BFH: Tarifbegünstigung bei echter Realteilung
Wird eine Gesellschaft im Wege einer echten Realteilung aufgelöst, das Betriebsvermögen eines Gesellschafters anschließend auf eine Nachfolgegesellschaft übertragen und scheidet der Gesellschafter zeitnah auch aus der Nachfolgegesellschaft aus, ist der Aufgabegewinn nicht tarifbegünstigt. Es fehlt hier an der Aufgabe der wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen im Zeitpunkt der Realteilung der Gesellschaft.
Sachverhalt
Der Kläger war Sozius einer Rechtsanwaltssozietät, die in 2001 im Wege einer echten Realteilung aufgelöst wurde. Sein zum gemeinen Wert entnommenen Mandantenstamm übertrug er auf eine Nachfolgegesellschaft, aus der er in einem zweiten geplanten Schritt zeitnah gegen Abfindung wieder ausschied. Finanzamt und FG waren der Auffassung, dass eine Tarifbegünstigung des Aufgabegewinns nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG nicht in Betracht komme.
Entscheidung
Auch der BFH sah bei der vorliegend gewählten mehrstufigen Gestaltung die Voraussetzungen für die Tarifbegünstigung des Aufgabegewinns als nicht erfüllt an. Denn der Kläger habe die wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen seiner freiberuflichen Tätigkeit nicht mit der Realteilung der Sozietät, sondern erst mit seinem Ausscheiden aus der Nachfolgegesellschaft endgültig übertragen.
Tarifbegünstigung gem. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG
Zu den Voraussetzungen für die Tarifbegünstigung gehört nicht nur eine geballte und vollständige Aufdeckung der stillen Reserven in einem wirtschaftlichen Vorgang, sondern auch die Aufgabe der wesentlichen vermögenmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit.
Aufgabe der wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen
Für den Fall der Veräußerung eines Betriebes oder Teilbetriebes hat der BFH bereits entschieden, dass eine Aufgabe der wesentlichen vermögenmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit dann anzunehmen ist, wenn insbesondere die immateriellen Wirtschaftsgüter der Praxis wie der Mandantenstamm bzw. Praxiswert, entgeltlich auf einen anderen Rechtsträger übertragen werden (vgl. BFH, Urteil vom 21.08.2018, VIII R 2/15). Diese Grundsätze überträgt der BFH nun auch explizit auf den Fall der Betriebsaufgabe.
Einstellung der Tätigkeit der Gesellschaft genügt nicht
Der BFH ist der Auffassung, dass es im Fall der echten Realteilung nicht genügt, dass die Gesellschaft ihre Tätigkeit mit ihrer Auflösung unter Aufdeckung aller stillen Reserven einstellt. Zwar sei die Frage, ob eine Betriebsaufgabe vorliegt, aus der Sicht der Gesellschaft zu beurteilen. Die Frage der Tarifbegünstigung sei aber bezogen auf den einzelnen Gesellschafter zu beurteilen.
Verwertung von wesentlichen Grundlagen steht deren Aufgabe entgegen
Die Überleitung des Mandantenstamms auf die Nachfolgegesellschaft und deren dortige Verwertung mittels Ausscheiden gegen Abfindungszahlung führt nach Ansicht des BFH dazu, dass die wesentlichen vermögenmäßigen Grundlagen nicht bereits im ersten Schritt mit der Realteilung aufgegeben wurden. Diese habe der Kläger vielmehr erst im zweiten Schritt mit seinem Ausscheiden aus der Nachfolgegesellschaft endgültig aus der Hand gegeben.
Mehrstufige Gestaltung ist kein einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang
Das zeitnahe Einstellen der freiberuflichen Tätigkeit im bisherigen örtlichen Wirkungskreis durch den Gesellschafter im Zusammenhang mit der Realteilung genügte nach Überzeugung des BFH aufgrund des geplanten zweistufigen Vorgehens nicht für die Gewährung der Tarifbegünstigung des Aufgabegewinns. Im Ergebnis kommt der BFH zu dem Schluss, dass die Realteilung der Sozietät und das Ausscheiden des Klägers aus der Nachfolgegesellschaft nicht als einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang anzusehen ist.
Betroffene Norm
§ 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG
Streitjahr 2001
Anmerkungen
Einordnung des Urteils in die bisherige BFH-Rechtsprechung
Mit Urteil vom 21.08.2018, VIII R 2/15 hat der BFH entschieden, dass die Gewährung der Tarifbegünstigung voraussetzt, dass der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellt. Diese Rechtsprechung hat der BFH nun weiterentwickelt. In seinem hier besprochenen Urteil kommt der BFH nun zu dem ergänzenden Schluss, dass dadurch, dass der Realteiler selbst seine freiberufliche Tätigkeit im örtlichen Wirkungskreis zumindest für eine gewisse Zeit tatsächlich nicht mehr auf "eigene Rechnung" ausübt, nicht automatisch die Voraussetzungen für die Gewährung der Tarifbegünstigung erfüllt sind. Maßgebend sei vielmehr die Aufgabe der wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der bisherigen freiberuflichen Tätigkeit.
Vorinstanz
Finanzgericht Köln, Urteil vom 25.06.2013, 12 K 2008/11, EFG 2015, S. 1603
Fundstelle
BFH, Urteil vom 15.01.2019, VIII R 24/15, lt. BMF-Schreiben vom 14.05.2020 zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen
Pressemitteilung Nr. 40 vom 11.07.2019
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 21.08.2018, VIII R 2/15, BStBl II 2019, S. 64