EU-Richtlinie über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union in Kraft getreten
Die EU hat am 10. Oktober 2017 die Richtlinie (EU) 2017/1852 des Rates über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union (folgend EU-RL) erlassen und am 14. Oktober 2017 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.
Inhalt der EU-Richtlinie
Die EU-RL sieht, neben den bereits vorhandenen Verständigungs- und Schiedsverfahren nach Doppelbesteuerungsabkommen und EU-Schiedskonvention, eine weitere Möglichkeit zur Beseitigung einer Doppelbesteuerung vor. Die Notwendigkeit eines solchen Verfahrens wird mit einer nur unzureichenden Wirksamkeit der o.g. Streitbeilegungsmechanismen begründet.
Der erweiterte Anwendungsbereich des neuen Streitbeilegungsverfahrens umfasst nunmehr alle Fälle, in denen Unternehmensgewinne einer Doppelbesteuerung durch Einkommensteuer unterliegen. Die EU-Schiedskonvention begrenzte die Streitbeilegung bis dato auf Fälle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen.
Die EU-RL bietet sowohl Unternehmen als auch natürlichen Personen ein Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten über die Auslegung und Anwendung von Abkommen und Übereinkommen, die eine Beseitigung der Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen vorsehen (sogenannte „Streitfrage“).
Liegt eine „Streitfrage“ vor, ist der Steuerpflichtige berechtigt, innerhalb von drei Jahren nach Erhalt der ersten Mitteilung der Maßnahme, die im Ergebnis zu einer „Streitfrage“ führt oder führen wird, „Beschwerde“ einzureichen. Nach Eingang der „Beschwerde“ treffen die zuständigen Behörden binnen sechs Monaten eine Entscheidung darüber, ob die „Beschwerde“ zugelassen wird oder nicht. Fordert eine zuständige Behörde weitergehende Information von der betroffenen Person an, beginnt die Frist erst mit Eingang der angeforderten Informationen.
Bei Zulassung der „Beschwerde“ durch alle zuständigen Behörden oder im Falle einer sechsmonatigen Untätigkeit der zuständigen Behörde wird ein Verständigungsverfahren eingeleitet. Lassen hingegen nicht alle zuständigen Behörden die „Beschwerde“ zu, muss der Betroffene den Umweg über nationale Rechtsbehelfe nehmen bzw. einen Antrag bei dem sogenannten „Beratenden Ausschuss“ auf Zulassungsentscheidung stellen.
Im Rahmen des Verständigungsverfahrens sind die zuständigen Behörden gehalten, die „Streitfrage“ innerhalb von zwei Jahren ab der letzten Zulassungsmitteilung zu lösen. Die genannte „Zwei-Jahres-Frist“ kann auf Ersuchen einer Behörde um bis zu ein Jahr verlängert werden. Erzielen die zuständigen Behörden eine Einigung, wird diese dem Antragsteller mitgeteilt. Im Falle der Zustimmung und eines Rechtsmittelverzichts des Antragstellers ist die Entscheidung durch die betroffenen Mitgliedstaaten unverzüglich umzusetzen.
Können die zuständigen Behörden innerhalb der Frist keine Einigung erzielen, hat sich auf Antrag des Steuerpflichtigen ein „Beratender Ausschuss“ mit der Streitigkeit zu befassen. Der „Beratende Ausschuss“ gibt seine Stellungnahme spätestens sechs Monate nach seiner Einsetzung ab und übermittelt diese an die zuständigen Behörden. Anstelle des „Beratenden Ausschusses“ kann auf Vereinbarung der zuständigen Behörden ein „Ausschuss für alternative Streitbeilegung“ eingesetzt werden, der den Behörden flexiblere Lösungsmöglichkeiten bieten soll.
Die zuständigen Behörden sind verpflichtet, in den folgenden sechs Monaten eine Lösung über die „Streitfrage“ zu treffen. Hierbei ist es den Behörden gestattet, eine von der Stellungnahme des „Beratenden Ausschusses“ abweichende Entscheidung zu treffen. Treffen die Behörden keine übereinstimmende Entscheidung zur Lösung der „Streitfrage“, so sind sie an die Stellungnahme des „Beratenden Ausschusses“ gebunden.
Anwendungszeitraum und Umsetzung
Die am 3. November 2017 in Kraft getretene EU-RL findet auf alle ab dem 1. Juli 2019 eingereichten „Beschwerden“ Anwendung, sofern die „Streitfragen“ im Zusammenhang mit Einkommen oder Vermögen stehen, die in einem Steuerjahr, das am oder nach dem 1. Januar 2018 beginnt, erwirtschaftet wurden. Die Umsetzung der EU-RL in nationales Recht hat bis spätestens zum 30. Juni 2019 zu erfolgen.
Anmerkungen
Angesichts der immer weiter ausgedehnten Transparenzvorschriften und Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuervermeidung erkennt die EU die zunehmende Notwendigkeit effektiver Verfahren zur Beseitigung von Doppelbesteuerung an.
Ein weiteres – über den Anwendungsbereich der bestehenden Verständigungs- und Schiedsverfahren hinausgehendes – Verfahren zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist grundsätzlich positiv zu werten. Gleichwohl stellt sich die Frage der Anwendbarkeit der nebeneinander existierenden Verfahrensarten. Hierzu enthält die EU-RL die Vorgabe, dass die übrigen Verfahren mit Eingang einer „Beschwerde“ im Sinne der EU-RL, beendet werden. Dies wiederum wirft die Frage des eigenständigen Anwendungsbereichs der EU-Schiedskonvention bzw. deren Entbehrlichkeit auf. Insoweit bleibt abzuwarten, in welcher Form die Verfahren tatsächlich nebeneinander stehen werden oder ob das neue Streitbeilegungsverfahren bereits bestehende Verständigungs- und Schiedsverfahren ablösen kann.
Eine begrüßenswerte Neuerung bietet die Chance, anstelle des „Beratenden Ausschusses“ den „Ausschuss für alternative Streitbelegung“ einzusetzen. Dieser eröffnet die Möglichkeit, durch Anwendung aller Arten der Streitbeilegung, einschließlich des Schiedsverfahrens des „endgültigen Angebots“, die Streitbeilegung flexibler zu gestalten. Demgemäß könnten sich für den Steuerpflichtigen entsprechende Vorteile ergeben.
Durch das Schiedsverfahren des „endgültigen Angebots“ (auch „Final-Offer Arbitration“ oder „Baseball Arbitration“) wäre insoweit eine positive Auswirkung hinsichtlich realistischer Anpassungsbeträge der Behörden im Rahmen der „tatsächlichen Verständigung“ in der Betriebsprüfung wünschenswert.
Es bleibt insgesamt zu wünschen, dass die Intention der EU, insbesondere ein schnelleres und effizienteres Verfahren zu installieren, umgesetzt werden kann. Die Einhaltung der festgelegten Fristen in den entstehenden Verfahren wird vermutlich entscheidend von den bereitgestellten Ressourcen sowie der Akzeptanz des neuen Verfahrens seitens der Mitgliedsstaaten abhängen. Gleichfalls besteht die Hoffnung, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Anforderung weitergehender Informationen des Steuerpflichtigen nicht überstrapazieren werden und somit den Beginn des „Beschwerdeverfahrens“ wiederholt hinauszögern. In der Konsequenz würde der Sinn und Zweck eines schnellen und effizienten Verfahrens verfehlt.
Fundstelle
Weitere Fundstelle
EU-Schiedskonvention (Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen - 90/436/EWG)