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22.08.2024
Unternehmensrecht

Betriebsrentenstärkungsgesetz 2.0

Stand: Juli 2024

Wesentliche Neuerungen aus dem Referentenentwurf zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und das Bundesministerium der Finanzen haben am 24.06.2024 den von der Praxis bereits lang erwarteten Referentenentwurf des zweiten Gesetzes zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung („BRSG 2.0-E“) veröffentlicht. Wir fassen in diesem Client Alert die wesentlichen Erkenntnisse aus dem BRSG 2.0 zusammen. 

1. Entgeltumwandlung durch Opting-Out: Nun auch auf betrieblicher Ebene – bei höherem Arbeitgeberzuschuss und gewähltem Betriebsrat/Personalrat

 § 20 BetrAVG soll gemäß BRSG 2.0-E um die Möglichkeit der Entgeltumwandlung durch ein Optionssystem allein auf der Grundlage einer kollektivrechtlichen Vereinbarung zwischen dem Organ der Arbeitnehmervertretung (= Betriebsrat/Personalrat) und dem Arbeitgeber erweitert werden – ohne erforderliche tarifvertragliche Grundlage. Damit soll nach Einschätzung des Gesetzgebers der Auf- und Ausbau der Entgeltumwandlung auch in Betrieben beschleunigt werden, die nicht von Tarifverträgen erreicht werden. Die Bedingung eines solchen Optionssystems, welches auf einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung beruht, soll ein erhöhter Arbeitgeberzuschuss von mindestens 20 % des umgewandelten Betrages sein, womit zugleich der Arbeitgeberzuschuss in Höhe von 15 % nach § 1a Abs. 1a BetrAVG abgegolten sein soll.

Da der im Jahr 2002 eingeführte Rechtsanspruch der Arbeitnehmer auf Entgeltumwandlung nicht zur gewünschten Verbreitung der Entgeltumwandlung führte, hatte man bereits mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz 1.0 im Jahr 2018 ein Opting-Out-System auf tarifvertraglicher Basis eingeführt, welches die automatische Teilnahme der Arbeitnehmer an der Entgeltumwandlung vorsieht. Wünscht der Arbeitnehmer dann keine Entgeltumwandlung, muss er aktiv und ausdrücklich der Entgeltumwandlung widersprechen.

Die beabsichtigte Neuregelung wird keine Anwendung finden (können) bei Arbeitgeber-Unternehmen ohne gewählten Betriebsrat/Personalrat. Hier wird für Arbeitnehmer unverändert ausschließlich die Möglichkeit des Opting-In bestehen, um die Teilnahme an der Entgeltumwandlung zu aktivieren.

2. Sozialpartnermodelle extended: Nichttarifgebundene Arbeitgeber sind mit Zustimmung der Sozialpartner dabei

Der BRSG 2.0-E erweitert § 24 BetrAVG um die Opportunität der Teilnahme Dritter am relevanten Sozialpartnermodell (SPM). Der neue Absatz 1 entspricht der bisherigen Regelung, nach der nichttarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit Zustimmung der Sozialpartner die einschlägige tarifliche Regelung zu einem SPM vereinbaren können.

Zusätzlich wird nunmehr auch die Möglichkeit eröffnet, die Anwendung einer nicht einschlägigen tariflichen Regelung über ein SPM zu vereinbaren. Zwei Konstellationen sieht BRSG 2.0-E mit Zustimmung der das SPM tragenden Tarifvertragspartner vor:

  1. Der für das Arbeitsverhältnis einschlägige Tarifvertrag hat eine entsprechende Öffnungsklausel – sogenannter „Öffnungs-Taifvertrag“;
  2. Das Arbeitsverhältnis unterfällt dem Organisationsbereich der Gewerkschaft, die das SPM trägt – die Gesetzesbegründung weist u. a. auf das SPM in der Chemiebranche hin, das beispielsweise von der Papier- und Keramikindustrie oder der Wasserwirtschaft genutzt werden kann.

