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31.08.2022
Verfahrensrecht

BFH: Gebührenhöhe bei Rücknahme des Antrags auf verbindliche Auskunft

​Im Fall der Rücknahme eines Antrags auf verbindliche Auskunft sei nicht im Rahmen der Gebührenermäßigung eine Zeitgebühr anzusetzen. Vielmehr sei von einer proportionalen Reduzierung der Wertgebühr im Verhältnis des bisherigen zu dem noch ausstehenden Bearbeitungsaufwand des Finanzamts auszugehen. 

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine KG mit Sitz im Inland. Mehrere Gesellschafter der KG planten, einen Zweitwohnsitz im Ausland zu begründen. Im Jahr 2013 beantragte die KG beim Finanzamt die Erteilung einer verbindlichen Auskunft. Gegenstand dieses Auskunftsersuchens war die steuerliche Entstrickung ihrer Wirtschaftsgüter, insbesondere ihrer Beteiligungen.

Infolge des Antrags kam es zu umfangreichen rechtlichen Prüfungen. Dabei wurden auch alternative Sachverhaltsgestaltungen diskutiert. Das Finanzamt teilte der KG mit, dass der Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft abzulehnen sei. Im Jahr 2014 nahm die KG den Antrag auf Erteilung der verbindlichen Auskunft zurück. Als Grund gab sie an, dass die Gesellschafter von den Überlegungen zur Verlagerung ihres Wohnsitzes in das Ausland Abstand genommen hätten.

Das Finanzamt setze für die Bearbeitung des Auskunftsersuchens gemäß § 89 Abs. 3 bis 7 AO eine Gebühr in Höhe von 98.762€ fest. Bei der Berechnung ging das Finanzamt von einem Gegenstandswert in Höhe von 30 Mio. € (Höchstbetrag) aus, der grundsätzlich eine Gebühr in Höhe von 109.736 € zur Folge gehabt hätte. Wegen der Rücknahme des Antrags sei es jedoch sachgerecht, diese Gebühr gemäß § 89 Abs. 7 S. 2 AO und AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2 um 10 % auf 98.762€ zu ermäßigen. Die Minderung war auf der Grundlage des bisherigen Bearbeitungsaufwands von ca. 156 Stunden und des bis zur endgültigen Entscheidung über den Antrag noch ausstehenden Aufwands von schätzungsweise 10 bis 15 Stunden ermittelt worden. Das FG war dagegen der Auffassung, dass, unter Berücksichtigung von AEAO § 89 Nr. 4.5.2, lediglich eine Zeitgebühr in Höhe von 15.600€ abzurechnen sei. Die anteilige Reduzierung der Wertgebühr, wie vom Finanzamt vorgenommen, sei nicht mit der für die Verwaltung bindenden Ermessensrichtlinie in AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2 vereinbar.  

Entscheidung

Der BFH kommt zu dem Ergebnis: das FG habe zu Unrecht eine Ermessensreduzierung auf Null angenommen und die Gebühr gemäß § 89 Abs. 7 S. 2 AO auf 15.600€ ermäßigt. Der angefochtene Bescheid, in dem das Finanzamt die Gebühr auf 98.762€ festgesetzt hat, sei frei von Ermessensfehlern.

Gesetzliche Grundlage

Nach § 89 Abs. 3 S. 1 AO wird für die Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft eine Gebühr erhoben. Die Gebühr wird gemäß § 89 Abs. 4 S. 1 AO primär nach dem Wert berechnet, den die verbindliche Auskunft für den Antragsteller hat (Gegenstandswert). Sofern ein Gegenstandswert nicht bestimmbar ist und auch nicht durch Schätzung bestimmt werden kann, ist gemäß § 89 Abs. 6 S. 1 AO eine Zeitgebühr zu berechnen; sie beträgt 50 € je angefangene halbe Stunde Bearbeitungszeit.

§ 89 Abs. 7 S. 1 AO bestimmt, dass auf die Gebühr ganz oder teilweise verzichtet werden "kann", wenn ihre Erhebung nach der Lage des Einzelfalls unbillig wäre. Nach § 89 Abs. 7 S. 2 AO "kann" die Gebühr insbesondere ermäßigt werden, wenn ein Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft vor Bekanntgabe der Entscheidung der Finanzbehörde zurückgenommen wird.

Auffassung der Finanzverwaltung (AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2.)

§ 89 Abs. 7 S. 1 und 2 AO sind Ermessensvorschriften i. S. d. § 5 AO. Hinsichtlich des in § 89 Abs. 7 S. 2 AO geregelten Ermessens, die Gebühr im Fall der Rücknahme eines Antrags zu ermäßigen, hat die Finanzverwaltung in AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2 eine ermessenslenkende und für die nachgeordneten Behörden bindende Verwaltungsvorschrift erlassen. Danach „ist wie folgt zu verfahren:

  • Hat die Finanzbehörde noch nicht mit der Bearbeitung des Antrags begonnen, ist die Gebühr auf Null zu ermäßigen. In diesem Fall kann aus Vereinfachungsgründen bereits von der Erteilung eines Gebührenbescheids abgesehen werden.
  • Hat die Finanzbehörde bereits mit der Bearbeitung des Antrags begonnen, ist der bis zur Rücknahme des Antrags angefallene Bearbeitungsaufwand angemessen zu berücksichtigen und die Gebühr anteilig zu ermäßigen."

