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22.07.2021
Unternehmensteuer

BMF: Wirtschaftliche Zurechnung bei Wertpapiergeschäften

Mit Schreiben vom 09.07.2021 hat das BMF erneut zur wirtschaftlichen Zurechnung bei Wertpapiergeschäften Stellung genommen und ersetzt sein bisheriges Schreiben vom 11.11.2016. Im Vergleich zum Vorgängerschreiben sind im aktuellen Schreiben unter Bezugnahme auf aktuelle Rechtsprechung weitere Ausführungen und Beispiele zum Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO enthalten. Des Weiteren ist die „Rückausnahme“ der wirtschaftlichen Zurechnung beim Darlehensnehmer im Fall einer positiven Vorsteuerrendite entfallen.

Hintergrund

Bei der sog. „Wertpapierleihe“ handelt es sich um ein Sachdarlehen gem. § 607 Abs. 1 BGB, bei dem der Darlehensgeber („Verleiher“) dem Darlehensnehmer („Entleiher“) Wertpapiere auf begrenzte Zeit und gegen Entrichtung einer „Leih“-Gebühr zu vollem Eigentum und zu freier Verfügung mit der Maßgabe überlässt, dass Papiere gleicher Art und Ausstattung zurückzuübereignen sind.

Nach der Rechtsprechung des BFH gelten bei der Wertpapierleihe die allgemeinen Grundsätze zum Übergang des zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Eigentums an Kapitalgesellschaftsanteilen. Die Erträge aus den „verliehenen“ Wertpapieren sind regelmäßig dem Entleiher zuzurechnen, da dieser zivilrechtlicher Eigentümer der Wertpapiere werde (vgl. BFH-Urteil vom 17.10.2001). Mit Urteil vom 18.08.2015 hatte der BFH entschieden, dass das wirtschaftliche Eigentum an Aktien, die im Rahmen einer Wertpapierleihe an den Entleiher zivilrechtlich übereignet wurden, ausnahmsweise beim Verleiher verbleiben könne, wenn die Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles ergebe, dass dem Entleiher lediglich eine formale zivilrechtliche Rechtsposition verschafft werden solle.

Bereits mit Schreiben vom 11.11.2016 äußerte sich das BMF zur wirtschaftlichen Zurechnung bei Wertpapiergeschäften (siehe Deloitte Tax News). Im Schreiben vom 11.11.2016 werden insbesondere Indikatoren aufgeführt, die gegen die Zurechnung beim Darlehensnehmer sprechen und auch die Rechtsfolgen einer wirtschaftlichen Zurechnung beim Darlehensgeber aufgezeigt.

Mit Schreiben vom 09.07.2021 nimmt das BMF nun erneut zur wirtschaftlichen Zurechnung bei Wertpapiergeschäften Stellung.

Verwaltungsanweisung

Das aktuelle Schreiben vom 09.07.2021 ersetzt das Vorgängerschreiben vom 11.11.2016.

Wirtschaftliche Zurechnung (Grundsatz und Ausnahme)

Wie nach dem Vorgängerschreiben vom 11.11.2016, erfolgt auch nach dem aktuellen Schreiben die wirtschaftliche Zurechnung der Wertpapiere grundsätzlich beim Darlehensnehmer und nur ausnahmsweise beim Darlehensgeber. 

Das aktuelle Schreiben führt die auch bereits im Vorgängerschreiben genannten Indikatoren auf, die gegen eine Zurechnung beim Darlehensnehmer sprechen:

  • Übertragungen über einen kurzen Zeitraum über den Dividendenstichtag hinaus (bei weniger als 45 Tagen widerlegbar vermutet);
  • Eigentümerposition des Darlehensnehmers erscheint im Rahmen einer Gesamtschau als rein formale (Beweislast für wirtschaftliche Zurechnung trägt hier der Darlehensnehmer).
  • Bei der Bemessung des Gesamtentgelts wird ein Steuervorteil aus der Wertpapierleihe berücksichtigt.
  • Keine Liquiditätsvorteile beim Darlehensnehmer aus der Dividendenzahlung, z. B. wegen zeit- und betragsgleicher Vereinnahmung und Verausgabung der mit dem Wertpapiergeschäft getätigten Zahlungen;
  • Die Stimmrechtsausübung wird vertraglich ausgeschlossen oder beschränkt.
  • Schwache Rechtsposition des Darlehensnehmers: z. B. jederzeitige oder kurzfristige Möglichkeit dem Entleiher die Rechtsposition aus dem Wertpapiervertrag – z. B. durch Kündigung – zu entziehen oder ihm ist aus sonstigen vertraglichen Gründen keine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Wertpapiere möglich.

