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10.02.2022
Unternehmensteuer

BFH: Rechtsprechungsänderung zur personellen Verflechtung bei Betriebsaufspaltung

Aktuell: Mit Schreiben vom 21.11.2022 hat die Finanzverwaltung die Anwendung der geänderten BFH-Rechtsprechung bekannt gegeben. Aus Vertrauensschutzgründen soll eine Beteiligung der an der Betriebsgesellschaft beteiligten Gesellschafter an einer Besitz-Personengesellschaft, die lediglich mittelbar über eine Kapitalgesellschaft besteht, bei der Beurteilung einer personellen Verflechtung als eine der Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung allerdings erst ab dem Veranlagungszeitraum 2024 zu berücksichtigen sein.
                                                                                                                                  

Bereits nach der bisherigen Rechtsprechung kann die personelle Verflechtung als Voraussetzung einer Betriebsaufspaltung durch eine mittelbare Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft an der Betriebsgesellschaft begründet werden. Darüber hinaus ist nach nun geänderter Rechtsprechung auch eine mittelbare Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft an der Besitzgesellschaft für die Beurteilung einer personellen Verflechtung dann zu berücksichtigen, wenn die Besitzgesellschaft eine Personengesellschaft ist.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG (nachfolgend: K-KG), vermietete ein Grundstück mit Produktionshalle an die M-GmbH & Co. KG (nachfolgend: M-KG), die die vermietete Immobilie betrieblich nutzte. An der K-KG (Besitz-Personengesellschaft) waren als Kommanditisten B, C und D zu insgesamt 100% beteiligt sowie als Komplementärin ohne Kapitalbeteiligung die BV-GmbH, an der wiederum B, C und D zu insgesamt 100% beteiligt waren. An der M-KG (Betriebsgesellschaft) war als alleinige Kommandistin die H-GmbH beteiligt, deren Anteilseigner ebenfalls B, C und D zu insgesamt 100% waren. Komplementärin der M-KG war die V-GmbH, deren Anteilseignerin wiederum zu 100% die H-GmbH war. Die Beteiligungen der Kommanditisten der K-KG an der H-GmbH wurden als deren Sonderbetriebsvermögen II bei der K-KG behandelt.

Das Finanzamt ging davon aus, dass eine personelle Verflechtung und damit eine (mitunternehmerische) Betriebsaufspaltung zwischen der K-KG und der M-KG vorgelegen hat. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt. 

Entscheidung

Der BFH kommt entgegen der Auffassung des FG zu dem Ergebnis, dass zwischen der K-KG als Besitzunternehmen und der M-KG als Betriebsunternehmen eine Betriebsaufspaltung bestanden hat.

Vorliegen der sachlichen und personellen Verflechtung

Völlig unstreitig war im zugrundeliegenden Streitfall das Vorliegen der für die Betriebsaufspaltung erforderlichen sachlichen Verflechtung. Das von der K-KG an die M-KG vermietete Grundstück stellte eine wesentliche Betriebsgrundlage der M-KG dar. Strittig war allein die für eine Betriebsaufspaltung zusätzlich notwendige Voraussetzung der personellen Verflechtung. Aus Sicht des BFH war auch diese personelle Verflechtung im Streitfall gegeben.

Allgemeine Voraussetzungen für das Vorliegen einer personellen Verflechtung

Eine personelle Verflechtung liegt nach der ständigen Rechtsprechung dann vor, wenn eine Person oder Personengruppe sowohl das Besitz- als auch das Betriebsunternehmen in der Weise beherrscht, dass sie in der Lage ist, in beiden Unternehmen einen einheitlichen Geschäfts- und Betätigungswillen durchzusetzen. Dies kann nicht nur bei einer Beteiligungsidentität, sondern auch bei einer sog. Beherrschungsidentität zu bejahen sein, welche regelmäßig durch die Mehrheitsbeteiligung von Gesellschaftern an Besitz- und Betriebsunternehmen indiziert wird (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 20.05.2021, IV R 31/19).

Bisherige Rechtsprechung zur Beherrschungsidentität

Nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung kann die Herrschaft über das Betriebsunternehmen auch mittelbar über eine Kapitalgesellschaft ausgeübt und damit eine personelle Verflechtung begründet werden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29.11.2017, X R 8/16). Andererseits kann bislang jedoch eine solche mittelbare Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft am Besitzunternehmen der an der Betriebsgesellschaft beteiligten Gesellschafter mangels Mitunternehmerstellung dieser Gesellschafter im Besitzunternehmen nicht zu einer personellen Verflechtung führen. Denn dem Besitzunternehmen kann nach der bisherigen Rechtsprechung wegen des sog. Durchgriffsverbots weder die Beteiligung an dem Betriebsunternehmen noch eine damit verbundene Beherrschungsfunktion zugerechnet werden (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 30.10.2019, IV R 59/16).

