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22.09.2021
Verfahrensrecht

LfSt Niedersachsen: Umsetzung der Entscheidung des BVerfG zur Vollverzinsung in der Finanzverwaltung

Das Landesamt für Steuern Niedersachsen hat in einer Pressemitteilung Hinweise zur Umsetzung der Entscheidung des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) zur Vollverzinsung mit jährlich 6% in der Finanzverwaltung gegeben.​

Hintergrund

Mit Beschluss vom 08.07.2021 hat das Bundesverfassungsgericht die Regelungen für die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen ab 2014 in ihrer Höhe von monatlich 0,5 % für verfassungswidrig erklärt. Eine übergangsweise Weiteranwendung der Verzinsungsregelung wird nur noch für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume zugelassen (Fortgeltungsanordnung). Für ab in das Jahr 2019 fallende Verzinsungszeiträume sind die Vorschriften dagegen unanwendbar. Dem Gesetzgeber ist aufgegeben, bis zum 31.07.2022 eine neue (bis einschließlich 2019 zurückwirkende) gesetzliche Neuregelung zu treffen.

Verwaltungsanweisung

In seiner Pressemitteilung vom 17.09.2021 gibt das Landesamt für Steuern in Niedersachsen folgende Hinweise zur Umsetzung der Entscheidung des BVerfG in der Finanzverwaltung:

Betroffen sind Nachzahlungs- und Erstattungszinsen

In dem Beschluss des BVerfG geht es ausdrücklich nur um Nachzahlungs- und Erstattungszinsen, nicht um Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen. Anträge wegen möglicher Verfassungswidrigkeit solcher anderer Zinsen werden die Finanzämter ab sofort wieder ablehnen, d.h. diese anderen Zinsen müssen jetzt gezahlt werden.

Zeit bis 31.12.2018

Verfassungswidrig ist die gesetzliche 6%-Regelung zur Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen für die Zeit ab 2019. Für die Zeit bis dahin hat das BVerfG das Gesetz ausdrücklich für weiter anwendbar erklärt. Demnach sind Zinsfestsetzungen für die Zeit bis 31.12.2018, die bislang wegen der ausstehenden Entscheidung des BVerfG noch vorläufig oder in ihrer Wirkung ausgesetzt waren, nun als endgültig anzusehen. Nachzahlungszinsen, für die die Finanzämter bislang für die Zeit bis 31.12.2018 Aussetzung der Vollziehung gewährt haben, müssen von den Steuerpflichtigen jetzt entrichtet werden.

Zeit ab 2019

Die Festsetzung von Zinsen auf Steuerforderungen und -erstattungen für die Zeit ab 2019 ist den Finanzämtern bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber untersagt. Aktuell ist somit offen, wie für die Zeit ab 2019 zu verfahren sein wird. Denn nach der Entscheidung des BVerfG ist es nun Sache des Gesetzgebers, für die Zeit ab 01.01.2019 eine Ersatzregelung zur Verzinsung von Nachzahlungen und Erstattungen zu treffen. Bundestag und Bundesrat haben für eine Neuregelung zur Verzinsung von Nachzahlungen und Erstattungen für die Zeit ab 01.01.2019 Zeit bis zum 31.07.2022, und sie können die Regelung auch rückwirkend ab 2019 in Kraft setzen.

Handhabung in der Finanzverwaltung

  • Endgültige, nicht mehr änderbare Zinsfestsetzungen für Zeiten ab 01.01.2019 bleiben (wegen der sog. „Bestandskraft“ solcher Bescheide) bestehen.
  • Neu zu erlassende Bescheide, mit denen eine erstmalige Festsetzung von Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen für die Zeit ab 01.01.2019 einhergehen würde, werden von vornherein in Bezug auf diese Zinsen vorläufig „auf null“ gesetzt, bis der Gesetzgeber die Ersatzregelung geschaffen hat und das Finanzamt diese sodann auf die Fälle – ggf. rückwirkend – anwenden kann.
  • Bescheide, die vor der Entscheidung des BVerfG ergangen waren und die noch nicht endgültig sind, bleiben grundsätzlich weiterhin nicht endgültig, solange sie von keinem der Beteiligten „angefasst“ werden. D. h. die in den Bescheiden enthaltenen Zinsfestsetzungen sind weiterhin „in der Welt“, aber mit dem Status „vorläufig“ (= bis zur Neuregelung des Gesetzgebers), und dies auch unabhängig davon, ob die betreffenden Zinszahlungen geleistet, gestundet oder in anderer Weise ausgesetzt worden sind. Sobald der Gesetzgeber die Ersatzregelung getroffen haben wird, werden die Finanzämter die Änderungen eigenständig und grundsätzlich ohne weiteren „Anstoß“ der Steuerpflichtigen in jedem einzelnen Fall von sich aus vornehmen.
  • Bei Bescheiden, die vor der Entscheidung des BVerfG ergangen sind und die jetzt geändert werden (müssen), kommt es darauf an, ob sich durch die Änderung für den Steuerpflichtigen eine (weitere) Nachzahlung ergibt oder ob ihm etwas zu erstatten ist: Bei einer (weiteren) Nachzahlung wird das Finanzamt die diesbezüglichen (weiteren) Zinsen – wie bei den Neufestsetzungen (siehe oben) – vorläufig „auf null“ setzen. Bei einer Erstattung (wegen nachträglich verminderter Nachzahlungshöhe) wird das Finanzamt die insoweit zu viel gezahlten Zinsen erstatten.  

Betroffene Normen

​§ 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1 S. 1 AO

Anmerkung

Auch das BMF hat mit Schreiben vom 17.09.2021 (siehe Deloitte Tax-News) zu Anwendungsfragen zum BVerfG-Beschluss Stellung genommen. 

Fundstelle

Landesamt für Steuer Niedersachsen, Pressemitteilung vom 17.09.2021

Weitere Fundstellen

BMF, Schreiben vom 17.09.2021, siehe Deloitte Tax-News

BVerfG, Beschluss vom 08.07.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, siehe Deloitte Tax-News

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