Unterfällt das Arbeitsverhältnis dem Organisationsbereich der Gewerkschaft, gelten sämtliche tariflichen Regelungen des relevanten SPM unmittelbar. Hingegen kann in der ersten Konstellation vereinbart werden, dass zwar der organisatorische Rahmen des bestehenden SPM genutzt wird, jedoch eine eigenständige modifizierte Ausgestaltung zum Tragen kommt. In diesem Fall ist es begrüßenswert, dass der Entwurf des § 21 BetrAVG am Ende von Absatz 1 nunmehr vorsieht, dass eine Beteiligung der die Öffnungs-Tarifverträge tragenden Sozialpartner an der Durchführung und Steuerung des SPM nicht erforderlich ist. Darüber hinaus wird klargestellt, dass eine mangelhafte Beteiligung nicht zur Unwirksamkeit der reinen Beitragszusage führt.

Der im BRSG 2.0-E vorgesehene neue Absatz 4 des § 24 BetrAVG ermöglicht den Sozialpartnern, den nicht tarifgebundenen dritten Arbeitgeber an den Kosten für die Durchführung und Steuerung des SPM angemessen zu beteiligen. Nicht näher definiert im Entwurf sind die Anforderungen an die Angemessenheit; hierzu wird die Praxis bedarfsgerechte Lösungen insbesondere in Bezug auf die nach dieser Kostenbeteiligungsregel auf den Dritten umlegbaren Verwaltungskosten für das jeweilige SPM zu entwickeln haben. Die angestrebte Regelung, um dies auch bei der Kalkulation der Beiträge und Leistungen berücksichtigen zu können, hat in dem Referentenentwurf bislang noch keine Flankierung im Versicherungsaufsichtsgesetz erfahren.

Zu begrüßen ist die im BRSG 2.0-E in einem neuen Absatz 4 des § 35 PFAV-E vorgesehene Stärkung des Sicherungsbeitragspuffers. Der bislang ausschließlich aus den Sicherungsbeiträgen nach § 23 Abs. 1 BetrAVG aufgebaute sogenannte Sicherungsbeitragspuffer nach § 35 Abs. 3 PFAV kann nun auch durch „Ertragsspitzen“ zusätzlich gestärkt werden. Voraussetzung ist, dass die Vermögensanlage für Anwärter und Rentenempfangende zusammen erfolgt. Dabei sind Ertragsspitzen solche Nettoerträge, die einen in Prozent der Vermögensanlage festgelegten Schwellenwert überschreiten. Eine entsprechende Synchronisierung mit der Handhabung des sogenannten Schwankungskorridors im Rentenbezug (vgl. § 38 PFAV) ist in der Praxis mitzudenken.

3. Vorzeitige Inanspruchnahme der Betriebsrente auch bei Teilrente

BRSG 2.0-E sieht ferner vor, Arbeitnehmern unabhängig vom Bezug einer gesetzlichen Voll- oder Teilrente einen gesetzlichen Anspruch auf eine vorzeitige Betriebsrente einzuräumen. Ein anteiliger Betriebsrentenanspruch soll damit aber nicht einhergehen.

Bislang können Arbeitnehmer nach § 6 BetrAVG nur bei Bezug einer gesetzlichen (Alters-)Vollrente einen Anspruch auf den (vorzeitigen) Bezug der Betriebsrente geltend machen. Seit Anfang 2023 wird bei Bezug einer vorgezogenen Altersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung zugleich erzieltes Erwerbseinkommen nicht mehr auf die Altersrente angerechnet. Die Regelung wird insofern mit Blick auf die Änderungen im Hinzuverdienstrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechend angepasst.

Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels soll die Regelung den Rentenbezug flexibilisieren und für Arbeitnehmer einen Anreiz setzen, dem Arbeitsmarkt länger zur Verfügung zu stehen.

Von der Neuregelung unberührt bleibt die rechtliche Möglichkeit, den Leistungsbezug in einer bAV-Zusage von der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitgeber oder vom Ausscheiden aus dem Erwerbsleben abhängig zu machen (s. dazu bereits unseren Client Alert).

4. Weitere Neuerungen im BRSG 2.0-E: Erhöhte Abfindungsgrenzen, Ratenzahlung durch Pensionsfonds, Förderung von Niedrigverdienern, Änderungen bei Pensionskassen

a) Erhöhte Abfindungsgrenzen für Abfindungsvereinbarungen nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Einbringung der Abfindungsbeträge in die gesetzliche Rentenversicherung

