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20.10.2022
Unternehmensteuer

BFH: Gewerbesteuerliches Schachtelprivileg bei doppelt ansässigen Kapitalgesellschaften

Zu den inländischen Kapitalgesellschaften i.S. des § 9 Nr. 2a GewStG gehören auch Kapitalgesellschaften, die ihren statutarischen Sitz im Ausland und ihren Ort der Geschäftsleitung im Inland haben (sog. doppelt ansässige Kapitalgesellschaften). Dividenden solcher Gesellschaften sind daher bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 9 Nr. 2a GewStG im Rahmen der Ermittlung des Gewerbeertrags zu kürzen. Ob im umgekehrten Fall – einer doppelt ansässigen Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland und Ort der Geschäftsleitung im Ausland – die Vorschrift des § 9 Nr. 2a GewStG Anwendung findet, hat der BFH ausdrücklich offengelassen (siehe unter Anmerkung).

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, war alleinige Gesellschafterin der B-BVBA. Diese war nach den Grundsätzen des Rechtstypenvergleichs als Kapitalgesellschaft einzuordnen und hatte ihren Sitz in Belgien und Ort der Geschäftsleitung im Inland (doppelt ansässige Kapitalgesellschaft). In 2009 schüttete die B-BVBA eine Dividende an die GmbH aus. Diese nach § 8b Abs. 1 und 5 KStG zu 95% steuerfreie Gewinnausschüttung rechnete das Finanzamt im Rahmen der Ermittlung des Gewerbeertrages der GmbH gem. § 8 Nr. 5 GewStG wieder hinzu. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt.

Entscheidung

Der BFH kommt übereinstimmend mit der Auffassung des FG zu dem Ergebnis, dass eine Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG ausgeschlossen ist, da die Voraussetzungen der gewerbesteuerlichen Kürzung des § 9 Nr. 2a GewStG bei der doppelt ansässigen B-BVBA erfüllt sind.

Gesetzliche Grundlagen

Eine gewerbesteuerliche Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG ist ausgeschlossen, soweit die Gewinnanteile die Voraussetzungen der gewerbesteuerlichen Kürzung nach § 9 Nr. 2a oder Nr. 7 GewStG erfüllen. Die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 2a GewStG gilt u.a. für Gewinne aus Anteilen an einer nicht steuerbefreiten inländischen Kapitalgesellschaft i.S. des § 2 Abs. 2 GewStG, wenn die Beteiligung zu Beginn des Erhebungszeitraums mindestens 15% des Grund- oder Stammkapital beträgt und die Gewinnanteile bei Ermittlung des Gewinns angesetzt worden sind.

Unterschiedliche Auffassungen in der Literatur

Die Einbeziehung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften in den Anwendungsbereich des § 9 Nr. 2a GewStG ist in der Literatur bislang umstritten. Während ein Teil der Literatur die Voraussetzung einer inländischen Kapitalgesellschaft zumindest bei denjenigen Gesellschaften bejaht, die – wie im zugrundeliegenden Streitfall die B-BVBA – ihren statutarischen Sitz im Ausland und ihren Ort der Geschäftsleitung im Inland haben (z.B. Schnitter in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 9 GewStG Rz. 133; Rehfeld in Deloitte, GewStG, § 9 Nr. 2a Rz. 5), fordert ein anderer Teil der Literatur einen doppelten Inlandsbezug, d.h. Sitz und Ort der Geschäftsleitung müssen sich im Inland befinden (z.B. Brandis/Heuermann/Gosch, § 9 GewStG Rz. 164 f.).

Anwendung des § 9 Nr. 2a GewStG bei doppelt ansässigen Kapitalgesellschaften

In seinem Urteil folgt der BFH nun der zuerst genannten Literaturauffassung. Die Vorschrift des § 9 Nr. 2a GewStG enthalte insbesondere keine Legaldefinition, was unter einer „inländischen“ Kapitalgesellschaft zu verstehen ist. Auch dem Begriff selbst lasse sich kein zwingender doppelter Inlandsbezug entnehmen. Vielmehr eröffne der Wortlaut einen Spielraum, auch diejenigen Kapitalgesellschaften zu erfassen, die zwar keinen statutarischen Sitz, aber ihren Ort der Geschäftsleitung im Inland haben.