Während das Vorgängerschreiben allerdings eine Art „Rückausnahme“ vorsieht, die trotz Vorliegens der o.g. Indikatoren die Wertpapiere beim Darlehensnehmer zuordnet, wenn dieser aus dem Wertpapiergeschäft und den damit zusammenhängenden Geschäften vor Steuer einen wirtschaftlichen Vorteil (positive Vorsteuerrendite) zieht und das zivilrechtliche Eigentum vor dem Dividendenstichtag übergegangen ist, enthält das aktuelle Schreiben diese „Rückausnahme“ nicht mehr.

Rechtsfolgen der wirtschaftlichen Zurechnung

Auch bei den Rechtsfolgen der wirtschaftlichen Zurechnung ergeben sich keine Abweichungen zwischen dem Vorgänger- (siehe Deloitte Tax News) und dem aktuellen BMF-Schreiben. So sind bei – ausnahmsweise – wirtschaftlicher Zurechnung beim Darlehensgeber die Wertpapiere trotz der zivilrechtlichen Übertragung, ununterbrochen in der Bilanz des Darlehensgebers auszuweisen, die Dividende ist wirtschaftlich dem Darlehensgeber zuzurechnen und bei diesem zu besteuern.

Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO

Auch bei einem Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO sind die Wertpapiere dem Darlehensnehmer wirtschaftlich zuzurechnen. Ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO wird insbesondere angenommen, wenn die Wirtschaftlichkeit des Wertpapiergeschäfts im Wesentlichen in einem Steuervorteil besteht.

Hervorzuheben ist, dass das aktuelle BMF-Schreiben im Vergleich zum Vorgängerschreiben unter Bezugnahme auf aktuelle Rechtsprechung weitere Ausführungen zum Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO enthält. Unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 02.03.2016 (I R 73/14) ist bei einem Gestaltungsmissbrauch ein den wirtschaftlichen Vorgängen angemessener Sachverhalt zu fingieren und der Besteuerung zugrunde zu legen. Bei einem aufgelegten Gestaltungskonzept, das auf einer einheitlichen Planung der Beteiligten beruht, sind die einzelnen Verträge für die steuerliche Beurteilung zusammenfassend zu betrachten und unter den jeweiligen Steuertatbestand zu subsumieren (vgl. BFH-Urteil vom 27.10.2005, IX R 76/03). Im aktuellen BMF-Schreiben finden sich hierzu zwei Beispiele (Wertpapierleihe mit ausländischen und mit inländischen Aktien).

Anwendungsregelung

Das neue Anwendungsschreiben ist in allen noch offenen Fällen anzuwenden.

Anmerkung

Mit Datum vom 09.07.2021 ist auch ein weiteres BMF-Schreiben zur steuerlichen Behandlung von Cum-Cum-Transaktionen erschienen (siehe Deloitte Tax News).

Fundstelle

BMF, Schreiben vom 09.07.2021, IV C 6 - S 2134/19/10003 :007

Weitere Fundstellen

​BFH, Urteil vom 17.10.2001, I R 97/00, BFH/NV 2002, S. 240

BFH, Urteil vom 18.08.2015, I R 88/13, BFHE 251, S. 190

BMF, Schreiben vom 11.11.2016, siehe Deloitte Tax News 

BFH, Urteil vom 02.03.2016, I R 73/14, BStBl II 2019, S. 887, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 27.10.2005, IX R 76/03, BStBl II 2006, S. 359

BMF, Schreiben vom 09.07.2021, siehe Deloitte Tax-News

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