FG München: Anpassungsverpflichtung des Folgebescheids an den Grundlagenbescheid
Ein Folgebescheid kann solange erlassen oder geändert werden, als der Grundlagenbescheid nicht zutreffend ausgewertet ist. Denn die Bestandskraft des Folgebescheides steht stets unter dem Vorbehalt der materiell richtigen Auswertung des Grundlagenbescheides.
Sachverhalt
Streitig ist, ob die fehlerhafte Auswertung eines Verlustfeststellungsbescheides vom Finanzamt berichtigt
werden durfte.
Das Finanzamt hatte auf den 31.12.2005 einen verbleibenden Verlustvortrag aus privaten Veräußerungsgeschäften zur Einkommensteuer festgestellt. Bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens für das Streitjahr 2006 zog das Finanzamt diesen Verlustvortrag ab und setzte eine Steuer ohne Vorbehalt der Nachprüfung fest.
Im Jahr 2009 bemerkte das Finanzamt dass der Verlust im Datenspeicher falsch gespeichert worden war und änderte die Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO, indem es bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens den Verlust nicht mehr berücksichtigte. Die Kläger halten die Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2006 für unzulässig.
Entscheidung
Das Finanzamt war zur Änderung des Einkommensteuerbescheides berechtigt und verpflichtet.
Der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag ist getrennt nach Einkunftsarten gesondert festzustellen (§ 10d Abs. 4 S. 1 EStG a.F.). Dieser Feststellungsbescheid ist für die Einkommensteuerfestsetzung des Folgejahres bindend (§ 182 Abs. 1 S. 1 AO). Soweit ein Bescheid zur Feststellung eines Verlustvortrags erlassen, aufgehoben oder geändert wird, ist der für das Folgejahr erlassene Einkommensteuerbescheid daher entsprechend anzupassen (§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO).
§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO begründet eine „absolute Anpassungsverpflichtung“ und stellt die Anpassung des Folgebescheids nicht in das Ermessen der Finanzbehörden. Die Vorschrift räumt der materiellen Richtigkeit des Folgebescheids den Vorrang vor der Bestandskraft eines bereits ergangenen Folgebescheids ein (z.B. BFH-Urteil v. 24.09.2009). Fehler, die bei der Auswertung eines Grundlagenbescheids im Folgebescheid unterlaufen sind, sind nachträglich richtigzustellen.
Das Finanzamt war im Streitfall daher berechtigt und verpflichtet, den Änderungsbescheid zu erlassen, um ihn an den Grundlagenbescheid anzupassen. Die Kennzeichnung als „Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften“ im Grundlagenbescheid steht einer Berücksichtigung als allgemeiner „Verlustvortrag“ im Folgebescheid entgegen. Dies gilt nicht nur dann, wenn wegen eines Verwechslungsfehlers lediglich eine offenbare Unrichtigkeit vorläge. Vielmehr umfasst der Grundsatz des Vorranges der materiellen Richtigkeit des Folgebescheides auch den Fall, dass der für den Erstbescheid zeichnende Beamte die rechtliche Fehlvorstellung gehabt hätte, dass Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften auch mit anderen Einkünften verrechenbar wären. Die Bestandskraft des Folgebescheides steht insoweit stets unter dem Vorbehalt der materiell richtigen Auswertung des Grundlagenbescheides.
Betroffene Norm
§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO, § 10d EStG
Streitjahr 2006
Fundstelle
Finanzgericht München, Urteil vom 26.10.2012, 8 K 636/10, Revision nicht zugelassen
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 24.09.2009, III R 19/06, BFH/NV 2010, S. 164