BFH: Politische Betätigung und Gemeinnützigkeit
Eine Tätigkeit, die darauf abzielt, die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen, ist nicht als politische Bildungsarbeit gemeinnützig i.S. von § 52 AO.
Dementsprechend hat der BFH dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac die Gemeinnützigkeit wegen politischer Kampagnen aberkannt.
Sachverhalt
Strittig war, inwieweit sich Vereine unter Inanspruchnahme der steuerrechtlichen Förderung der Gemeinnützigkeit politisch betätigen dürfen. Im Streitfall ging es um den Attac-Trägerverein, der zur globalisierungskritischen Bewegung gehört und sich öffentlichkeitswirksam mit zahlreichen Themen befasst. Hierzu gehörten bspw. die Finanz- und Wirtschaftskrise, die Besteuerung von Finanzmärkten, die Umverteilung von Reichtum, eine Finanztransaktionssteuer, Steuern gegen Armut, Blockupy, Regulierung der Finanzmärkte, europaweiter Sozialabbau, feministische Ökonomie, unbedingtes Grundeinkommen, Klimaschutz sowie globale Klimagerechtigkeit. Er veranstaltete Konferenzen, Tagungen, Seminare, Workshops, Vorträge und stellte dabei Bildungsmaterialien zur Verfügung.
Das Finanzamt versagte dem Attac-Trägerverein für die Streitjahre 2010 bis 2012 den Status der Gemeinnützigkeit. Das Hessische FG war demgegenüber davon ausgegangen, dass die nach § 52 AO steuerbegünstigte Förderung der Volksbildung eine Betätigung in beliebigen Politikbereichen zur Durchsetzung eigener politischer Vorstellungen ermögliche.
Entscheidung
Der BFH hat das Urteil des FG aufgehoben. Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Förderung der von der Volksbildung mitumfassten politischen Bildung dazu berechtigt, zu konkreten Handlungen aufzurufen und Forderungen zu tagespolitischen Fragen zu erheben.
Gemeinnützige Zwecke i.S.v. § 52 AO
Eine Körperschaft verfolgt gemäß § 52 Abs. 1 S. 1 AO gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. § 52 Abs. 2 AO legt fest, welche Zwecke unter den Voraussetzungen des Abs. 1 als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen sind. Hierzu gehört gemäß § 52 Abs. 2 Nr. 24 AO auch die "allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens", nicht aber auch die dort ausdrücklich ausgeschlossene Verfolgung von "Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art".
Ständige BFH-Rechtsprechung zur Förderung der Allgemeinheit und des demokratischen Staatswesens
Nach ständiger BFH-Rechtsprechung erfasst die Förderung der Allgemeinheit i.S. von § 52 AO und die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens i.S. von § 52 Abs. 2 Nr. 24 AO nicht die Verfolgung politischer Zwecke. Die Tätigkeit der Körperschaft darf weder unmittelbar noch allein auf das politische Geschehen und die staatliche Willensbildung gerichtet sein. Somit gehören weder die Einflussnahme auf die politische Willensbildung noch die Einflussnahme auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung zur Förderung der Allgemeinheit i.S. von § 52 AO. So ist selbst eine nur geringfügige allgemein-politische Betätigung eines Studentenverbandes nicht gemeinnützig. Ebenso sind der Anspruch, umfassend zu allgemeinpolitischen Themen und Fragen Stellung zu nehmen mit der Steuerbegünstigung nach § 52 AO nicht zu vereinbaren.
Gleichzeitig steht es der Steuerbegünstigung jedoch nicht entgegen, wenn eine nach § 52 Abs. 2 AO begünstigte Tätigkeit im Einzelfall zwangsläufig mit einer gewissen politischen Zielsetzung (BFH-Urteil vom 29.08.1984, I R 203/81) verbunden ist.
Förderung der Volksbildung
Die politische Bildung i.S. von § 52 Abs. 2 Nr. 7 AO zielt nach Ansicht des BFH auf die Schaffung und Förderung politischer Wahrnehmungsfähigkeit und politischen Verantwortungsbewusstseins sowie auf die Diskussion politischer Fragen "in geistiger Offenheit". Es beeinträchtige die Gemeinnützigkeit nicht, wenn auch Lösungsvorschläge für Problemfelder der Tagespolitik erarbeitet werden. Der Bereich der steuerbegünstigten politischen Bildung werde aber überschritten, wenn die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen beeinflusst werden sollen. Der Begriff der politischen Bildung umfasse nicht die Gestaltung der öffentlichen Meinung in beliebigen Politikbereichen im Sinne eines "allgemeinpolitischen Mandats".
Das FG-Urteil verstößt gegen § 52 Abs. 2 Nr. 7 und Nr. 24 AO
Das FG hat die Entscheidung des Gesetzgebers, die Einflussnahme "auf die politische Willensbildung" durch "Gestaltung der öffentlichen Meinung" nicht als eigenständige Förderung die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet i.S. von § 52 AO anzusehen völlig außer Betracht gelassen und stattdessen die Begriffe "Volksbildung" und "demokratisches Staatswesen" zu weit ausgelegt, so der BFH. Das FG habe damit die Maßstäbe verkannt, die im Hinblick auf die erforderliche Abgrenzung zu politischen Betätigungen einzuhalten sind.
Keine Gemeinnützigkeit von Attac
Mit der von Attac versuchten Einflussnahme auf die politische Willensbildung und auf die öffentliche Meinung liegt ein Handeln außerhalb steuerbegünstigter Satzungszwecke vor, da diese Tätigkeiten keinerlei Bezug zur Bildungspolitik i.S. von § 52 Abs. 2 Nr. 7 AO aufwiesen.
Das FG hatte nicht festgestellt, ob die für die Gemeinnützigkeit unzulässigen Betätigungen dem Attac-Trägerverein selbst oder anderen Mitgliedern der Attac-Bewegung zuzurechnen sind. Dies ist in einem zweiten Rechtsgang nachzuholen.
Betroffene Norm
§ 52 Abs. 2 Nr. 7 AO, § 52 Abs. 2 Nr. 24 AO, § 10b Abs. 1 ESG
Streitjahre 2010-2012
Anmerkungen
Abzuwarten bleibt, welche Auswirkungen das BFH-Urteil zu Attac auf andere Vereinigungen hat. So könnte das Urteil eine Rolle bei der weiteren Bewertung der Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe spielen.
Vorinstanz
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 10.11.2016, 4 K 179/16
Fundstellen
BFH, Urteil vom 10.01.2019, V R 60/17, BStBl. II 2019, S. 301, BVerfG-anhängig: 1 BvR 697/21
Pressemitteilung vom 26.02.2019
Folgeentscheidung: BFH, Urteil vom 10.12.2020, V R 14/12
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 29.08.1984, I R 203/81, BStBl II 1984, S. 844
BFH, Urteil vom 23.11.1988, I R 11/88, BStBl II 1989, S. 391
