Zurück zur Übersicht
11.10.2018
Unternehmensteuer

BFH: Keine Billigkeitsmaßnahme wegen möglicher Verfassungswidrigkeit der Mindestbesteuerung

Auch in Fällen der Mindestbesteuerung (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d Abs. 2 S. 1 EStG) können auf besondere Gründe des Einzelfalls gestützte Billigkeitsmaßnahmen zulässig sein. Der Umstand, dass ein Gewinn auf einem Forderungsverzicht der Gesellschafter beruht, ist jedoch kein atypischer Einzelfall, der ein Absehen von der Mindestbesteuerung wegen sachlicher Unbilligkeit erlaubt. Ob die Mindestbesteuerung in Fällen nicht liquiditätswirksamer Buchgewinne verfassungswidrig ist, ist keine Frage des Billigkeitsverfahrens.

Sachverhalt

Die an der Klägerin, einer GmbH, beteiligten Gesellschafter hatten dieser Darlehen zur Verfügung gestellt. Aufgrund der andauernden Verlustsituation kam es im Streitjahr 2006 zum Abschluss einer Sanierungsvereinbarung, mit der die Gesellschafter auf die Rückzahlung der Gesellschafterdarlehen verzichteten.

Die Klägerin beantragte unter Bezugnahme auf den Sanierungserlass (BMF-Schreiben vom 27.03.2003) die Körperschaftsteuer aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen. Das Finanzamt sah die Voraussetzungen für das Vorliegen eines steuerlich begünstigten Sanierungsgewinns als nicht gegeben an. Auch in Bezug auf die Einschränkung der Verlustverrechnung (sog. Mindestbesteuerung) sei keine Billigkeitsmaßnahme geboten. Das FG wies die dagegen gerichtete Klage ab.

Entscheidung

Der BFH kommt übereinstimmend mit der Auffassung des FG zu dem Schluss, dass die Klägerin keinen Anspruch auf eine Billigkeitsmaßnahme hat.

Begriff der sachlichen Unbilligkeit

Nach § 163 S. 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre. Die Festsetzung einer Steuer ist aus (im Streitfall allein streitigen) sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft (vgl. BFH-Beschluss vom 12.07.2017). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (vgl. BFH-Urteil vom 21.09.2016; BVerwG-Urteil vom 19.02.2015).

Keine Anwendung des Sanierungserlasses

Eine auf den Sanierungserlass gestützte Billigkeitsmaßnahme kommt nach Ansicht des BFH nicht in Betracht. Das ergebe sich schon daraus, dass der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt (vgl. BFH-Beschluss vom 28.11.2016). Nach der Folgerechtsprechung des BFH gilt dies auch in Altfällen (vgl. zuletzt BFH-Beschlüsse vom 16.04.2018 und vom 08.05.2018; a.A. BMF-Schreiben vom 29.03.2018).

Keine Billigkeitsmaßnahme wegen Mindestbesteuerung

Eine Billigkeitsmaßnahme kann geboten sein, wenn ein Gesetz bei der Steuerfestsetzung im Einzelfall zu Grundrechtsverstößen führt (vgl. BVerfG-Beschluss vom 28.02.2017). Billigkeitsmaßnahmen dürfen dabei nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Übergang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen.

Dies berücksichtigend geht der BFH zwar grundsätzlich davon aus, dass – anders als das Finanzamt wohl meint – auf besondere Gründe des Einzelfalls gestützte Billigkeitsmaßnahmen auch in Fällen der Mindestbesteuerung (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d Abs. 2 S. 1 EStG) durchaus zulässig sind (vgl. BFH-Urteile vom 20.09.2012). Vorliegend kommt der BFH jedoch zu dem Ergebnis, dass der Umstand, dass der Gewinn der Klägerin auf einem Forderungsverzicht der Gesellschafter beruht (nicht liquiditätswirksamer Buchgewinn), kein atypischer Einzelfall sei, der ein Absehen von der Mindestbesteuerung wegen sachlicher Unbilligkeit erlaubt (so auch BFH-Urteil vom 20.09.2012). Die Annahme der Klägerin, der Gesetzgeber sei bei Einführung der Vorschrift der Auffassung gewesen, die Mindestbesteuerung solle nur in bestimmten Fällen gelten, habe weder im Wortlaut noch in der Systematik Niederschlag gefunden.

