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21.02.2022
Unternehmensteuer

FG Münster: Verfassungsmäßigkeit des Abzinsungszinssatzes von 5,5% für unverzinsliche Darlehensverbindlichkeiten

Gegen den typisierenden Zinssatz von 5,5 % in § 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 EStG für die Abzinsung betrieblicher Darlehensverbindlichkeiten bestehen für das Jahr 2016 keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die in Rechtsprechung und Literatur erhobenen verfassungsrechtlichen Zweifel an der gesetzlichen Zinshöhe gem. § 238 Abs. 1 S.1 AO sind auf den Abzinsungszinssatz nicht übertragbar. 

Sachverhalt

Im Jahresabschluss des Klägers (Einzelunternehmen) waren zum 31.12.2016 Darlehensverbindlichkeiten ausgewiesen. Im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Jahre 2014-2016 stellte das Finanzamt fest, dass für die Darlehen (bereits seit 1996 bzw. 1998 passiviert) seinerzeit weder eine Verzinslichkeit noch der Zeitpunkt und die Modalitäten der Rückzahlung vereinbart worden waren. Damit handelte es sich nach Auffassung des Finanzamtes um unverzinsliche Darlehen mit unbestimmter Laufzeit, die nach § 6 Abs.1 Nr. 3 EStG mit einem Rechnungszinsfuß von 5,5% abzuzinsen seien. Den Abzinsungsbetrag behandelten Betriebsprüfung und Finanzamt gewinnwirksam.

Die dagegen erhobene Klage stützt sich auf verfassungsrechtliche Einwände gegen die Höhe des gesetzlich vorgesehen Zinssatzes von 5,5%.

Entscheidung

Das FG hält den Abzinsungszinssatzes von 5,5 % gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG für das Streitjahr 2016 nicht für verfassungswidrig.

Gesetzliche Grundlagen

Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 EStG sind Verbindlichkeiten für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung grundsätzlich mit einem Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen (Abzinsungsgebot), mit Ausnahme von Verbindlichkeiten, deren Laufzeit am Bilanzstichtag weniger als zwölf Monate beträgt sowie von verzinslichen oder auf Anzahlungen oder Vorausleistungen beruhenden Verbindlichkeiten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 EStG).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall unstrittig erfüllt, da es sich bei den Darlehensverbindlichkeiten um langfristige und unverzinsliche Darlehen handelt, die somit nicht unter die Ausnahme vom Abzinsungsgebot fallen.

Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung

Verfassungsrechtlich misst das FG die gesetzliche Regelung am Willkürverbot. Dieser großzügige Prüfungsmaßstab sei anzuwenden, weil die Abzinsung keine permanente, sondern nur eine temporäre Belastung des Steuerpflichtigen darstelle, die sich über die Totalperiode ausgleiche. Das Willkürverbot werde dem FG zufolge durch § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht überschritten. Auch die BFH-Rechtsprechung hält die steuerrechtliche Abzinsung von Verbindlichkeiten für verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 6.10.2009, I R 4/08, BFH-Urteile vom 05.05.2011, IV R 32/07 und vom 22.05.2019, X R 19/17).

Bisherige Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit des Abzinsungssatzes von 5,5 %

Was die Höhe des Abzinsungszinssatzes von 5,5% betrifft, so sehen der BFH (Urteil vom 22.05.2019, X R 19/17) für das Jahr 2010 und das FG Münster (Beschluss vom 05.05.2021, 13 V 505/21) für das Jahr 2013 den Zinssatz noch nicht als willkürlich gewählt an. Das FG Hamburg hat in seinem Beschluss vom 31.01.2019, 2 V 112/18 hingegen verfassungsrechtliche Zweifel für Abzinsungszeiträume ab 2013 geäußert. Das FG Münster hat sich nunmehr in seinem Urteil der Entscheidung des FG Münster vom 05.05.2021 angeschlossen und auch auf das Streitjahr 2016 erstreckt.

Dies begründet es damit, dass selbst wenn das Marktzinsniveau für Schulden so stark gesunken sei, dass ein Zinssatz von 5,5 % realitätsfern ist, komme es darauf nicht an. Das FG vergleicht den Zinssatz für die Abzinsung von Schulden nämlich nicht mit Marktzinssätzen für Schulden (Fremdkapital), sondern mit Gesamt- und Eigenkapitalrentabilitätskennziffern.

Keine Übertragung der Rechtsprechung zur Verfassungswidrigkeit der Zinssatzhöhe nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO

Das FG merkt an, dass bei der Abzinsung von Verbindlichkeiten dem Umstand entscheidende Bedeutung zukomme, dass der Begriff „Zins“ bzw. „Zinssatz“ im Steuerrecht mit unterschiedlicher Zwecksetzung verwendet wird. Die in der Rechtsprechung erhobenen schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifel an der gesetzlichen Zinssatzhöhe gem. § 238 Abs. 1 S. 1 AO könnten nicht auf die verfassungsrechtliche Beurteilung des Abzinsungszinssatzes gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG übertragen werden. Denn beim klassischen Zins (§§ 233a, 234, 235, 236 und 237 AO) handele es sich um laufzeitabhängiges Entgelt für die Nutzungsüberlassung von Kapital. Beim Abzinsungszinssatz i. S. des § 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 EStG gehe es nicht um die Verteilung effektiven Zinsaufwandes, sondern um die zutreffende, d. h. periodengerechte Erfassung der wirtschaftlichen Belastung eines Unternehmens.

