FG Münster: Kein schädlicher Beteiligungserwerb ohne change of control
Auch wenn innerhalb von fünf Jahren durch Anteilsübertragungen und vergleichbare Sachverhalte im Ergebnis mehr als die Hälfte der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden, liegt dennoch kein schädlicher Beteiligungserwerb i.S.d. § 8c Abs. 1 S. 1 KStG vor, wenn es nicht zu einem „change of control“ innerhalb der Körperschaft gekommen ist.
FG Münster, Urteil vom 23.08.2023, 9 K 2166/21 K,G,F; BFH-anhängig: I R 53/23
Sachverhalt
Streitig ist, ob ein schädlicher Beteiligungserwerb i.S. des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG vorliegt.
Die CDE GmbH (Klägerin) hatte als Gesellschafter zunächst die C GmbH mit 50,2 % sowie E mit 49,8 %. Am 18.06.2015 erwarb die C GmbH die Anteile von E, so dass sie nunmehr zu 100 % an der CDE GmbH beteiligt war. Nach weiteren Anteilsübertragungen in den Folgejahren beschlossen die Gesellschafter am 11.07.2018 eine Stammkapitalerhöhung. Die Stammkapitalerhöhung wurde disquotal allein durch die C-GmbH übernommen. Danach stellten sich die Beteiligungsverhältnisse an der CDE-GmbH wie folgt dar: C GmbH (neu: 79,98%; davor: 72,4%), H (14,50%), N mbH (3,70%) und O GbR (1,81%).
Die CDE-GmbH erklärte in ihrer Körperschaftsteuererklärung für 2018 einen Verlustvortrag und vertrat die Auffassung, dass kein schädlicher Beteiligungserwerb i.S. des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG vorlag, da die C GmbH durchwegs zu mehr als 50% an ihr beteiligt gewesen sei und folglich kein „change of control“ erfolgt sei. Hingegen vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass die o.g. Kapitalerhöhung zu einem Überschreiten der 50%-Grenze geführt habe und somit ein schädlicher Beteililgungserwerb i.S. des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG vorliege, der zu einem Verlustuntergang geführt habe.
Entscheidung
Das FG Münster kam – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung - zu dem Schluss, dass dem Wortlaut nach zwar ein schädlicher Beteiligungserwerbs i.S.d. § 8c Abs. 1 S. 1 KStG vorliegt, es jedoch nicht zu einer Verlustvernichtung gekommen ist, da die Voraussetzungen eines „change of control“ nicht erfüllt sind.
Gesetzliche Grundlage: Schädlicher Beteiligungserwerb i.S.d. § 8c Abs. 1 S. 1 KStG
Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, der Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen oder liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor (schädlicher Beteiligungserwerb), sind bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzte Verluste vollständig nicht mehr abziehbar (§ 8c Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 6 S. 1 KStG).
Schädlicher Beteiligungserwerb – dem Wortlaut nach gegeben
Dem Wortlaut nach liegt ein schädlicher Beteiligungserwerb nach § 8c Abs. 1 S. 1 KStG vor, so das FG.
Durch den Erwerbsvorgang vom 18.06.2015 und die Kapitalerhöhung vom 11.07.2018 sind Anteile von mehr als 50 % übertragen worden. Gemäß § 8c Abs. 1 S. 3 KStG steht eine Kapitalerhöhung der Übertragung des gezeichneten Kapitals gleich, soweit sie - wie im Streitfall- zu einer Veränderung der Beteiligungsquoten am Kapital der Körperschaft führt. Hierdurch sind nach dem FG innerhalb von fünf Jahren 57,39 % der Anteile übertragen worden.
Keine Verlustvernichtung im Streitfall, da kein „change of control“ vorliegt
Nach dem FG kommt es dennoch nicht zu einer Verlustvernichtung, weil § 8c Abs. 1 KStG insoweit teleologisch und verfassungskonform zu reduzieren ist, als es durch die Anteilsübertragungen und Kapitalerhöhungen nicht zu einem „change of control“ gekommen ist. Die C GmbH war stets zu mehr als 50 % an der CDE-GmbH beteiligt, woran weder die Übertragungsvorgänge noch die Kapitalerhöhung etwas geändert haben.
Nach dem FG liegt § 8c KStG typisierend der Gedanke zugrunde, dass sich die wirtschaftliche Identität einer Kapitalgesellschaft durch das neue Engagement eines qualifiziert beteiligten Anteilseigners verändert (vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 29.03.2017, 2 BvL 6/11). Der Norm liegt damit der Grundgedanke eines change of control zugrunde, der durch die Anteilsübertragungen eintreten muss (so hinsichtlich anderweitiger Auslegungsfragen des § 8c KStG, auch BFH-Urteile vom 30.11.2011, I R 14/11 und vom 22.11.2016, I R 30/15).