Rechtsprechungsänderung: Personelle Verflechtung auch bei mittelbarer Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft an einer Besitz-Personengesellschaft

Nach Auffassung des BFH ist an dieser bisherigen Rechtsauffassung insoweit nicht mehr festzuhalten, als das Besitzunternehmen eine Personengesellschaft ist. Es seien in diesem Fall jedenfalls keine sachlichen Gründe ersichtlich zwischen einer mittelbaren Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft am Betriebsunternehmen und einer solchen am Besitzunternehmen zu unterscheiden. Danach ist laut BFH zur Beurteilung einer personellen Verflechtung die mittelbare Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft an einer Besitz-Personengesellschaft gleich zu behandeln mit einer mittelbaren Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft an einer Betriebsgesellschaft.

Übertragung der Grundsätze auf den Streitfall

Unter Zugrundelegung dieser neuen Rechtsprechungsgrundsätze lagen im streitgegenständlichen Fall die Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung aus Sicht des BFH vor. Denn für die Beurteilung einer personellen Verflechtung zwischen der K-KG und der M-KG seien bei den Gesellschaftern B, C und D auch deren mittelbare Beteiligungen über Kapitalgesellschaften (BV-GmbH bzw. H-GmbH) sowohl an der Betriebsgesellschaft (M-KG) als auch – in Änderung der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung – an der K-KG als Besitz-Personengesellschaft zu berücksichtigen. Ausgehend hiervon führen laut BFH die Beteiligungsverhältnisse bezogen auf die aus B, C und D bestehende Personengruppe zur Beherrschungsidentität hinsichtlich der K-KG und der M-KG.

Ergebnisse der Divergenzanfrage beim I. und III. Senat des BFH

Der III. Senat des BFH hat auf Anfrage des hier entscheidenden IV. Senats mitgeteilt, dass er dieser Rechtsprechungsänderung folge und an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht mehr festhalte.

Der I. Senat des BFH hat mitgeteilt, dass seine Rechtsprechung der Rechtsprechungsänderung nicht entgegenstehe. Die Divergenzanfrage beziehe sich auf seine Rechtsprechung zur Konstellation der "kapitalistischen" Betriebsaufspaltung, bei der das Besitzunternehmen eine Kapitalgesellschaft ist. Hierfür kam der I. Senat des BFH zu der Auffassung, dass einer Kapitalgesellschaft als Besitzunternehmen weder die von ihren Gesellschaftern gehaltenen Anteile an der Betriebs-GmbH noch die mit diesem Anteilsbesitz verbundene Beherrschungsfunktion "zugerechnet" werden können. Dem liege ein aus dem Trennungsprinzip abzuleitendes "Durchgriffsverbot" zugrunde (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 28.01.2015, I R 20/14). In der oben dargestellten Rechtsprechungsänderung für den Fall einer Besitz-Personengesellschaft sehe der I. Senat des BFH jedenfalls keine Divergenz zu dem für die „kapitalistische“ Betriebsaufspaltung von ihm postulierten „Durchgriffsverbot“.

Betroffene Normen

​§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG

Streitjahr ​2010-2012

Praxishinweis

Die Rechtsprechungsänderung des IV. Senats des BFH bedeutet im Ergebnis, dass die personelle Verflechtung auch bei der Besitzgesellschaft über eine zwischengeschaltete Kapitalgesellschaft erfolgen kann. Diese Änderung hat in der Praxis nicht nur für Zwecke der erweiterten Grundstückskürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG große Bedeutung. Im Rahmen von Unternehmensstrukturierungen sollte unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung daher berücksichtigt werden, dass die personelle Verflechtung im Hinblick auf die Besitzgesellschaft nicht im Wege der Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft vermieden werden kann. Natürlich bleibt zunächst abzuwarten, wie die Finanzverwaltung mit der Rechtsprechungsänderung umgehen wird. Es ist allerdings zu erwarten, dass das Urteil im Bundessteuerblatt veröffentlicht und damit auch von der Finanzverwaltung angewandt wird. Offen ist dann aber noch die Frage, ob die Finanzverwaltung eine Übergangsregelung erlässt, die es den Steuerpflichtigen ermöglicht, ggf. notwendige Umstrukturierungen vorzunehmen.

Vorinstanz

​Finanzgericht Hessen, Urteil vom 24.01.2018, 8 K 2233/15, EFG 2018, S. 762

Fundstellen

BMF, Schreiben vom 21.11.2022

BFH, Urteil vom 16.09.2021, IV R 7/18, BStBl II 2022, S. 767

Weitere Fundstellen

​BFH, Urteil vom 20.05.2021, IV R 31/19, BStBl II 2021, S. 768, siehe Deloitte Tax-News

BFH, Urteil vom 30.10.2019, IV R 59/16, BStBl II 2020, S. 147, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 29.11.2017, X R 8/16, BStBl II 2018, S. 426, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 28.01.2015, I R 20/14, siehe Deloitte Tax-News

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