BFH: Vom FA fehlerhaft festgestellter Verlustvortrag darf geltend gemacht werden
Wer eine fehlerfreie Steuererklärung abgegeben hat, begeht keine Steuerhinterziehung, wenn er in einem Folgejahr einen vom Finanzamt zu Unrecht bestandskräftig festgestellten Verlustvortrag geltend macht. Mit Abgabe der vollständigen und ordnungsgemäßen Steuererklärung hat der Steuerpflichtige seine Erklärungspflichten erfüllt. Er ist nicht verpflichtet Fehler des Finanzamts richtig zu stellen. Auch § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO sieht eine Berichtigungspflicht im Anschluss an eine abgegebene Steuererklärung nur vor, wenn diese Erklärung unrichtig oder unvollständig war.
Sachverhalt
Der Kläger betrieb in den Streitjahren 1999 bis 2001 als selbständiger Arzt eine Praxis. Für das Jahr 1999 erklärte er positive Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die das Finanzamt irrtümlich als negative Einkünfte erfasste. Der Eingabefehler führte unter Einbeziehung weiterer negativer Einkünfte des Klägers zur Feststellung eines Verlustvortrags. In der Einkommensteuererklärung 2000 stellte das Finanzamt unter Berücksichtigung des Verlustvortrags aus 1999, einen verbleibenden Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 EStG hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit fest. Im Jahr 2001 bejahte der Kläger bei Erstellung seiner Steuererklärung die Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d EStG. Darüber hinaus gab er eine Erklärung zur Feststellung eines Verlustvortrags ab und gab an, mit einer Einkommensteuererstattung zu rechnen. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer für 2001 erneut auf 0 Euro fest und reduzierte den verbleibenden Verlustvortrag. Die Einkommensteuerfestsetzung führte dazu, dass dem Kläger für die Streitjahre sämtliche Einkommensteuer-Vorauszahlungen nebst Zinsen erstattet wurden.
Vor Beginn einer Außenprüfung für die Jahre 1999 bis 2001 gab der Kläger in einer strafbefreienden Erklärung i.S.d. StraBEG an, er habe eine Steuerhinterziehung begangen und deshalb für die zu Unrecht nicht besteuerten Einnahmen eine Abgabe in Höhe von 25 % zu zahlen.
Entscheidung
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das FG hat das Vorliegen einer wirksamen strafbefreienden Erklärung des Klägers zu Recht verneint.
Nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz hat der Kläger keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in den Einkommensteuererklärungen der Streitjahre gemacht. 1999 hat der Kläger seine positiven Einkünfte aus selbständiger Arbeit zutreffend ausgewiesen. Die Erfassung als negative Einkünfte im Einkommensteuerbescheid 1999 beruhte allein auf einem Eingabefehler des Finanzamts. In den Folgejahren war der Kläger aufgrund der Bestandskraft des Verlustfeststellungsbescheides 1999 zu einer Inanspruchnahme des Verlustvortrages aus 1999 berechtigt.
Der Kläger hat das Finanzamt auch nicht pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und damit eine Steuerhinterziehung begangen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).
Im Streitfall ist eine steuerlich erhebliche Tatsache der Umstand, dass der Kläger in den Jahren 1999 und 2000 positive Einkünfte erzielt. Der Kläger hat das Finanzamt jedoch nicht in Unkenntnis gelassen, nachdem diese Einkünfte ordnungsgemäß erklärt worden waren. Da das Finanzamt die erforderlichen Informationen in Form der Steuererklärungen des Klägers erhalten hat und ihm keine steuerlich erheblichen Informationen vorenthalten wurden, scheidet eine Steuerhinterziehung aus (vgl. BGH-Urteil vom 20.05.1981).
Eine Pflicht des Steuerpflichtigen, das Finanzamt auf ihm selbst unterlaufene und aus den Steuerakten ersichtliche Fehler sowie auf eine sich daraus ergebende Möglichkeit zur Änderung von Steuerbescheiden zu Lasten des Steuerpflichtigen hinzuweisen, ist nicht gegeben. Mit der Abgabe einer vollständigen und ordnungsgemäßen Steuererklärung hat der Steuerpflichtige seine Erklärungspflichten erfüllt. Weicht die aufgrund der zutreffend erklärten Tatsachen durchgeführte Veranlagung des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten vom geltenden Recht ab, ergeben sich aus dem Verfahrensrecht keine weiteren Erklärungspflichten. Dies ergibt sich auch aus § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO, wonach eine Berichtigungspflicht im Anschluss an eine abgegebene Steuererklärung nur vorgesehen ist, wenn diese „unrichtig oder unvollständig" war. Fehlt eine solche Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit, bestehen keine Berichtigungs- oder Erklärungspflichten nach § 153 AO (vgl. BFH-Urteil vom 05.10.1966).
Betroffene Norm
§ 153 Abs. 1, § 370 Abs. 1 AO
Streitjahre 1999 bis 2001
Vorinstanz
Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29.10.2009, 5 K 531/06, EFG 2010, S. 984
Fundstelle
BFH, Urteil vom 04.12.2012, VIII R 50/10
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 05.10.1966, VI 328/65, BStBl III 1967, S. 231
BGH, Urteil vom 20.05.1981, 2 StR 666/80, BGHSt 30, S. 122, S. 124