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20.12.2012
Verfahrensrecht

BFH: Änderung eines bestandskräftigen Investitionszulagenbescheids wegen nachträglicher Inanspruchnahme erhöhter Absetzungen

Die Änderung eines bestandskräftigen Investitionszulagenbescheids wegen des Eintritts des rückwirkenden Ereignisses der Inanspruchnahme erhöhter Absetzungen für nachträgliche Herstellungsarbeiten ist ab dem Zeitpunkt möglich, in dem das Finanzamt einen Bescheid bekanntgegeben hat, der die erhöhten Absetzungen erstmals steuerlich berücksichtigt. Die Geltendmachung (Antragstellung) der erhöhten Absetzungen gegenüber dem Finanzamt stellt noch keine Inanspruchnahme dar.

Sachverhalt
Das Finanzamt gewährte der Revisionsbeklagten eine Investitionszulage und erhöhte Abschreibungen für das Streitjahr 2000, ohne dass dies nach Auffassung der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 24.08.1998) gegen das Kumulationsverbot des § 3 Abs. 1 S. 2 InvZulG 1999 verstoßen hatte. Im Schreiben vom 28.02.2003 vertrat die Finanzverwaltung nun die Ansicht, dass dies nicht gelte, wenn es sich um eine einheitliche Baumaßnahme handelt. Das Finanzamt hob daraufhin die Gewährung der Investitionszulage auf. Das FG gab der hiergegen eingelegten Klage statt.

Streitig ist, ob der bestandskräftige Investitionszulagenbescheid wegen nachträglicher Inanspruchnahme erhöhter Abschreibungen nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO aufgehoben werden konnte.

Entscheidung
Das FG hat zu Unrecht die Zulässigkeit der Aufhebung des Investitionszulagenbescheids verneint.

Die Aufhebung des Bescheids ist nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO berechtigt, wenn ein rückwirkendes Ereignis vorliegt, d.h. der nach dem Steuertatbestand rechtserhebliche Sachverhalt sich später anders gestaltet und sich steuerlich in der Weise in die Vergangenheit auswirkt, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Eine andere rechtliche Beurteilung des unverändert bleibenden Sachverhalts genügt insoweit nicht. Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, ist den Normen des materiellen Steuerrechts zu entnehmen.

Das für die Frage, ob im Streitfall einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, maßgebliche materielle Recht stellt in § 3 Abs. 1 S. 2 InvZulG 1999 darauf ab, dass nachträgliche Herstellungsarbeiten an Gebäuden, die vor dem 01.01.1991 fertiggestellt wurden, nur dann zulagenbegünstigt sind, wenn u.a. der Anspruchsberechtigte für die Herstellungsarbeiten keine erhöhten Absetzungen in Anspruch nimmt (Kumulationsverbot). Die nach Festsetzung der Investitionszulage erfolgende Inanspruchnahme erhöhter Absetzungen für die nachträglichen Herstellungsarbeiten bewirkt daher einen Verstoß gegen das Kumulationsverbot, der rückwirkend den Anspruch auf die Investitionszulage entfallen lässt.

Ob - wie das FG meint - § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in Anlehnung an das für § 173 AO entwickelte Kriterium der Rechtserheblichkeit voraussetzt, dass die wirkliche Ursache der beabsichtigten Änderung des Bescheids allein der durch das rückwirkende Ereignis veränderte Sachverhalt und nicht auch eine geänderte Rechtsauslegung ist, kann dahingestellt bleiben. An dieser Ursächlichkeit fehlt es im Streitfall ohnehin nicht. Es kann nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass das Finanzamt das rückwirkende Ereignis der Inanspruchnahme erhöhter Absetzungen bereits bei Erlass des ursprünglichen Bescheids entsprechend der im BMF-Schreiben vom 28.02.2003 zum Ausdruck kommenden Grundsätzen gewürdigt hätte. Dass ein einzelner Bearbeiter des Finanzamts nach seiner individuellen Beurteilung den Fall möglicherweise anders beurteilt hätte, ist nicht von Bedeutung.

Eine Änderung des Investitionszulagenbescheids war auch nicht aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung ausgeschlossen. Die Festsetzungsfrist für den Erlass eines Änderungsbescheids beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt (§ 175 Abs. 1 S. 2 AO). Die nach § 3 Abs. 1 S. 2 InvZulG 1999 erforderliche Inanspruchnahme der erhöhten Absetzungen für die nachträglichen Herstellungsarbeiten liegt in der vorliegenden Fallkonstellation erst mit Entscheidung über den Antrag vor. Sie erfolgt durch Bekanntgabe des Bescheids, in dem die erhöhten Absetzungen erstmals steuerliche Berücksichtigung finden. Somit war im Streitfall die vierjährige Festsetzungsfrist bei Erlass der Änderungsbescheide zur Investitionszulage noch nicht abgelaufen.

Betroffene Norm
§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO
Streitjahr 2000

Anmerkungen
Eine Entscheidung darüber, ob und ggf. inwieweit tatsächlich nachträgliche Herstellungsarbeiten vorliegen, die nach § 3 Abs. 1 S. 2 InvZulG 1999 ein Kumulationsverbot auslösen, bleibt wegen fehlender Feststellungen des FG der Prüfung im zweiten Rechtsgang vorbehalten. Gleiches gilt für die Frage, ob die. Revisionsbeklagte aus etwaigen Absprachen mit dem Finanzamt ein schutzwürdiges Vertrauen auf eine bestimmte Sachbehandlung ableiten kann.

Vorinstanz
Finanzgericht Köln, Urteil vom 24.08.2010, 12 K 1839/07, EFG 2011, S. 211, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News

Fundstelle
BFH, Urteil vom 26.07.2012, III R 72/10

Weitere Fundstellen
BMF, Schreiben vom 24.08.1998, IV B 3 – InvZ 1010 – 10/98, BStBl I 1998, S. 1114
BMF, Schreiben vom 28.02.2003, IV A 5 – InvZ 1272 – 6/03, BStBl I 2003, S. 218

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