07.03.2024
Unternehmensteuer
BMF: Ausführungen im AEAO zur Begründung von Betriebsstätten und zum Ort der Geschäftsleitung
Das BMF hat mit Schreiben vom 05.02.2024 den Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) in zahlreichen Punkten geändert. Wesentliche Ergänzungen betreffen Ausführungen zum Ort der Geschäftsleitung und zur Begründung von Betriebsstätten. In diesem Zusammenhang nimmt das BMF auch zu Tätigkeiten im Homeoffice Stellung.
Verwaltungsanweisung
zu § 10 AO – Geschäftsleitung
- Die in § 10 AO als "Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung" definierte Geschäftsleitung ist der Ort, an dem der für die Geschäftsleitung maßgebliche Wille gebildet wird und die für die Geschäftsführung notwendigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden (BFH-Urteil vom 3.7.1997, IV R 58/95, BStBl. 1998 II S. 86).
- Entscheidend hierfür ist, an welchem Ort die "Tagesgeschäfte" tatsächlich wahrgenommen werden (BFH-Urteile vom 07.12.1994, I K 1/93, BStBl. 1995 II S. 175, und vom 12.2.2004, IV R 29/02, BStBl. II S. 602).
- Nicht entscheidend sind hingegen diejenigen Maßnahmen, die die Grundlagen des Unternehmens betreffen, z.B. Festlegung der Grundsätze der Unternehmenspolitik. (BFH-Urteil vom 07.12.1994, I K 1/93, BStBl. 1995 II S. 175).
- Tagesgeschäfte eines Unternehmens können auch in der Wohnung des Geschäftsführers vorgenommen werden (vgl. BFH-Urteil vom 23.01.1991, I R 22/90, BStBl. II S. 554).
- Die Geschäftsleitungsbetriebstätte kann sich auch in den Räumlichkeiten einer eingeschalteten Dienstleistungs- oder Managementgesellschaft (BFH-Urteile vom 03.07.1997, IV R 58/95, BStBl. 1998 II S. 86, und vom 23.03.2022, III R 35/20, BStBl. II S. 844) oder dem als Unterkunft bereitgestellten Baucontainer o. ä. im Bauleistungsgewerbe (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.1998, I R 138/97, BStBl. 1999 II S. 437) befinden.
- Die Einschaltung eines Büroservice-Unternehmens ist nur dann beachtlich, wenn dort tatsächlich unternehmerische Entscheidungen von Gewicht (Geschäftsleitung) getroffen werden.
- Geschäftsleitungsentscheidungen auf Geschäftsreisen sind regelmäßig nicht geeignet, einen Ort der Geschäftsleitung zu begründen (vgl. BFH-Urteile vom 15.10.1997, I R 76/95, BFH/NV 1998 S. 434, und vom 23.01.1991, I R 22/90, BStBl. II S. 554).
- Wird ein Unternehmen an mehreren Orten geschäftsführend tätig, ist eine Gewichtung der Tätigkeiten vorzunehmen, um den (Haupt)Ort der Geschäftsleitung zu bestimmen.
- Befinden sich die kaufmännische und die technische Leitung an verschiedenen Orten, kommt es auf den Ort der kaufmännischen Leitung an (BFH-Urteil vom 23.01.1991, I R 22/90, BStBl. II S. 554).
- Bei gleichwertigen Geschäftsführungsaufgaben an verschiedenen Orten, bestehen mehrere Geschäftsleitungsbetriebstätten (BFH-Urteil vom 05.11.2014, IV R 30/11, BStBl. 2015 II S. 601).
- Organgesellschaften haben grundsätzlich einen "eigenen" Ort ihrer Geschäftsleitung, der mit dem Ort der Geschäftsleitung des Organträgers zusammenfallen kann, aber nicht muss (BFH-Urteil vom 07.12.1994, I K 1/93, BStBl. 1995 II S. 175).
zu § 12 AO – Betriebstätte
- Die in § 12 AO definierte Betriebstätte setzt eine Geschäftseinrichtung oder Anlage mit einer festen Beziehung zur Erdoberfläche voraus, die von einer gewissen Dauer ist, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Steuerpflichtige eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat (BFH-Urteil vom 05.11.2014, IV R 30/11, BStBl. 2015 II S. 601).
- Auch Pipelines sind feste Geschäftseinrichtungen und damit Betriebstätten (BFH-Urteil vom 30.10.1996, II R 12/92, BStBl. 1997 II S. 12).
- Zu den Betriebstätten zählen auch bewegliche Geschäftseinrichtungen mit vorübergehend festem Standort (z.B. fahrbare Verkaufsstätten mit wechselndem Standplatz; vgl. BFH-Urteil vom 08.03.1988, VIII R 270/81, BFH/NV S. 735). Auch Marktstände auf Wochenmärkten können Betriebstätten sein, (BFH-Urteil 09.10.1974, I R 128/73, BStBl. 1975 II S. 203), demgegenüber begründet ein Verkaufsstand auf einem Weihnachtsmarkt keine Betriebstätte (BFH-Urteil vom 17.09.2003, I R 12/02, BStBl. 2004 II S. 396).
