BMF: Anwendungserlass zu Vorabverständigungsverfahren nach § 89a AO
Mit Schreiben vom 26.06.2024 hat die Finanzverwaltung den Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) geändert und sich erstmalig zu der mit dem Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz neu eingeführten Vorschrift des § 89a AO betreffend Vorabverständigungsverfahren geäußert.
Hintergrund
Seit dem Jahr 2021 ist im Rahmen des Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz (siehe Deloitte Tax-News) mit einem neuen § 89a AO eine eigenständige nationale Rechtsgrundlage für Vorabverständigungsverfahren geschaffen worden. Deren Auslegung und Anwendung konkretisiert der neue Anwendungserlass vom 26.06.2024. Das BMF-Schreiben zu Vorabverständigungsverfahren vom 05.10.2006 wird aufgehoben.
Verwaltungsschreiben
AEAO zu § 89a – Vorabverständigungsverfahren
Zu der neu in den AEAO eingefügten Regelung zu § 89a AO werden im Rahmen des BMF-Schreibens vom 26.06.2024 folgende Aspekte betrachtet:
1. Eröffnung des Vorabverständigungsverfahrens
2. Inhalt und Umfang des Antrags
3. Abschluss oder anderweitige Beendigung des Vorabverständigungsverfahrens
4. Bindungswirkung der Vorabverständigungsvereinbarung
5. Widerruf
6. Geltungszeitraum und Roll Back
7. Gebühren
Eröffnung des Vorabverständigungsverfahrens
Allgemein bezieht sich das Vorabverständigungsverfahren auf die steuerliche Beurteilung eines im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht verwirklichten Sachverhalts auf Grundlage anwendbarer DBA mit einem oder mehreren Staaten und wird nur unter den Voraussetzungen des § 89a AO geführt.
Zuständigkeit
Zuständig für die Durchführung eines Vorabverständigungsverfahrens ist das BZSt.
Antragstellung
In grenzüberschreitenden Fällen, in denen die Auslegung und Anwendung von DBA in Rede steht, soll das Vorabverständigungsverfahren nach § 89a AO grundsätzlich vorrangig gegenüber einer verbindlichen Auskunft (§ 89 AO), einer verbindlichen Zusage (§ 204 AO) oder einer Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) beantragt werden. Wird die Eröffnung des Vorabverständigungsverfahrens durch den anderen Staat abgelehnt, kann – auf Antrag– eine verbindliche Auskunft, eine verbindliche Zusage oder eine Anrufungsauskunft in Betracht kommen.
Gegenstand
Gegenstand eines Vorabverständigungsverfahrens können sämtliche Fragen der Auslegung und Anwendung von DBA sein, die im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht verwirklichte Sachverhalte betreffen. Damit kommen neben Fragen der grenzüberschreitenden Gewinnabgrenzung zwischen einander nahestehenden Personen oder der Gewinnzuordnung zu Betriebsstätten weitere Sachverhalte als Verfahrensgegenstand in Betracht, sofern in diesen Fällen nach dem Recht anderer beteiligter Staaten Vorabverständigungsverfahren möglich sind.
Abkommensberechtigung
Nur Abkommensberechtigte nach dem zwischen den betroffenen Vertragsstaaten anzuwendenden DBA sind berechtigt, beim BZSt einen Antrag auf Durchführung eines Vorabverständigungsverfahrens zu stellen. Personengesellschaften sind nach Artikel 4 Abs. 1 OECD-MA keine in Deutschland ansässigen Personen und können daher im Regelfall keine Anträge auf die Durchführung eines Vorabverständigungsverfahrens stellen. Abkommens- und damit antragsberechtigt sind jedoch Personengesellschaften, die gemäß § 1a KStG zur Körperschaftsbesteuerung optiert haben. Darüber hinaus enthält das Schreiben auch Regelungen zu einer ertragsteuerlichen Organschaft.
Inhalt des Antrags
Der Antrag hat den genau bestimmten, im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht verwirklichten Sachverhalt sowie den zeitlichen Anwendungsbereich, auf den sich das Vorabverständigungsverfahren beziehen soll, darzustellen (vgl. auch § 89a Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AO und AEAO zu § 89a, Nr. 2 ff.).
Roll Back bei Dauersachverhalten
Bei Dauersachverhalten ist ein Vorabverständigungsverfahren möglich, sofern im Zeitpunkt der Antragstellung noch Dispositionen möglich sind. Unter den Voraussetzungen des § 89a Abs. 6 S. 2 und 3 AO kann die Vorabverständigungsvereinbarung auch auf den bereits verwirklichten Teil eines Dauersachverhalts angewendet werden (sog. Roll Back).
