BFH: Überentnahmen bei doppel- und mehrstöckigen Personengesellschaftsstrukturen
Sachverhalt
Alleinige Kommanditistin der Klägerin, eine GmbH & Co. KG, war die X-KG. Die GmbH & Co. KG war zu jeweils 94% als Kommanditistin an zwei Personengesellschaften beteiligt, an welche sie im Rahmen eines Sale-and-lease-back-Geschäfts im Jahr 2009 ihre Betriebsimmobilien veräußerte und im Anschluss mietete. Zur teilweisen Finanzierung der Investitionskosten gewährte die X-KG den Personengesellschaften jeweils ein Darlehen. Zur Refinanzierung dieser Mieterdarlehen gewährte die GmbH & Co. KG der X-KG wiederum zwei Darlehen, die mit Wirkung zum 31.12.2009 aufgehoben wurden. Die Rückzahlungsansprüche der GmbH & Co. KG aus den Mieterdarlehen gegen die X-KG wurden mit den Ansprüchen der X-KG auf die Gewinnverteilung der GmbH & Co. KG zum 31.12.2009 verrechnet. Die GmbH & Co. KG behandelte die Verrechnung als Gewinnentnahme der X-KG und als Einlage in das Sonderbetriebsvermögen der X-KG bei der GmbH & Co. KG (Tilgung des Refinanzierungsdarlehens).
Bei der Gewinnermittlung bildete die GmbH & Co. KG aus der Veräußerung ihrer Betriebsimmobilien eine Rücklage nach § 6b EStG und übertrug diese auf ihre Untergesellschaften. Die Übertragung der 6b-Rücklage behandelte sie als Einlage im Sinne des § 4 Abs. 4a EStG.
Finanzamt und FG waren der Auffassung, dass lediglich eine Entnahme im Hinblick auf die Verrechnung des Anspruchs auf Gewinnverteilung der X-KG gegen die GmbH & Co. KG vorlag. Die Tilgung der Refinanzierungsdarlehen und die Übertragung der § 6b-Rücklage stellen keine Einlagen dar. Folglich lägen Überentnahmen im Sinne des § 4 Abs. 4a EStG vor und es seien nicht abziehbare Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG in der Gewinnermittlung der GmbH & Co. KG außerbilanziell wieder hinzuzurechnen.
Entscheidung
Der BFH kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass außerbilanzielle Hinzurechnungen der Schuldzinsen im Sinne des § 4 Abs. 4a EStG vorzunehmen sind. Die betriebsbezogene Betrachtung im Rahmen des § 4 Abs. 4a EStG gelte auch bei mehrstöckigen Personengesellschaftsstrukturen. Weder die konzernintern verwendeten Entnahmebeträge noch der nach § 6b EStG übertragene Gewinn führe zu einer Minderung der Überentnahmen im Sinne des § 4 Abs. 4a S. 2 EStG.
Gesetzliche Grundlage
Nach § 4 Abs. 4a S. 1 EStG sind betrieblich veranlasste Schuldzinsen nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind.
Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit 6% der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt. Bei der Ermittlung der Überentnahme ist vom Gewinn ohne Berücksichtigung der nach Maßgabe dieser Regelung nicht abziehbaren Schuldzinsen auszugehen. Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 2.050 Euro verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen, ist dem Gewinn hinzuzurechnen (§ 4 Abs. 4a S. 1 bis 4 EStG). § 4 Abs. 4a EStG ist auch im Rahmen der Ermittlung des Gewerbeertrags nach § 7 GewStG zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 22.03.2022, IV R 19/19).
Zweistufige Prüfung
Die Einschränkung des Abzugs von Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG ist nach der ständigen Rechtsprechung des BFH in zwei Stufen zu prüfen. In einem ersten Schritt ist zu klären, ob und inwieweit Schuldzinsen überhaupt zu den betrieblich veranlassten Aufwendungen gehören. Ergibt die Prüfung, dass Schuldzinsen privat veranlasst sind, so sind sie nicht bei der Ermittlung der Entnahmen nach § 4 Abs. 4a EStG zu berücksichtigen. Danach ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Betriebsausgabenabzug im Hinblick auf Überentnahmen durch § 4 Abs. 4a EStG eingeschränkt ist (z.B. BFH-Urteil vom 22.03.2022, IV R 19/19).
