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23.03.2022
Unternehmensteuer

BFH: Kein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bei Cum/ Ex-Geschäften

Wirtschaftliches Eigentum an den Aktien wird bei sog. Cum-Ex-Geschäften nicht erworben, wenn der Erwerb der Aktien Teil eines modellhaft aufgelegten Gesamtvertragskonzepts ist, nach welchem der Erwerber die wesentlichen mit einem Aktienerwerb verbundenen Rechte nicht ausüben kann und er vielmehr nur die Funktion hat, seine (aufgrund Abkommensrechts gestaltungsermöglichende) Rechtsform in den Geschäftsablauf einzubringen und angesichts der umfassenden Kontrolle jedes Geschäftsdetails durch Dritte lediglich als „passiver Teilnehmer“ („Transaktionsvehikel“) im Geschäftsablauf anzusehen ist. 

Sachverhalt

Eine Personengesellschaft in Gibraltar (B), an der ein US-Pensionsfonds (Kläger) beteiligt ist, hat Aktien deutscher Unternehmen kurz vor dem Hauptversammlungstag mit Dividendenanspruch (cum Dividende) erworben. Die Aktien sind aber erst nach dem Dividendenstichtag ohne Dividende (Ex) geliefert wurden (sog. Cum/-Ex-Geschäfte). Zugleich wurde eine Dividendenkompensationszahlung (in einem Nettobetrag: Dividendenanspruch nach Abzug der bei einer Ausschüttung anfallenden Abzugsteuer) an B gezahlt.

Die Aktiengeschäfte wurden überwiegend außerbörslich (over the counter = OTC) geschlossen. Ein geringfügiger Teil der Aktien wurde auch über die Börse erworben. Die Abwicklung der Transaktionen erfolgte über die EUREX Clearing AG als Zentraler Kontrahent und durch Einschaltung einer ausländischen und einer inländischen Depotbank. Der US-Pensionsfonds bzw. B war Teil eines mit mehreren Parteien eng aufeinander abgestimmten Kaufs- und kurzfristigen Verkaufsgeschehens mit Aktien. Eine beteiligte Bank (D-Bank) konnte die Aktiengeschäfte der B weitgehend kontrollieren, hatte Zugriff auf die Vermögenswerte der B und finanzierte die Aktiengeschäfte. Gegen Kursrisiken war B abgesichert. Das Gestaltungsrisiko wurde auch nicht von B getragen.

Der US-Pensionsfonds begehrt die Erstattung der ausweislich der Bescheinigungen der inländischen Depotbank abgezogenen Kapitalertragsteuer nach § 50d Abs. 1 S. 2 EStG a.F. i.V.m. Art. 10 DBA-USA. Nach dem US-Pensionsfonds ist das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien im Dividendenstichtag auf ihn übergegangen. Hingegen ist das FG der Auffassung, dass kein Anspruch des US-Pensionsfonds auf Erstattung der Kapitalertragsteuer besteht.

Entscheidung

Der BFH kommt in Übereinstimmung mit dem FG zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Kapitalertragsteuer-Erstattung gemäß § 50d Abs. 1 S. 2 EStG a.F. i.V.m. Art. 10 DBA-USA nicht erfüllt sind.

Voraussetzung für die Erstattung: Antragsteller muss Gläubiger der Kapitalerträge sein

Die Erstattung von Kapitalertragsteuer nach § 50d Abs. 1 S. 2 EStG setzt nach dem BFH u.a. voraus, dass der Antragsteller der Gläubiger der Kapitalerträge ist. Gläubiger der Kapitalerträge ist dabei die Person, die die Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt (vgl. § 20 Abs. 5 EStG); dies sei die Person, der die Anteile an dem Kapitalvermögen im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG) oder des Zuflusses der Dividendenkompensationszahlung (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG) nach § 39 Abs. 1 AO zivilrechtlich oder – wenn ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über die Anteile hat – nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO wirtschaftlich zuzurechnen sind.

Der US-Pensionsfonds sei allerdings im Zeitpunkt der jeweiligen Gewinnverteilungsbeschlüsse weder zivilrechtlicher noch wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien gewesen.

Kein zivilrechtliches Eigentum an den Aktien

Unstreitig sei das zivilrechtliche Eigentum an den Aktien im o.g. Zeitpunkt nicht auf den US-Pensionsfonds übergegangen, da die mit schuldrechtlichem Vertrag erworbenen Aktien seinem Depotkonto noch nicht gutgeschrieben waren. Alle Aktien aus den Aktienkäufen wurden dem Konto des US-Pensionsfonds bei seiner Depotbank erst nach dem Dividendenstichtag gutgeschrieben.

Auch kein wirtschaftliches Eigentum an den Aktien

Der BFH führt zum umstrittenen Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den Aktien Folgendes aus: Bei Aktiengeschäften erlangt der Erwerber wirtschaftliches Eigentum im Allgemeinen erst ab dem Zeitpunkt, von dem an er nach dem Willen der Vertragspartner über die Wertpapiere verfügen kann. Es geht darum, ob er eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und dass die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen (Verwaltungs- und Vermögens-)Rechte (insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrecht) sowie die mit Wertpapieren gemeinhin verbundenen Kursrisiken und -chancen auf ihn übergegangen sind (vgl. u.a. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 29.11.1982, GrS 1/81, BMF-Schreiben vom 09.07.2021).