Prefiling Meeting
Antragsteller können vor einem Antrag auf ein Vorabverständigungsverfahren die Durchführung eines unverbindlichen Vorgesprächs (sog. Prefiling Meeting) gegenüber dem BZSt formlos anregen. In diesem kann erörtert werden, wie die Verwaltung die Aussichten auf eine erfolgreiche Antragstellung sowie eine Einigung mit den zuständigen Behörden anderer in Betracht kommender Vertragsstaaten im Vorabverständigungsverfahren einschätzt.
Inhalt und Umfang des Antrags
Die in § 89a Abs. 2 S. 1 AO aufgezählten Antragsinhalte stellen eine Mindestvoraussetzung dar. Die Finanzbehörden können jederzeit zusätzliche Fragen stellen und weitere Informationen und Unterlagen zum Antrag anfordern. Ergeben sich nach Antragstellung Änderungen im zugrunde gelegten Sachverhalt oder in der betreffenden Planung des Antragstellers, hat dieser das BZSt unverzüglich zu informieren. Eine wesentliche Änderung führt dazu, dass der ursprünglich gestellte Antrag ganz oder teilweise hinfällig wird. Die Mitteilung über die Änderung kann als Rücknahme oder Beschränkung des Antrags und Neuantrag angesehen werden.
Aufzeichnungen und Unterlagen
Der Antragsteller muss seinen Antrag auch i.S.d. § 90 AO umfassend erläutern und alle erforderlichen Aufzeichnungen und Unterlagen beifügen.
Mitwirkungspflichten
Kommt der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nach § 90 AO nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nach, kann das BZSt das Verfahren im Einvernehmen mit der zuständigen Landesfinanzbehörde beenden.
Abschluss oder anderweitige Beendigung des Vorabverständigungsverfahrens
Fristgerechte Zustimmung
Eine Vorabverständigungsvereinbarung wird im Einvernehmen mit der zuständigen Landesfinanzbehörde zwischen dem BZSt und der zuständigen Behörde des anderen Vertragsstaates unter den aufschiebenden Bedingungen der fristgerechten Zustimmung des Antragstellers und ggf. der Zustimmung von Antragstellern in anderen beteiligten Staaten sowie des form- und fristgerecht erklärten wirksamen Rechtsbehelfsverzichts nach § 89a Abs. 3 S. 1 Nr. 2 AO geschlossen. Stimmt der Antragsteller nicht oder nicht fristgerecht zu oder erklärt er keinen wirksamen Rechtsbehelfsverzicht, wird die Vorabverständigungsvereinbarung ihm gegenüber nicht wirksam.
Mit der Mitteilung über den Inhalt der Vorabverständigungsvereinbarung setzt das BZSt dem Antragsteller eine angemessene Frist für die Erfüllung der Bedingungen nach § 89a Abs. 3 S. 1 AO, die in der Regel zwei Monaten beträgt.
Keine Verpflichtung des anderen Staates zur Durchführung eines Vorabverständigungsverfahrens
Der andere Staat ist nicht zur Durchführung eines Vorabverständigungsverfahrens verpflichtet. Wird die Einleitung des Verfahrens daher seitens dieses Staates versagt, ist das Verfahren von Seiten der deutschen zuständigen Behörde zu beenden.
Kein Zwang zu einvernehmlichem Abschluss
Die Herbeiführung eines einvernehmlichen Abschlusses des Vorabverständigungsverfahrens kann ebenfalls nicht erzwungen werden. Demzufolge kann ein Vorabverständigungsverfahren auch ohne den Abschluss einer Vorabverständigungsvereinbarung enden.
Bindungswirkung der Vorabverständigungsvereinbarung
Nach dem Schreiben entfällt die Bindungswirkung der Vorabverständigungsvereinbarung in dem Zeitpunkt, in dem mindestens eine der Voraussetzungen nach § 89a Abs. 4 S. 1 AO vorliegt.
Compliance Report
Bestandteil der Vorabverständigungsvereinbarung mit dem anderen Staat ist in der Regel ferner die Verpflichtung der Steuerpflichtigen, einen jährlichen Bericht („Compliance Report“) zu erstellen und vorzulegen. In diesem ist darzulegen, dass der der Vereinbarung zu Grunde gelegte Sachverhalt im betreffenden Wirtschaftsjahr verwirklicht worden ist und dass insbesondere die Bedingungen nach § 89a Abs. 4 S. 1 AO eingehalten wurden.