Das FG führt dazu weiter aus, dass für die Anwendung des § 8c KStG allein eine mehrheitliche Anteilsübertragung nicht ausreicht, wenn die Anteile an verschiedene Personen veräußert werden. Nur wenn die Erwerber gleichgerichtete Interessen verfolgen und daher wiederum von einem „change of control“ ausgegangen werden muss, sollen die Anteilsübertragungen auch schädlich sein (vgl. BFH-Urteil vom 22.11.2016, I R 30/15).
Im Streitfall ist die C GmbH stets die Mehrheitgesellschafterin der CDE GmbH geblieben, so dass kein „change of control“ gegeben war.
Verfassungskonforme Auslegung
Das FG beruft sich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG-Beschluss vom 29.03.2017, 2 BvL 6/11), nach der § 8c S. 1 KStG a.F. bzw. der quotale Verlustuntergang nach einer Übertragung von mehr als 25 % bis zu 50 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft, für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und weder unter dem Gedanken einer typisierenden Missbrauchsabwehr noch dem Gedanken des Verlusts der wirtschaftlichen Identität für rechtfertigungsfähig anzusehen ist.
Ausgehend von den rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen ist der vorliegende Fall mit den Fällen des § 8c S. 1 KStG a.F. vergleichbar, da der ursprüngliche Mehrheitsgesellschafter seine beherrschende Stellung niemals verloren hat und die Erwerber – wie in den dortigen Fällen – niemals die Kontrolle über die CDE GmbH erlangen konnten. Da in den Fällen des § 8c S. 1 KStG a.F. eine (anteilige) Verlustvernichtung verfassungsrechtlich schon nicht begründbar war, müsse dies für eine vollständige Verlustvernichtung – wie im Streitfall – erst recht gelten.
Nach dem FG kann es im Streitfall offenbleiben, ob § 8c KStG (n.F.) verfassungswidrig sein könnte.
Betroffene Norm
§ 8c Abs. 1 KStG
Streitjahr 2018
Fundstelle
FG Münster, Urteil vom 23.08.2023, 9 K 2166/21 K,G,F; BFH-anhängig: I R 53/23
Anmerkungen
Hintergrund: Rechtsentwicklung und Verfassungswidrigkeit
Das Bundesverfassungsgericht hatte entschieden, dass § 8c S. 1 KStG a.F. bzw. § 8c Abs. 1 S. 1 KStG in der bis 31.12.2015 geltenden Fassung, wonach nicht genutzte Verluste einer Kapitalgesellschaft anteilig wegfallen, wenn innerhalb von fünf Jahren mehr als 25 % und bis zu 50 % der Anteile an einen Erwerber übertragen werden, verfassungswidrig ist (vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 29.03.2017, 2 BvL 6/11), siehe Deloitte Tax News). Zur Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wurde im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2018 vom 11.12.2018 (BGBl. I 2018, S. 2338) § 8c Abs. 1 S. 1 KStG neu gefasst und § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. ersatzlos aufgehoben. Die Neuregelung war erstmals für den Veranlagungszeitraum 2008 und auf Anteilsübertragungen nach dem 31.12.2007 anzuwenden (siehe Deloitte Tax News). Im oben dargestellten Streitfall kommt die gesetzliche Neuregelung zur Anwendung.
Bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden ist die Frage, ob § 8c S. 2 KStG a.F. (bzw. § 8c Abs. 1 S. 2 KStG n.F.), wonach nicht genutzten Verluste vollständig nicht mehr abziehbar sind, wenn bei der unmittelbaren Übertragung innerhalb von fünf Jahren von mehr als 50 % des gezeichneten Kapitals an einer Körperschaft an einen Erwerber übertragen werden, verfassungswidrig ist (vgl. BVerFG-anhängig: 2 BvL 19/17, siehe auch Deloitte Tax News).
Praxishinweis
Geeignete Fälle sind nach Rücksprache mit den Mandanten offen zu halten.
Weitere Fundstellen
BVerfG, Beschluss vom 29.03.2017, 2 BvL 6/11, siehe Deloitte Tax News
BFH, Urteil vom 30.11.2011, I R 14/11, BStBl. II 2012, S. 360, siehe Deloitte Tax News
BFH, Urteil vom 22.11.2016, I R 30/15, BStBl. II 2017, S. 921, siehe Deloitte Tax News