehindert, von diesen Geschäftsbedingungen abzuweichen. Eine Abweichung kann grundsätzlich als Diskriminierung beim Netzzugang gewertet werden.
Änderung der geltenden Netznutzungsverträge zum 1. Januar 2016
Die Netzbetreiber sind verpflichtet, die geltenden Netznutzungsverträge anzupassen. Dies ist grundsätzlich in der Form vorzunehmen, wie es in den aktuellen Netznutzungsverträgen geregelt ist. Es besteht auch die Möglichkeit, die Netznutzungsverträge mit den Netzkunden zum 31. Dezember 2015 zu kündigen und gleichzeitig den Abschluss eines neuen Netznutzungsvertrages, der den Vorgaben der Festlegung entspricht, abzuschließen.
Abweichung vom Muster-Netznutzungsvertrag nur in Ausnahmefällen möglich
Gemäß § 1 Abs. 2 NNV sind die Vertragsbedingungen des NNV grundsätzlich abschließend. Die Vertragsparteien können jedoch ergänzende oder abweichende Regelungen treffen. Der Netzbetreiber muss diese abweichenden Regelungen aber jedem Netznutzer diskriminierungsfrei anbieten und sie im Internet veröffentlichen. Im Übrigen dürfen Ergänzungen oder abweichende Bedingungen nicht zur Voraussetzung für den Abschluss des Netznutzungsvertrages gemacht werden. Der Spielraum der Netzbetreiber für Abweichungen vom Standard-NNV ist insofern relativ begrenzt.
Weitere Besonderheiten des NNV
- Gemäß § 6 Abs. 7 NNV sind ab dem 1. Januar 2016 Umspannverluste durch einen angemessenen Korrekturfaktor bei den Messwerten zu berücksichtigen. Insofern werden diese Korrekturfaktoren nunmehr bilanziell wirksam – bisher erfolgte nur eine rein finanzielle Berücksichtigung.
- Gemäß § 8 Abs. 6 NNV ist bei einem unterjährigen Wechsel des Anschlussnutzers für die Entgeltberechnung nur die bis zum Zeitpunkt des Wechsels erreichte Höchstleistung maßgeblich. Erreicht der neue Anschlussnutzer nach dem Wechsel eine höhere Höchstlast, so bleibt dies für die Abrechnung gegenüber dem vorherigen Lieferanten/Anschlussnutzer unberücksichtigt. Gleiches gilt bei einer unterjährigen Inbetriebnahme oder Stilllegung einer Entnahmestelle.
- Gemäß § 9 Abs. 3 NNV sind für die Abrechnung der Mehr-/Mindermengen ab dem 1. April 2016 die von den Verbänden erarbeiteten „Prozesse zur Ermittlung und Abrechnung von Mehr-/Mindermengen Strom und Gas“ vom 14. Oktober 2014 maßgeblich.
- Gemäß § 10 Abs. 6 NNV ist bei einem Lieferantenrahmenvertrag die Unterbrechung der Netz- und Anschlussnutzung auf Anweisung des Lieferanten spätestens innerhalb von sechs Werktagen durch den Netzbetreiber vorzunehmen.
Insolvenzrechtlich bedeutsame Änderungen der Abrechnungs- und Zahlungsmodalitäten
Aufgrund der Vielzahl der Anfechtungsprozesse im Rahmen des Insolvenzverfahrens über die TelDaFax-Gruppe sowie die Flexstrom-Gruppe gab es in der Vergangenheit viele Diskussionen um insolvenzfeste Abrechnungs-, Zahlungs- und Sicherheitenklauseln. Flankiert wird dies zurzeit mit einem Vorstoß, das Insolvenzrecht an die Besonderheiten der Energiewirtschaft anzupassen.
Die Netzbetreiber hatten im Vorfeld der Festlegung des NNV gefordert, hinsichtlich der Netzentgelte eine höchstpersönliche Schuld des Netzkunden festzuschreiben. Diese Forderung ist auf eine Reihe von Anfechtungsprozessen zurückzuführen, die im Fall der TelDaFax-Gruppe geführt werden und eine sog. Schenkungsanfechtung zur Grundlage haben. Die Netznutzung wurde innerhalb der TelDaFax-Gruppe von einem TelDaFax-Unternehmen in Anspruch genommen und von einem anderen gezahlt.
Der NNV berücksichtigt diese Forderung in § 8 Abs. 16 NNV nur zum Teil. Die Klausel sieht vor, dass die Netzbetreiber berechtigt sein sollen, Zahlungen Dritter abzulehnen. Insofern sind hier die Netzbetreiber gefragt, im Einzelfall zu prüfen, ob sie die Leistung eines Dritten ablehnen oder nicht.
Im Übrigen hat die BNetzA darauf verzichtet, Sicherheitenregelungen – wie sie etwa in der Kooperationsvereinbarung Gas zu finden sind – in den NNV aufzunehmen. Sie beschränkt sich darauf, in § 11 NNV die Voraussetzungen und Modalitäten der Vorauszahlung ausführlich zu regeln. Im Wesentlichen geht es darum, in begründeten Fällen die Vorauszahlungen als eine Form der Sicherheit „insolvenzfest“ zu machen, indem der Austausch der Leistung als sogenanntes Bargeschäft ausgestaltet wird. Es bleibt abzuwarten, ob diese Regelungen auch in der Praxis tauglich sind und dem Insolvenzrecht standhalten.
Fazit
Die BNetzA legt erstmalig einen Standardvertrag für die Netznutzung vollumfänglich fest. Dies hat den Vorteil für die Marktteilnehmer, dass sie bundesweit mit einem einzigen Vertragsstandard arbeiten können. Die Regelungen des Vertrags dürften im Grundsatz für alle Marktbeteiligten akzeptabel sein. Dennoch ist es zu erwarten, dass einzelne Regelungen (bzw. deren Auslegung) Gegenstand von Streitigkeiten sein werden. Marktteilnehmer, die nicht an dem Festlegungsverfahren beteiligt waren, haben zudem die Möglichkeit, den Mustervertrag bzw. einzelne Bestimmungen innerhalb eines Jahres nach Veröffentlichung des Beschlusses der BNetzA gerichtlich anzugreifen.