BRSG 2.0-E sieht zudem im neuen Absatz 2a zu § 3 BetrAVG die Verdopplung der bestehenden Abfindungsgrenzen des § 3 BetrAVG für Abfindungsvereinbarungen vor, die Arbeitgeber und Versorgungsbegünstigter nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abschließen; unter der Voraussetzung, dass die Arbeitnehmer diesem Vorgehen zustimmen und die Abfindungsbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung fließen. Die neue Abfindungsmöglichkeit soll Arbeitgeber über die bisherigen Abfindungsgrenzen des § 3 BetrAVG hinaus entlasten unter gleichzeitiger zweckgebundener Sicherung des Aufbaus einer zusätzlichen Absicherung im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung der Arbeitnehmer; der Regelung wohnt insoweit (auch) ein weitergehendes fiskalpolitisches Interesse inne. Abzuwarten bleibt mit Blick auf die auch nach § 3 Abs. 2a BetrAVG materiell nicht hohe Abfindungsgrenze die praktische Relevanz der beabsichtigten Neuregelung.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer können zugleich auch weiterhin Abfindungsvereinbarungen während des laufenden Arbeitsverhältnisses ohne materielle(re) Restriktionen vereinbaren, auf die § 3 BetrAVG unverändert nicht anwendbar sein wird.

b) Ratenzahlung durch Pensionsfonds:

BRSG 2.0-E ermöglicht in der Überarbeitung des § 236 VAG Pensionsfonds, künftig nicht nur lebenslange Zahlungen oder Einmalkapitalzahlungen zu erbringen, sondern auch Ratenzahlungen.

c) Förderung von Niedrigverdienern

Der Gesetzentwurf sieht zwei Verbesserungen bei der Förderung nach § 100 EStG (Förderbetrag) vor. Mit dem im Jahr 2018 eingeführten Förderbetrag soll gezielt die betriebliche Altersversorgung von Arbeitnehmern mit niedrigem Einkommen gefördert werden.

Zum einen sollen die Einkommensgrenzen in § 100 Abs. 3 Nr. 3 EStG künftig entsprechend der BBG dynamisiert werden (künftig 3 % der jährlichen BBG - in 2024 wären dies 2.718 EUR zu derzeit 2.575 EUR). Die bislang starren Grenzen haben dazu geführt, dass zunächst förderberechtigte Arbeitnehmer infolge regelmäßiger Lohn- und Gehaltssteigerungen aus der Förderung herausgefallen sind. Dies hat für Arbeitgeber Fragen aufgeworfen, z.B. ob nach Wegfall der Förderung die Beiträge wieder eingestellt werden können. Durch die Dynamisierung der Einkommensgrenzen erhalten Arbeitgeber hier mehr Planungssicherheit.

Zum anderen soll der Förderbetrag in § 100 Abs. 2 EStG angehoben werden (von aktuell 288 EUR auf 360 EUR). Damit würden künftig Beiträge bis zu 1.200 EUR (30 % von 1.200 EUR) gefördert werden (§ 100 Abs. 6 EStG).

Beide Änderungen sind zu begrüßen, da insbesondere bei Arbeitnehmern mit geringem Einkommen Versorgungslücken bestehen. Der Spielraum für eine eigene private oder durch Entgeltumwandlung finanzierte betriebliche Altersversorgung ist regelmäßig nicht oder nur in unzureichendem Umfang vorhanden.

d) Änderungen bei Pensionskassen

Die Modifikationen in § 232 VAG berücksichtigen erfreulicherweise den Wegfall der Hinzuverdienstgrenze für Bezieher einer vorgezogenen Rente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Damit können die Pensionskassen in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen also beispielsweise regeln, dass sie Leistungen schon bei einem teilweisen Wegfall von Erwerbseinkommen zahlen. Dies ist eine Kann-Vorschrift. Sie können jedoch – theoretisch – weiterhin die Zahlung ihrer Leistungen an das vollständige Wegfallen des Erwerbseinkommens knüpfen.

Der lang diskutierte und für Pensionskassen sachgerechte Wunsch nach einer adäquaten Regelung zu dem Zulassen von vorübergehender Unterdeckung des Sicherungsvermögens – also dem Abweichen von der Forderung nach jederzeitiger vollständiger Bedeckung – hat nun Eingang in den Referentenentwurf gefunden. § 234j VAG wird um fünf weitere Absätze ergänzt. Die Satzung muss (künftig) eine derartige Regelung zulassen und eine Sanierungsklausel enthalten. Die Unterdeckung ist auf 10 Prozent des Mindestumfangs des Sicherungsvermögens beschränkt. Schließlich muss die Pensionskasse einen sogenannten Sicherungsvermögensplan mit Arbeitgebern oder Dritten vor der Unterdeckung vereinbaren und von der Aufsichtsbehörde genehmigen lassen.