- Erforderlich ist, dass der Unternehmer eine Rechtsposition innehat, die ihm nicht ohne Weiteres entzogen oder verändert werden kann ("selbständiger Nutzungsanspruch").
- Eine tatsächliche Mitbenutzung (BFH-Urteil vom 30.06.2005, III R 76/03, BStBl. 2006 II S. 84) oder die bloße Berechtigung der Nutzung im Interesse eines anderen oder die rein tatsächliche Nutzungsmöglichkeit reichen nicht aus (BFH-Urteil vom 04.06.2008, I R 30/07, BStBl. II S. 922).
- Eine lediglich „allgemeine rechtliche Absicherung" oder eine ständige Nutzungsbefugnis tatsächlicher Art können aber ausreichen, wenn die Verfügungsmacht nicht bestritten wird (BFH-Urteil vom 18.03.2009, III R 2/06, BFH/NV S. 1457).
- Eine Betriebstätte kann auch in der Betriebstätte eines Dritten begründet werden, wenn der Unternehmer rechtlich befugt ist, die Einrichtung oder Anlage nach den Bedürfnissen seines Unternehmens zu nutzen und wenn er eigene Arbeitnehmer beschäftigt oder ihm überlassene, seinen Weisungen unterliegende Arbeitnehmer oder Subunternehmer dort tätig werden (BFH-Beschluss vom 18.02.2021, III R 8/19, BStBl II S. 627).
- Eine hinreichende Nutzungsbefugnis kann auch vorliegen, wenn der Unternehmer jeweils irgendeinen geeigneten Raum des Gebäudes oder die wechselnde Teilfläche eines Grundstücks ständig nutzen darf (BFH-Urteil vom 03.02.1993, I R 80-81/91, BStBl. II S. 462).
- Die Übertragung der Aufgaben eines Unternehmens (Auftraggeber) auf einen selbstständig tätigen Dritten (Auftragnehmer) reicht grundsätzlich nicht aus, um in dessen Räumen eine Betriebstätte zu begründen.
- Eine Betriebstätte des Auftraggebers in den Räumen des Auftragnehmers besteht allerdings, wenn der Auftraggeber in den Räumen des Auftragnehmers eigene betriebliche Handlungen mit einer gewissen Nachhaltigkeit vornimmt (z. B. Überwachung des Auftragnehmers, die insbesondere in Fällen einer Personenidentität der Leitungsorgane von Auftraggeber und Auftragnehmer anzunehmen ist (BFH-Urteil vom 23.03.2022, III R 35/20, BStBl. II S. 844).
- Ein Verfügungsrecht über die Räumlichkeiten des Auftragnehmers ist ausnahmsweise dann nicht erforderlich, wenn der Auftraggeber aufgrund des zur Verfügung stehenden "sachlichen und personellen Organismus" in der Lage ist, seiner unternehmerischen Tätigkeit in den Räumen des Auftragnehmers "operativ" nachzugehen (BFH-Urteil vom 24.08.2011, I R 46/10, BStBl. 2014 II S. 764).
- Eine Betriebstätte des Auftraggebers kann außerdem dann in den Räumen des Auftragnehmers bestehen, wenn nach den tatsächlichen Verhältnissen die Geschäftsleitung von dem Auftragnehmer tatsächlich ausgeübt wird (BFH-Urteil vom 23.03.2022, III R 35/20, siehe Deloitte Tax News)
- Die Tätigkeit eines Arbeitnehmers in dessen häuslichem Homeoffice begründet in der Regel keine Betriebstätte des Arbeitgebers.
- Auch abkommensrechtlich begründet ein häusliches Homeoffice nach deutscher Anwenderstaatsperspektive in der Regel keine Betriebstätte (feste Einrichtung gemäß Artikel 5 Abs. 1 und Abs. 4 OECD[1]MA).
- Erforderlich ist, dass in dem Objekt eine eigene unternehmerische Tätigkeit mit fester örtlicher Bindung ausgeübt wird (vgl. BFH-Urteil vom 260.7.2017, III R 4/16, BFH/NV 2018 S. 233) und sich in der Bindung eine gewisse "Verwurzelung" des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit ausdrückt (BFH-Urteile vom 23.03.2022, III R 35/20, BStBl II S. 844, siehe Deloitte Tax News, vom 04.06.2008, I R 30/07, BStBl II S. 922, und BFH-Beschluss vom 18.02.2021, III R 8/19, BStBl II S. 627).
- Nach § 12 S. 2 AO ist eine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage nicht notwendigerweise erforderlich (BFH-Urteil vom 29.11.2017, I R 58/15, BFH/NV 2018 S. 684, siehe Deloitte Tax News).
- Diese kann sich somit auch in den fremden Räumen eines Dritten (Geschäftsleiters) befinden (bzw. in den Geschäftsräumen eines mit der Geschäftsführung beauftragten gesellschaftsfremden Managers).