Bestimmung der Entnahmen ist ausschließlich betriebsbezogen vorzunehmen
Nach dem BFH ist eine Entnahme im Sinne des § 4 Abs. 4a EStG unter Ablehnung der finalen Entnahmetheorie betriebsbezogen zu definieren. Mit Blick auf die gesetzgeberische Konzeption des § 4 Abs. 4a EStG, die darauf abzielt, eine Gewinnhinzurechnung bei Vorliegen von Überentnahmen in dem Betrieb vorzunehmen, für den eine eigenständige Gewinnermittlung durchgeführt wird, sei die Begrenzung des Schuldzinsenabzugs ausschließlich betriebsbezogen auszulegen. Hat der Steuerpflichtige daher mehrere Betriebe oder ist er an mehreren Personengesellschaften beteiligt, ist der Schuldzinsenabzug für jeden Betrieb bzw. Mitunternehmeranteil eigenständig zu ermitteln. Ausgehend von diesem Gesetzesverständnis, wonach die Schuldzinsenkürzung maßgeblich an den Umstand des Eigenkapitalentzugs bei der jeweiligen betrieblichen Einheit anknüpft, stellt nach dem BFH grundsätzlich jede Überführung oder Übertragung eines Wirtschaftsguts aus dem betrieblichen Bereich des Steuerpflichtigen in einen anderen betrieblichen Bereich desselben oder eines anderen Steuerpflichtigen eine Entnahme beim abgebenden und eine Einlage beim aufnehmenden Betrieb im Sinne des § 4 Abs. 4a S. 2 EStG dar (vgl. BFH-Urteil vom 24.11.2016, IV R 46/13).
Kein konzernbezogener Entnahmebegriff
Nach Auffassung des BFH gibt es auch im Bereich der mehrstöckigen Personengesellschaften keinen Raum für eine betriebsübergreifende „konzernbezogene“ Betrachtung des Entnahmebegriffs. Eine allgemeine Konzernbesteuerung ist dem Einkommensteuerrecht fremd. Für Zwecke des § 4 Abs. 4a EStG gelte nichts anderes. Es fehle an einer entsprechenden Rechtsgrundlage. Auch der allgemeine Entnahmebegriff des § 4 Abs. 1 S. 2 EStG erfasse nicht nur Wirtschaftsgüter, die der Steuerpflichtige für sich oder seinen Haushalt – mithin für private Zwecke – entnimmt, sondern auch Entnahmen für andere betriebsfremde Zwecke. Dies sind die Zwecke eines anderen Betriebs. Der Begriff der Entnahme sei daher bewusst weit gefasst. Die Lösung des betrieblichen Funktionszusammenhangs des Wirtschaftsguts genüge (BFH-Urteil vom 17.07.2008, I R 77/06).
Entnahme der handelsrechtlichen Gewinne der GmbH & Co. KG
Das FG habe nach Auffassung des BFH zu Recht die von der X-KG entnommenen handelsrechtlichen Gewinne als Entnahme im Sinne des § 4 Abs. 4a S. 2 EStG berücksichtigt. Es handele sich um eine Barentnahme für betriebsfremde Zwecke im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 EStG. Dem stehe nicht entgegen, dass die von der Kommanditistin (X-KG) entnommenen Mittel zur „konzerninternen Finanzierung“ eingesetzt worden sind. Denn unter Berücksichtigung des betriebsbezogenen Entnahmebegriffs lag aus Sicht der GmbH & Co. KG eine Verwendung der Mittel für betriebsfremde Zwecke vor. Der finale Entnahmebegriff gelte nicht. Maßgeblich sei allein der – auch im Streitfall erfolgte – Kapitalentzug bei der betreffenden betrieblichen Einheit. Eine betriebsübergreifende Betrachtung sei nicht angezeigt (vgl. BFH-Urteil vom 22.09.2011, IV R 33/08).
