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06.07.2012
Verfahrensrecht

BFH: Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids

Der Feststellungsbescheid einer Personengesellschaft bezieht sich auf die gemeinschaftlich verwirklichten Tatbestandsmerkmale und nicht auf Merkmale, die im Bereich der persönlichen Einkunftserzielung des Gesellschafters liegen. Wird in einem Feststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) einer Personengesellschaft fehlerhaft ein begünstigter Veräußerungsgewinn anstelle eines laufenden Gewinns festgestellt, darf das Wohnsitz-Finanzamt des Gesellschafters den Gewinn aus der grundbesitzenden Personengesellschaft auch in einen laufenden Gewinn im Rahmen des vom Gesellschafter betriebenen gewerblichen Grundstückshandels umqualifizieren.

Sachverhalt

Der Kläger hat seinen Anteil an der Grundstücks-GbR, die auf dem Gebiet des gewerblichen Grundstückshandels tätig war, veräußert. Das Betriebs-Finanzamt hat in dem Feststellungsbescheid der GbR den Veräußerungsgewinn des Klägers rechtsirrig als begünstigten Veräußerungsgewinn festgestellt. Das Wohnsitz-Finanzamt hat im Einkommensteuerbescheid 1991 des Klägers diesen Gewinn in einen laufenden Gewinn im Rahmen des vom Kläger betriebenen gewerblichen Grundstückshandels umqualifiziert. Streitig ist, ob das Wohnsitz-Finanzamt zur Umqualifizierung berechtigt war. 

Das Finanzgericht hat die Umqualifizierung abgelehnt, da das Wohnsitz-Finanzamt an die Feststellung des Betriebs-Finanzamts gebunden sei mit der Maßgabe, dass im Einkommensteuerbescheid des Klägers anstelle eines laufenden Gewinns ein begünstigter Veräußerungsgewinn anzusetzen sei. Das Finanzamt legte Revision ein.

Entscheidung

Die Revision des Finanzamtes ist begründet. Das Finanzgericht hat zu Unrecht angenommen, auf der Ebene des Klägers sei die Einbeziehung (Umqualifizierung) eines festgestellten Gewinns aus der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils in den laufenden Gewinn aus seinem bestehenden gewerblichen Grundstückhandel nicht zulässig. Die vom Finanzamt vorgenommene Steuerfestsetzung erweist sich als rechtmäßig.

Das Wohnsitz-Finanzamt war an die Entscheidungen des Betriebs-Finanzamtes ungeachtet der erheblichen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dieser Feststellungen gebunden (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AO). Das Wohnsitz-Finanzamt war daher verfahrensrechtlich daran gehindert, seinem angefochtenen Einkommensteuerbescheid die Würdigung zugrunde zu legen, das Grundstück sei nicht in die Betrachtung einzubeziehen und die GbR als solche sei vermögensverwaltend tätig gewesen.
Lässt sich die Reichweite eines Feststellungsbescheids nicht eindeutig bestimmen, muss zur Auslegung des materiellen Regelungsgehalts auf dessen Gründe zurückgegriffen werden. Die Bindungswirkung erschöpft sich nicht allein in der Übernahme des festgestellten Einkünftebetrags. Vielmehr ist ausgeschlossen, über einen Sachverhalt, über den im Feststellungsverfahren entschieden worden ist, im Folgeverfahren in einem damit unvereinbaren Sinne anders zu entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 10.12.1998).

Indes durfte das Wohnsitz-Finanzamt auch auf der Grundlage der bindenden Feststellung, die GbR sei gewerblich tätig gewesen, auf der Ebene des Klägers eine zusammenfassende Betrachtung von dessen auf dem Grundstücksmarkt unternommenen Aktivitäten vornehmen und den festgestellten Veräußerungsgewinn in einen laufenden Gewinn umqualifizieren.

Die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung bezieht im Interesse einer sachlich zutreffenden Besteuerung des Gesellschafters alle Tätigkeiten auf dem Gebiet des Grundstückshandels, die dem Gesellschafter zuzurechnen sind, in eine Gesamtwürdigung nach Maßgabe des jeweils einschlägigen Steuertatbestands (vgl. Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 03.07.1995) ein.
Dabei hat der Große Senat ausdrücklich nicht danach differenzieren wollen, ob die unter Beteiligung Dritter abgewickelten Grundstücksgeschäfte auf der Gesellschaftsebene als gewerblich oder lediglich vermögensverwaltend anzusehen sind.
Entsprechend ist die verfahrensrechtliche Reichweite der Feststellungswirkung in der Weise begrenzt, dass sie sich stets nur auf die gemeinschaftlich verwirklichten Tatbestandsmerkmale bezieht, nicht aber auf solche, die außerhalb der Beteiligung im Bereich der persönlichen Einkunftserzielung liegen. Diese Tatbestandsmerkmale treten vielmehr zu den verbindlich festgestellten Besteuerungsgrundlagen hinzu; sie gehören nicht in den Regelungsbereich des Grundlagenbescheids, sondern in jenen des Folgebescheids. Die Umqualifizierung berührt nicht die Grundlagenentscheidung, die weiterhin als richtig anerkannt wird, aber aufgrund der Umstände, die auf der Ebene des Gesellschafters außerhalb des Regelungsbereich des Grundlagenbescheids liegen, in einem anderen Licht erscheint (vgl. BFH-Beschluss vom 11.04.2005).

Auch wenn der Kläger zu Recht darauf hinweist, dass diese Rechtsprechung bisher vor allem zu Fallgestaltungen ergangen ist, in denen es um die Umqualifizierung der für die Gesellschaft festgestellten Einkunftsart ging (vgl. BFH-Urteile vom 07.03.1996 und vom 11.12.1997), gelten die sie tragenden Erwägungen gleichermaßen für die Umqualifizierung eines festgestellten Veräußerungsgewinns in einen laufenden Gewinn. Denn auch für die Beantwortung der Frage, ob ein bestimmter Ausschnitt des Gewinns aus der von einem Steuerpflichtigen insgesamt auf dem Grundstücksmarkt entfalteten Tätigkeit tarifbegünstigt ist oder nicht, darf es nicht darauf ankommen, ob der Steuerpflichtige ganz oder teilweise durch eine Personengesellschaft tätig wird, und ob diese Gesellschaft auf ihrer Ebene als vermögensverwaltend oder mitunternehmerisch anzusehen ist.

Betroffene Norm
§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst.b AO; §182 Abs. 1 S. 1 AO, Streitjahr 1991

Vorinstanz
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 13.04.2010, , 4 K 379/09, EFG 2011, S. 1044, siehe auch Deloitte Tax-News 

Fundstelle
BFH, Urteil vom 18.04.2012, X R 34/10, BStBl II 2012, S. 647 

Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 10.12.1998, III R 61/97, BStBl II 1999, S. 390
BFH, Entscheidung des Großen Senats vom 03.07.1995, GrS 1/93, BStBl II 1995, S. 617
BFH, Beschluss vom 11.04.2005, GrS 2/02, BStBl II 2005, S. 679
BFH, Urteil vom 07.03.1996, IV R 2/92, BStBl II 1996, S. 369
BFH, Urteil vom 11.12.1997, III R 14/96, BStBl II 1999, S. 401

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