Voraussetzungen für die Gebührenermäßigung gemäß § 89 Abs. 7 S. 2 AO liegen vor

Nach dem BFH sei das FG zutreffend davon ausgegangen, dass im Streitfall die Voraussetzungen für die Festsetzung einer Gebühr gemäß § 89 Abs. 3 AO vorliegen. Entsprechendes gelte für die Voraussetzungen der Gebührenermäßigung gemäß § 89 Abs. 7 S. 2 AO aufgrund der Rücknahme des Antrags durch die KG vor Bekanntgabe der Entscheidung des Finanzamts über die Erteilung der verbindlichen Auskunft.

Keine generelle Begrenzung auf die Abrechnung einer Zeitgebühr

Für den BFH ergibt sich eine Ermessensreduzierung auf Null nicht aus AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2. Zwar handele es sich hierbei um eine ermessenslenkende und für das Finanzamt bindende Verwaltungsvorschrift. Diese Vorschrift schreibe aber lediglich vor, den bis zur Rücknahme des Antrags angefallenen Bearbeitungsaufwand "angemessen" zu berücksichtigen und die Gebühr "anteilig" zu ermäßigen. Weitere Vorgaben zur konkreten Berechnung der Ermäßigung enthalte sie nicht.

Entgegen der Auffassung des FG könne AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2. somit keine generelle Begrenzung auf die Zeitgebühr entnommen werden. Vielmehr sei deren Vorgaben auch bei einer proportionalen Reduzierung der Wertgebühr im Verhältnis des bisherigen zu dem noch ausstehenden Bearbeitungsaufwand erfüllt.

Im Übrigen bezieht sich die Ermäßigung nach § 89 Abs. 7 S. 2 AO auf „die Gebühr“ (ebenso AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2). Damit kann als Ausgangspunkt nur diejenige Gebühr gemeint sein, die sich zuvor aus § 89 Abs. 4 bis 6 AO ergeben hat. Ein grundsätzlicher Wechsel von der Wert- zu Zeitgebühr (oder umgekehrt) sei nach dem BFH dagegen nicht vorgesehen.

Berechnung der Wertgebühr

Im Ergebnis hat für den BFH das Finanzamt zutreffend für die Gebührenermäßigung nach § 89 Abs. 7 S. 2 AO als Ausgangspunkt auf die Wertgebühr nach § 89 Abs. 4 AO abgestellt; die Voraussetzungen für die Erhebung einer Zeitgebühr nach § 89 Abs. 6 AO waren nicht erfüllt. Die vom Finanzamt vorgenommene Kürzung nach dem Verhältnis des bisherigen zu dem noch ausstehenden Bearbeitungsaufwand seinen mit den Vorgaben der ermessenslenkenden AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2. und den Gebührenzwecken vereinbar. Da dem bisher angefallenen Bearbeitungsaufwand von 156 Stunden ein noch ausstehender Bearbeitungsaufwand von schätzungsweise 10 bis 15 Stunden gegenüberstand, führte dies im Streitfall zu der vom Finanzamt angenommenen Reduzierung der Wertgebühr um 10%.

Anmerkung

Kein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip

Nach dem BFH hat das Finanzamt hat durch seine Ermessensausübung nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das daraus abgeleitete Äquivalenzprinzip verstoßen, nach dem Gebühren in keinem Missverhältnis zu der von der öffentlichen Hand gebotenen Leistung stehen dürfen (vgl. BFH-Urteil vom 30.03.2011, I R 61/10). Dass die auf 98.762 EUR ermäßigte Wertgebühr das 6,3-fache der reinen Zeitgebühr beträgt, reiche hierfür nicht aus.

Praxishinweis

Der BFH hat im o.g. Urteil klargestellt, dass im Falle der Rücknahme eines Antrags auf verbindliche Auskunft die Erhebung einer Zeitgebühr nicht rechtmäßig erscheint. Vielmehr ist der Bearbeitungsaufwand der Finanzverwaltung bei der Gebührenfestsetzung nach der Regelung des AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2. „angemessen“ zu berücksichtigen. Im Streitfall war die proportionale Reduzierung der Wertgebühr im Verhältnis des bisherigen zu dem noch ausstehenden Bearbeitungsaufwand des Finanzamts mit Vorgaben der ermessenslenkenden AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2. und den Gebührenzwecken vereinbar. Für die Praxis ist davon auszugehen, dass die Finanzämter bei Rücknahme eines Antrags auf verbindliche Auskunft aufgrund des o.g. BFH-Urteils ausschließlich (Ausnahme § 89 Abs. 6 AO) die ermäßigte Wertgebühr ansetzen werden.

Betroffene Normen

​§ 89 Abs. 7 S. 2 AO

Streitjahr 2015​

Vorinstanz

​Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20.02.2018, 5 K 1287/16

Fundstelle

​BFH, Urteil vom 04.05.2022, I R 46/18, BStBl II 2023, S. 467

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 22.04.2015, IV R 13/12, BStBl. II 2015, S. 989, siehe Deloitte Tax-News

BFH, Urteil vom 09.03.2016, I R 66/14, BStBl. II 2016, S. 706, siehe Deloitte Tax-News

BFH, Urteil vom 30.03.2011, I R 61/10, BStBl. II 2011, S. 536.

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