Keine Einlage durch Tilgung des Refinanzierungsdarlehens
Nach dem BFH wird die Entnahme durch die X-KG auch nicht durch eine korrespondierende Einlage neutralisiert. Die Tilgung der Forderung der GmbH & Co. KG aus den Refinanzierungsdarlehen gegenüber der X-KG durch Verrechnung mit dem Gewinnentnahmeanspruch der X-KG bewirkt zwar einen Wegfall der betreffenden Verbindlichkeit der X-KG. Eine Einlage in das Betriebsvermögen der GmbH & Co. KG im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 7 EStG sei damit aber nicht verbunden. Zwar sei bei der Bestimmung der Überentnahme gemäß § 4 Abs. 4a EStG bei einer Personengesellschaft neben Veränderungen der Ergänzungsbilanzen auch die das Sonderbetriebsvermögen betreffenden Einlagen und Entnahmen zu berücksichtigen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29.03.2007, IV R 72/02 und vom 12.02.2014, IV R 22/10). Die Aufrechnung der Rückzahlungsverpflichtung der X-KG mit ihrem Gewinnentnahmeanspruch gegen die GmbH & Co. KG bewirke aber keine Einlage in das Sonderbetriebsvermögen der X-KG bei der GmbH & Co. KG. Denn die Refinanzierungsdarlehen gehörten nicht zum (negativen) Sonderbetriebsvermögen der X-KG bei der GmbH & Co. KG. Sie dienten weder dem Betrieb der GmbH & Co. KG noch der Stärkung der Beteiligung der X-KG an der GmbH & Co. KG. Soweit die Klägerin der Ansicht ist, die Verbindlichkeit aus den Rückzahlungsdarlehen sei (negatives) Sonderbetriebsvermögen der X-KG bei den Untergesellschaften, erschließe sich dem BFH angesichts der betriebsbezogenen Betrachtung nicht, inwieweit die Tilgung der Darlehen zu einer Einlage bei der GmbH & Co. KG führen soll.
Keine Minderung der Überentnahmen durch Übertragung einer § 6b-Rücklage
Nach dem BFH ergeben sich aus der Übertragung des Gewinns nach § 6b EStG ebenso keine Auswirkungen auf die Berechnung der Überentnahmen im Sinne des § 4 Abs. 4a EStG. Denn die buchhalterische Abbildung einer rechtsträgerübergreifenden Übertragung eines erzielten Gewinns führe nicht zu einer Minderung der Überentnahmen im Sinne des § 4 Abs. 4a EStG. Auch wenn der begünstigte Gewinn dem Kapitalkonto der für den veräußernden Betrieb aufzustellenden Bilanz erfolgsneutral hinzugerechnet und gleichzeitig ein Betrag in Höhe des begünstigten Gewinns von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der in dem anderen Betrieb angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter erfolgsneutral zu Lasten des Kapitalkontos abzusetzen ist (vgl. R 6b.2 Abs. 8 S. 1 und 2 EStR), stellt die Hinzurechnung auf dem Kapitalkonto des Veräußererbetriebs keine – die Überentnahmen mindernde – Einlage dar. Nach dem BFH fehle es an der Zuführung eines Wirtschaftsguts im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 7 EStG (zu einlagefähigen Wirtschaftsgütern vgl. BFH-Beschluss vom 26.10.1987, GrS 2/86). Der Abzug nach § 6b Abs. 1 EStG und auch die Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG stellen kein (einlagefähiges) Wirtschaftsgut dar. Die vorgenannte Richtlinienstelle (R 6b.2 Abs. 8 S. 1 und 2 EStR) beschreibe laut BFH allein die technische Abwicklung der rechtsträgerübergreifenden Übertragung des Gewinns von einem Betrieb auf einen anderen. Vor diesem Hintergrund bestehe auch für die Annahme einer "Quasi-Einlage" weder eine Rechtsgrundlage noch ein Bedürfnis. Dass mit der Übertragung Entnahmepotenzial überspringt, sei die zwangsläufige Folge der von § 6b EStG zugelassenen rechtsträgerübergreifenden Übertragung der stillen Reserven auf einen anderen Betrieb.
Betroffene Normen
§ 4 Abs. 4a EStG
Streitjahr
2009, 2010
Vorinstanz
Finanzgericht München, Urteil vom 18.03.2021, 10 K 1984/18, siehe Deloitte Tax-News
Fundstelle
BFH, Urteil vom 27.09.2023, I V 8/21
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 22.03.2022, IV R 19/19
BFH, Urteil vom 24.11.2016, IV R 46/13, BStBl. II 2017, S. 268.
BFH, Urteil vom 17.07.2008, I R 77/06, BStBl II 2009, S. 464.
BFH, Urteil vom 22.09.2011, IV R 33/08, BStBl. II 2012, S. 10, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 29.03.2007, IV R 72/02, BStBl. II 2008, S. 420.
BFH, Urteil vom 12.02.2014, IV R 22/10, BStBl. II 2014, S. 621.
BFH, Beschluss vom 26.10.1987, GrS 2/86, BStBl. II 1988, S. 348.