Tatsächlich habe der US-Pensionsfonds zu keiner Zeit eine irgendwie geartete (bruchteilsbezogene) Herrschaft über die Aktien gehabt, da er die mit dem Innehaben von Wertpapieren verbundenen Rechte weder vor noch nach dem Dividendenstichtag offenkundig in nennenswerter Weise ausüben konnte. Vielmehr habe der US-Pensionsfonds nach der modellhaften Gesamtkonzeption der vereinbarten geschäftlichen Abläufe nur die Funktion, seine (aufgrund Abkommensrechts gestaltungsermöglichende) Rechtsform in den Geschäftsablauf einzubringen und war angesichts der umfassenden Kontrolle jedes Geschäftsdetails durch Dritte lediglich „passiver Teilnehmer“ und durch das Bereitstellen seiner Rechtshülle „bloßes Transaktionsvehikel“. Der US-Pensionsfonds wurde nach Auffassung des BFH auch von einem Einfluss auf die Wertpapiergeschäfte ferngehalten und sollte auch nicht direkt an dem Geschäftserfolg beteiligt sein, sondern wurde im Ergebnis nur für seine gestaltungsermöglichende Existenz als Rechtsperson vergütet. Folglich war der US-Pensionsfonds am Dividendenstichtag nach dem BFH auch nicht wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien geworden.

Weiter führt der BFH aus, dass wenn – wie im Streitfall auf der Grundlage des Gesamtvertragskonzepts – ausgeschlossen werden kann, dass der US-Pensionsfonds zu irgendeinem Zeitpunkt Inhaber der Rechte aus den Wertpapieren werden sollte, die Durchführungsart des Geschäfts, also „außerbörslich“ (Erwerb von sog. Single Stock Futures mit nachfolgender Abwicklung über die Eurex Clearing AG) oder "börslich" (im Rahmen sog. Schlussauktionen) für die Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums an den Aktien ohne Bedeutung ist.

Bank-Bescheinigung über Kapitalertragsteuer reicht nicht aus

Weitere Voraussetzung für den Erstattungsanspruch ist, dass die Kapitalertragsteuer auch „einbehalten und abgeführt“ worden ist. Nach dem BFH kann ein Erstattungsanspruch bezogen auf eine "einbehaltene und abgeführte Steuer" nicht bereits damit begründet werden, dass mit dem Erstattungsantrag eine durch die Depotbank des Erwerbers ausgestellte Bank-Bescheinigung ("Credit Advice") vorgelegt wird, die neben der "Nettodividende" auch Kapitalertragsteuer-/Solidaritätszuschlags-Beträge ausweist. Laut den Feststellungen des FG sei es im Zuge der Geschäftsabwicklung über den sog. zentralen Kontrahenten auch nicht zu einer Einbehaltung von Kapitalertragsteuer gekommen.

Betroffene Normen

§ 50d Abs. 1 S. 2 EStG a.F., § 20 Abs. 1 u. 5 EStG a.F. , § 44 Abs. 1 S. 3 EStG a.F., § 45a Abs. 3 S. 2 EStG a.F., § 39 AO

Streitjahr 2011

Anmerkungen

Einordnung des o.g. BFH-Urteils vom 02.02.2022 (I R 22/20):

Es handelt sich um ein Grundsatzurteil des BFH, in dem der BFH dem Geschäftskonzept der sog. Cum-Ex-Geschäfte, bei dem die Komplexität der eindeutigen wirtschaftlichen Zuordnung von Aktien dazu genutzt wird, ggfs. nur einmal einbehaltene Abzugsteuern vom Fiskus mehrfach angerechnet oder ausgezahlt zu bekommen, eine Absage erteilt.

Gesetzesänderungen:

Mittlerweile hat sich die Gesetzeslage geändert:

  • Aufgrund der Änderungen durch das OGAW-IV-Umsetzungsgesetz sind Gestaltungen, die eine mehrfache Kapitalertragsteueranrechnung bezwecken, seit dem 01.01.2012 nicht mehr möglich, da die Zahlstelle als Abzugsverpflichtete nun auch die Steuerbescheinigung ausstellt (sog. Zahlstellenprinzip), so dass abgeführte und bescheinigte Steuer übereinstimmen.
  • Im Rahmen des Investmentsteuerreformgesetzes wurde mit Wirkung zum 01.01.2016 ein neuer § 36a EStG eingeführt, durch den sog. „Cum/Cum-Geschäfte“ verhindert werden sollen (siehe Deloitte Tax News). Gemäß § 36a EStG wird eine Anrechnung von Kapitalertragsteuer nur noch gewährt, wenn der inländische Steuerpflichtige während der Mindesthaltedauer (45 Tage vor und nach der Fälligkeit der Kapitalerträge) ununterbrochen wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien ist, mindestens 70% des Wertänderungsrisikos trägt und nicht verpflichtet ist, die Kapitalerträge anderer Personen zu vergüten.

BGH, Urteil vom 28.07.2021, 1 StR 519/20: Straftatbestand der Steuerhinterziehung

Der BGH hat mit Urteil vom 28.07.2021 (1 StR 519/20, siehe Deloitte Tax News) entschieden, dass die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer gegenüber den Finanzbehörden auf der Grundlage von Cum-Ex-Geschäften den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt.

Vorinstanz

Finanzgericht Köln, Urteil vom 19.07.2019, 2 K 2672/17, siehe Deloitte Tax News 

Fundstelle

BFH, Urteil vom 02.02.2022, I R 22/20, BStBl. II 2022, S. 324

BFH, Pressemitteilung 09/22 vom 15.03.2022

Weitere Fundstellen

Großer Senat des BFH, Beschluss vom 29.11.1982, GrS 1/81, BStBl. II 1983, S. 272

BMF, Schreiben vom 09.07.2021, BStBl. I 2021, S. 1002, siehe Deloitte Tax News 

BGH, Urteil vom 28.07.2021, 1 StR 519/20, siehe Deloitte Tax News

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