Gültigkeitsbedingungen
Der Vorabverständigungsvereinbarung werden regelmäßig bestimmte Annahmen zu Grunde gelegt, die als Gültigkeitsbedingungen nach § 89a Abs. 4 S. 1 Nr. 1 AO die Geschäftsbeziehungen maßgeblich beeinflussen. Solche Gültigkeitsbedingungen stellen zwischen den Vertragspartnern der Vorabverständigungsvereinbarung eine ausdrücklich vereinbarte Vertragsgrundlage dar. Der Erlass zählt hier Beispiele von ergänzenden Gültigkeitsbedingungen auf, deren Vereinbarung im Falle von Vereinbarungen zur Gewinnabgrenzung zwischen einander nahestehenden Personen oder zur Gewinnzuordnung zu Betriebsstätten sinnvoll sein kann.
Widerruf
Ein Widerruf sollte vor der Unterzeichnung der Vorabverständigungsvereinbarung erfolgen und unter der aufschiebenden Bedingung stehen, dass diese gegenüber dem Antragsteller wirksam wird; er ist jedoch auch noch nach dem Abschluss einer Vorabverständigungsvereinbarung möglich.
Geltungszeitraum und Roll Back
Geltungszeitraum
Der Geltungszeitraum einer Vorabverständigungsvereinbarung kann in Dauersachverhalten den gesamten Veranlagungszeitraum der Antragstellung umfassen.
Eine Verlängerung über den bestimmten Geltungszeitraum nach § 89a Abs. 6 S. 1 AO ist unter der Voraussetzung möglich, dass, sofern keine anderslautende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde, vor Ablauf des bestimmten Geltungszeitraums ein entsprechender Antrag beim BZSt gestellt und glaubhaft gemacht wird, dass der zukünftig zu verwirklichende Sachverhalt dem Sachverhalt entspricht, der dem Vorabverständigungsverfahren zu Grunde gelegt wurde.
Roll Back
Beantragt der Abkommensberechtigte ein Roll Back nach § 89a Abs. 6 S. 2 AO, kann diesem Antrag gefolgt werden, wenn dieser nachweist, dass der verwirklichte Sachverhalt in den betreffenden Vorjahren (möglicher Roll Back Zeitraum) dem Sachverhalt, der der Vorabverständigungsvereinbarung zugrunde liegt, im Wesentlichen entspricht.
Gebühren
Die Gebühr ist durch schriftlichen Bescheid gegenüber dem Antragsteller festzusetzen. Solange die Gebühr nicht unanfechtbar festgesetzt und entrichtet wurde, wird der Antrag nicht bearbeitet (§ 89a Abs. 7 S. 4 AO). Die Nichtentrichtung der Gebühr innerhalb eines Monats nach der Bekanntgabe ihrer Festsetzung führt in der Regel zur Ablehnung des Antrags.
Gemeinsame Beantragung von allen Abkommensberechtigten
Kann gemäß § 89a Abs. 1 S. 4 AO ein Sachverhalt nur einheitlich steuerlich beurteilt werden und das Vorabverständigungsverfahren deshalb nur von allen Abkommensberechtigten gemeinsam beantragt und betrieben werden, liegt gemäß § 89a Abs. 7 S. 9 AO nur ein Antrag vor, für den nur eine Gebühr festzusetzen und zu entrichten ist.
Antragsrücknahme oder -ablehnung
Auch in Fällen einer Antragsrücknahme oder -ablehnung, eines Scheiterns oder einer vorzeitigen Beendigung des Verfahrens ist die bis zu diesem Zeitpunkt nicht entrichtete Gebühr zu zahlen; eine bereits entrichtete Gebühr wird nicht erstattet (§ 89a Abs. 8 S. 2 AO).
Anwendungsregelung
Der neue AEAO zu § 89a AO gilt für alle Vorabverständigungsverfahren, deren Anträge nach dem 08.06.2021 bei der zuständigen Behörde eingegangen sind. Das BMF-Schreiben vom 05.10.2006 wird mit sofortiger Wirkung aufgehoben, ist aber auf bereits anhängige Vorabverständigungsverfahren, deren Anträge bis zum 08.06.2021 bei der zuständigen Behörde eingegangen sind, weiterhin anzuwenden.
AEAO zu § 89 AO – Beratung, Auskunft
Verbindliche Auskünfte sollen nicht erteilt werden, wenn für den maßgeblichen Sachverhalt auch ein Vorabverständigungsverfahren nach § 89a AO in Betracht kommt, insbesondere wenn Verrechnungspreise oder Betriebsstättengewinnabgrenzungen Gegenstand der beantragten verbindlichen Auskunft sind.
Betroffene Normen
§ 89 AO, § 89a AO
Fundstelle
BMF, Änderung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) vom 26.06.2024, IV B 5 - S 1305/19/10003 :008