Dieser Sicherungsvermögensplan muss unter anderem darlegen, wie innerhalb von maximal zehn Jahren die Bedeckung wieder vollständig hergestellt werden soll. Ferner ist das Einhalten der Solvabilitäts- und Mindestkapitalanforderungen zu gewährleisten. Arbeitgeber und/oder Dritte müssen sich verpflichten, die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Eine regelmäßige Überprüfung durch die Pensionskasse ist verpflichtend.

e) Sonstige Änderungen

Weitere im Referentenentwurf enthaltene Änderungen betreffen die Regelungen zu Wertguthaben (§ 7c SGB IV). Aufgrund des geänderten Hinzuverdienstrechts in der gesetzlichen Rentenversicherung sollen künftig Wertguthaben auch bei Bezug vorgezogener Altersrente bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze in Anspruch genommen werden können.

Zudem soll § 212 VVG auf alle entgeltlosen Zeiten (bisher nur Elternzeit) erweitert werden. Demnach wäre es möglich, eine durch Entgeltumwandlung nach § 1a BetrAVG finanzierte Lebensversicherung nach Beendigung der entgeltfreien Zeit wie z.B. einem Sabbatical zu den vor der Umwandlung vereinbarten Bedingungen fortzuführen, sofern der Arbeitnehmer dies innerhalb von drei Monaten nach Ende der entgeltlosen Zeit verlangt.

Weiter soll der zunehmenden Digitalisierung auch bei der Kommunikation mit dem Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) Rechnung getragen werden. So soll künftig gemäß § 9 Abs. 1 BetrAVG der Schriftverkehr mit dem PSV mit Einwilligung des Versorgungsberechtigten auch über ein technisches Verfahren („Portal“ oder „App“) möglich sein. Und der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) soll künftig Beitragsbescheide vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen können (§ 10 BetrAVG), sofern kein Ermessen und kein Beurteilungsspielraum bestehen.

Schließlich enthält BRSG 2.0-E auch relevante Änderungen für die Kapitalanlage. Über Anpassungen der Verordnung über die Anlage des Sicherungsvermögens von Pensionskassen, Sterbekassen und kleinen Versicherungsunternehmen (AnlV) sind u.a. eine neue, gesonderte Infrastrukturquote in Höhe von 5 % des Sicherungsvermögens (§ 3 Abs. 7 AnlV-E) sowie eine Erhöhung der Risikokapitalanlagenquote (§ 3 Abs. 3 S. 1 AnlV) von 35 % auf 40 % des Sicherungsvermögens vorgesehen (s. hierzu auch bereits unseren Client Alert).

5. Ausblick: BRSG 2.0-E ein erster Schritt in die richtige Richtung – Erwartungshaltung für das weitere Gesetzgebungsverfahren

Insgesamt inkludiert der BRSG 2.0-E – wie in der Praxis erwartet – trotz diverser zu begrüßender Verbesserungen nicht den großen Wurf. Dies auch deshalb, da der Gesetzgeber nicht alle relevanten Änderungsanregungen aus der Praxis aufgegriffen hat, unter anderem etwa zur Klarstellung der quantitativen Parameter für die Wertgleichheit von bAV-Zusagen in der Ausgestaltung als beitragsorientierte Leistungszusagen oder als Beitragszusagen mit Mindestleistung. Da die das Gesetzgebungsverfahren führenden Ministerien zugleich zum BRSG 2.0 vorab bereits umfassende Konsultationen mit und in der Praxis durchgeführt haben, dürfte das weitere Gesetzgebungsverfahren voraussichtlich keine materiellen Änderungen des BRSG 2.0-E mit sich bringen.

Der Gesetzentwurf wurde am 27. Juni 2024 an die Verbände gesandt, die bis zum 25. Juli 2024 Zeit haben, zum Entwurf Stellung zu nehmen. Ende August 2024 soll der Entwurf im Kabinett beschlossen werden, danach beginnt das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren, das auch die erforderliche Zustimmung des Bundesrats umfassen wird. Die vorgestellten Änderungen des BRSG 2.0-E sollen am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten, mit Ausnahme der Regelung zur Niedrigverdienerförderung. Diese sollen ab 1. Januar 2025 gelten. 

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