BFH: Finanzielle Eingliederung bei unterjähriger Verschmelzung auf eine Kapitalgesellschaft
Im Fall der Verschmelzung von zwei Kapitalgesellschaften tritt der übernehmende Rechtsträger (Organträger) hinsichtlich des Merkmals der finanziellen Eingliederung auch dann in die Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträgers ein, wenn der umwandlungssteuerliche Übertragungsstichtag nicht auf den Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft zurückbezogen wird (entgegen Auffassung der Finanzverwaltung im Umwandlungssteuererlass). Dem übernehmenden Rechtsträger ist die am Übertragungsstichtag bereits bestehende Eingliederung des übertragenden Organträgers zuzurechnen (sog. Fußstapfentheorie).
Erlischt der Gewinnabführungsvertrag vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit durch eine Verschmelzung der Organgesellschaft mit dem Organträger, ist dies ein "wichtiger Grund", so dass die Nichteinhaltung der Mindestvertragslaufzeit die steuerrechtliche Anerkennung nicht hindert.
Sachverhalt
Die A-GmbH, deren Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr entsprach, gründete im August 2014 die B-GmbH, deren Wirtschaftsjahr vom 01.09. bis 31.08. lief. Mit dieser schloss sie im Mai 2015 einen Ergebnisabführungsvertrag (EAV), der rückwirkend ab dem Beginn des Geschäftsjahres der B-GmbH galt.
Im Mai 2015 wurde die A-GmbH auf eine AG, mit Verschmelzungsstichtag vom 01.01.2015 verschmolzen. Im Juni 2017 wurde auch die B-GmbH auf die AG verschmolzen. Verschmelzungsstichtag war hier der 01.09.2017.
Die B-GmbH ging in ihren Steuererklärungen für 2015 von einer körperschaft- und gewerbesteuerrechtlichen Organschaft mit der AG als Organträgerin aus. Während das Finanzamt die Organschaft nicht anerkannte, sah das FG die Voraussetzungen einer Organschaft hingegen als erfüllt an.
Entscheidung
Der BFH bestätigt die Entscheidung des FG. Zwischen der A-GmbH (als Organträgerin) und der GmbH (als Organgesellschaft) seien die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung schon vom Beginn des Wirtschaftsjahres der AG (01.01.2015) an erfüllt.
Gesetzliche Grundlagen
Zu den Voraussetzungen einer Organschaft gehört unter anderem, dass der Gewinnabführungsvertrag auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen ist und während seiner gesamten Geltungsdauer durchgeführt wird (§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 1 KStG). Darüber hinaus muss der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt sein, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht (finanzielle Eingliederung im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 KStG).
Einordnung in die bisherige Rechtsprechung
Der BFH hat bereits in seinen Urteilen vom 28.07.2010, I R 89/09 und I R 111/09 für den Fall der Einbringung einer Mehrheitsbeteiligung an der Organgesellschaft festgestellt, dass die übernehmende Körperschaft umfassend und vorbehaltlos in die steuerliche Rechtsstellung der übertragenden Körperschaft eintritt (sogenannte Fußstapfentheorie). Dies gilt auch für die körperschaftsteuerrechtlichen Organschaftsvoraussetzungen. Danach ist es ausreichend, wenn ab dem Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft eine finanzielle Eingliederung zunächst zum übertragenden Rechtsträger und anschließend zum übernehmenden Rechtsträger besteht.
Ergebnis im Streitfall
Der BFH hält an dieser Rechtsprechung fest. Er hält sie für auf den Streitfall übertragbar, obwohl hier – anders als in den o.g. Entscheidungen – der Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft (01.09.2015) nicht mit dem umwandlungssteuerlichen Übertragungsstichtag (01.01.2015) zusammenfällt. Denn der übernehmende Rechtsträger tritt hinsichtlich der finanziellen Eingliederung auch dann nach § 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 S. 3 UmwStG in die Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträgers ein, wenn der umwandlungssteuerliche Übertragungsstichtag nicht auf den Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft zurückbezogen wird.
Zur weiteren Begründung dieses Ergebnisses siehe das grundlegende Urteil vom 11.07.2023, I R 21/20 (siehe Deloitte Tax-News)
Beendigung EAV vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit
Durch die Verschmelzung der Organgesellschaft (B-GmbH) auf die neue Organträgerin (AG) im Jahr 2017 ist während der Mindestvertragslaufzeit des EAV eine sogenannte Konfusion eingetreten. Dadurch ist der EAV vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 1 KStG erloschen. Dies war für die Anerkennung der Organschaft unschädlich. Die Konfusion stellt einen wichtigen Grund für die Nichteinhaltung der Mindestvertragslaufzeit dar (BMF-Schreiben vom 11.11.2011, Rz Org.04 S. 2).
Betroffene Normen
§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-3 KStG, § 14 Abs. 4 KStG, § 14 Abs. 5 KStG, § 12 Abs. 3 UmwStG 2006, § 4 Abs. 2 S. 3 UmwStG 2006
Streitjahr 2015
Vorinstanzen
Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 04.09.2020, 6 K 150/18, EFG S. 1344 (zu I R 36/20), siehe Deloitte Tax-News
Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.08.2020, 1 K 1585/15 (zu I R 45/20)
Fundstellen
BFH, Urteil vom 11.07.2023, I R 36/20 (zu 6 K 150/18), lt. BMF zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen
siehe auch:
BFH, Urteil vom 11.07.2023, I R 45/20 (zu 1 K 1585/15), lt. BMF zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 11.07.2023, I R 21/20, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 28.07.2010, I R 89/09, BStBl. II 2011, S. 528, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 28.07.2010, I R 111/09, BFH/NV 2011, S. 67, siehe Deloitte Tax-News
BMF, Schreiben vom 11.11.2022 (Umwandlungssteuererlass), BStBl. I 2011, S. 1314