Ob dabei die Mindestbesteuerung in Fällen nicht liquiditätswirksamer Buchgewinne verfassungswidrig ist, wie die Klägerin umfangreich dargelegt hat, ist keine Frage des Billigkeitsverfahrens.

Schließlich weist der BFH darauf hin, dass wenn eine Billigkeitsmaßnahme schon beim Definitivwerden eines Verlustabzugshindernisses wegen des Eingriffs in den Kernbereich einer Nettoertragsbesteuerung ausgeschlossen ist (BVerwG-Urteil vom 19.02.2015; BFH-Beschluss vom 26.02.2014), dieser Ausschluss einer Billigkeitsentscheidung erst recht die Situation bei fortbestehender Verlustabzugsmöglichkeit betrifft (BFH-Urteil vom 21.09.2016).

Betroffene Normen

§ 163 AO, § 227 AO, § 10d Abs. 2 EStG, § 8 Abs. 1 KStG
Streitjahr 2006

Anmerkung

BVerfG-Vorlage zur Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung bei Definitiveffekt

Der BFH hat die Mindestbesteuerung grundsätzlich als verfassungskonform beurteilt (Urteil vom 22.08.2012). Er geht aber insoweit von ihrer Verfassungswidrigkeit aus, als ein sog. Definitiveffekt eintritt, also eine Verlustverrechnung endgültig ausscheidet. Daher hat der BFH das BVerfG zur Verfassungsprüfung angerufen (BFH-Beschluss vom 26.02.2014, I R 59/12).

Vorinstanz

Finanzgericht Köln, Urteil vom 16.06.2016, 13 K 984/11, EFG 2016, S.1756

Fundstelle

BFH, Urteil vom 11.07.2018, XI R 33/16, lt. BMF-Schreiben vom 10.04.2019 zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen

Weitere Fundstellen

BVerfG, Beschluss vom 28.02.2017, 1 BvR 1103/15, HFR 2017, S. 544

BFH, Beschlüsse vom 16.04.2018, X B 13/18 BFH/NV 2018, S. 817 und vom 08.05.2018, VIII B 124/17, BFH/NV 2018, S. 822, siehe Deloitte Tax-News  

BFH, Beschluss vom 12.07.2017, VI R 36/15, BStBl II 2017, S. 979

BFH, Beschluss vom 28.11.2016, GrS 1/15, BStBl II 2017, S. 393, siehe Deloitte Tax-News  

BFH, Urteil vom 21.09.2016, I R 65/14, BFH/NV 2017, S. 267, siehe Deloitte Tax-News  

BVerwG, Urteil vom 19.02.2015, 9 C 10/14, BVerwGE 151, S. 255, siehe Deloitte Tax-News (unter Anmerkungen) 

BFH, Beschluss vom 26.02.2014, I R 59/12, BStBl II 2014, S. 1016, BVerfG-anhängig: 2 BvL 19/14, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 20.09.2012, IV R 36/10, BStBl II 2013, S. 498, siehe Deloitte Tax-News  

BFH, Urteil vom 20.09.2012, IV R 29/10, BStBl II 2013, S. 505, siehe Deloitte Tax-News  

BFH, Urteil vom 22.08.2012, I R 9/11, BStBl. II 2013, S. 512, siehe Deloitte Tax-News 

BMF, Schreiben vom 29.03.2018, IV C 6-S 2140/13/10003, BStBl I 2018, S. 588

BMF, Schreiben vom 27.03.2003, IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, S. 240, ergänzt durch das BMF-Schreiben vom 22.12.2009, IV C 6-S 2140/07/10001-01, BStBl I 2010, S. 18; sog. Sanierungserlass

So werden Sie regelmäßig informiert:
Artikel teilen:
Diese Webseite verwendet Cookies, um Ihnen einen bedarfsgerechteren Service bereitstellen zu können. Indem Sie ohne Veränderungen Ihrer Standard-Browser-Einstellung weiterhin diese Seite besuchen, erklären Sie sich mit unserer Verwendung von Cookies einverstanden. Möchten Sie mehr Informationen zu den von uns verwendeten Cookies erhalten und erfahren, wie Sie den Einsatz unserer Cookies unterbinden können, lesen Sie bitte unsere Cookie Notice.