Steuerpflichtige können Abzinsung nach § 6 Abs. 1 EStG vermeiden

Weiterhin führt das FG an, dass bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Regelung zur Abzinsung zugunsten des Fiskus zu berücksichtigen sei, dass der Steuerpflichtige eine Abzinsung in aller Regel durch entsprechende Gestaltungen selbst vermeiden kann. Eine Abzinsung lasse sich zum einen durch sog. Kettendarlehen vermeiden, d.h. für weniger als zwölf Monate gewährte Darlehen, deren Laufzeit später wiederholt verlängert wird. Zudem unterbleibe eine Abzinsung bereits bei der Vereinbarung eines Zinssatzes nahe 0 %, solange der Zinssatz gerade über 0 % liegt (vgl. BMF-Schreiben vom 26.5.2005, IV B 2-S 2175-7/05, Rz. 13). Nach dem BFH-Beschluss vom 26.09.2009, I B 57/09 steht der Annahme einer Verzinslichkeit hierbei nicht entgegen, wenn die Zinsen zwar vereinbart, aber nicht ausgezahlt, sondern ihrerseits als Darlehen stehen gelassen werden.

Betroffene Normen

​§ 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 EStG

Streitjahr 2016 

Anmerkungen

Reaktion des Gesetzgebers auf Beschluss des BVerfG zur Vollverzinsung abwarten

Das hier besprochene FG-Urteil zeigt, dass im Bereich rund um die Verfassungsmäßigkeit der Zinssatzhöhen noch vieles offen ist. Zunächst bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber auf die Entscheidung des BVerfG (Beschluss vom 08.07.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17; erst nach der Entscheidung des FG Münster veröffentlicht) zu § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 AO reagieren wird und ob er in diesem Zusammenhang zugleich auch die übrigen Zinstatbestände sowie ggf. auch die Abzinsungstatbestände anpackt.

Praxishinweis

Bis zur Umsetzung der Entscheidung des BVerfG durch den Gesetzgeber sollten Veranlagungen in geeigneten Fällen offen gehalten werden. D.h. solange die aktuelle Fassung des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG anzuwenden ist, sollte rechtzeitig vor jedem Bilanzstichtag geprüft werden, ob sich durch eine Abzinsung von Passivposten unerwünschte Steuereffekte ergeben. Zwecks Vermeidung einer Abzinsung von Darlehensverbindlichkeiten genügt es, für bisher zinslos vereinbarte Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit von mehr als 12 Monaten Zinsen in minimaler Höhe (z.B. 0,01 % p. a.) zu vereinbaren. Ebenso soll es sogar nach Auffassung der Finanzverwaltung ausreichen, Zinsen nur für zukünftige, nach dem Bilanzstichtag liegende Zeiträume zu vereinbaren (BMF-Schreiben vom 26.05.2005). 

Weitere Rechtsprechung

Auch für das Jahr 2013 gelangt das FG Münster in seinem neuesten Urteil vom 18.01.2022, 2 K 700/18 G, F, zu der Überzeugung, dass die Höhe des Zinssatzes von 5,5 % gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 und Nr. 3a Buchst. e) S. 1 EStG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Demgegenüber hatte das FG Hamburg in seinem Beschluss vom 31.01.2019, 2 V 112/18, Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes i. H. v. 5,5 % geäußert (für VZ 2013 und 2015). Insoweit bleiben die beim BFH anhängigen Revisionsverfahren abzuwarten.

Fundstelle

Finanzgericht Münster, Urteil vom 22.07.2021, 10 K 1707/20 E,G, EFG 2021, S. 1811, Revision zugelassen

Weitere Fundstellen

Finanzgericht Münster, Urteil vom 18.01.2022, 2 K 700/18 G, F (VZ 2013) 

BFH, Beschluss vom 06.10.2009, I R 4/08, BStBl. II 2010, S. 177, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 05.05.2011, IV R 32/07, BStBl. II 2012, S. 98, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 22.05.2019, X R 19/17, BStBl. II 2019, S. 795, siehe Deloitte Tax-News 

Finanzgericht Münster, Beschluss vom 05.05.2021, 13 V 505/21, EFG 2021, S. 1205, Beschwerde eingelegt: XI B 44/21 (AdV)

Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 31.01.2019, 2 V 112/18, EFG 2019, S. 525, rechtskräftig

BFH, Urteil vom 25.04.2018, IX B 21/18, siehe Deloitte Tax-News

BFH, Beschluss vom 26.9.2009, I B 57/09, BFH/NV 2009, S. 1804

BMF, Schreiben vom 26.05.2005, IV B 2-S 2175-7/05, BStBl. I 2005, S. 699

BVerfG, Beschluss vom 08.07.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, siehe Deloitte Tax-News

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