Systematische Gesichtspunkte

Für die Einbeziehung solcher doppelt ansässigen Kapitalgesellschaften mit inländischem Ort der Geschäftsleitung spricht nach Auffassung des BFH auch die Systematik der gewerbesteuerrechtlichen Schachtelprivilegien. Die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 2 GewStG erfasst ausdrücklich Gewinnanteile sämtlicher in- und ausländischer Personengesellschaften. Die Gewinnanteile von Kapitalgesellschaften sind dagegen zum einen in § 9 Nr. 2a GewStG und zum anderen in § 9 Nr. 7 GewStG geregelt. Da § 9 Nr. 7 GewStG ausdrücklich auf Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland beschränkt ist, müsse im Umkehrschluss für § 9 Nr. 2a GewStG grundsätzlich ein einfacher Inlandsbezug ausreichen. Die Voraussetzung eines doppelten Inlandsbezugs hätte – wie in § 9 Nr. 7 GewStG der doppelte Auslandsbezug – ausdrücklich geregelt werden müssen, so der BFH.

Zweck des gewerbesteuerrechtlichen Schachtelprivilegs

Entscheidend ist nach Ansicht des BFH letztlich der Zweck des § 9 Nr. 2a GewStG, der darin besteht, eine gewerbesteuerliche Doppelbelastung sowohl auf Ebene der ausschüttenden Gesellschaft als auch auf Ebene ihres Anteilseigners zu vermeiden (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 24.01.2012, I B 34/11). Doppelt ansässige Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland und Ort der Geschäftsleitung im Inland unterliegen in gleicher Weise wie Kapitalgesellschaften mit doppeltem Inlandsbezug der inländischen Gewerbesteuerpflicht. Aus welchem Grund es dann gerade in diesem Fall bei einer gewerbesteuerlichen Doppelbelastung bleiben soll, obwohl nach § 9 Nr. 7 GewStG sogar Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland begünstigt werden, ist aus Sicht des BFH auch unter dem Gesichtspunkt einer Typisierung nicht ersichtlich.

Die Einbeziehung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland und Geschäftsleitung im Inland werde auch durch den Verweis des § 9 Nr. 2a GewStG auf inländische Kapitalgesellschaften "im Sinne des § 2 Abs. 2 GewStG“ bestätigt. Denn § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG erfasse nicht nur inländische, sondern auch ausländische Rechtsformen. Da § 9 Nr. 2a GewStG auf den gesamten Inhalt des § 2 Abs. 2 GewStG Bezug nimmt und gewerbesteuerliche Doppelbelastungen vermeiden soll, könne die Beschränkung auf inländische Kapitalgesellschaften nicht im Sinne eines strengen doppelten Inlandsbezugs verstanden werden. Vielmehr reicht es nach Auffassung des BFH aus, wenn der Inlandsbezug durch eine inländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte hergestellt wird.  

Betroffene Normen

​§ 9 Nr. 2a GewStG, § 8 Nr. 5 GewStG

Streitjahr ​2009 

Anmerkungen

Offengelassene Fragestellungen

Ob im umgekehrten Fall – einer doppelt ansässigen Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland und Ort der Geschäftsleitung im Ausland – die Vorschrift des § 9 Nr. 2a GewStG Anwendung findet oder ob sogar eine inländische Betriebsstätte für das Erfüllen der Voraussetzung der Kürzungsnorm ausreicht, hat der BFH in der o.g. Entscheidung ausdrücklich offengelassen.

Zudem ließ der BFH die Frage offen, ob darüber hinaus auch eine unionsrechtskonforme Auslegung für die Anwendung des § 9 Nr. 2a GewStG auf doppelt ansässige Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland und Geschäftsleitung im Inland spricht (vgl. EuGH-Urteil vom 20.09.2018, C-685/16, siehe Deloitte Tax-News) oder ggf. die sog. Stand-Still-Klausel (Art. 64 Abs. 1 AEUV) Wirkung entfaltet.​

Vorinstanz

​Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 19.10.2018, 8 K 1279/16, EFG 2019, S. 199

Fundstelle

​BFH, Urteil vom 28.06.2022, I R 43/18

Weitere Fundstelle

BFH, Urteil vom 24.01.2012, I B 34/11, BFH/NV 2012, S. 1175  

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