FG Rheinland-Pfalz: Keine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG aufgrund wirtschaftlicher Gründe
Gründet ein Konzern im Rahmen einer Marktexpansion Tochtergesellschaften in anderen EU-Mitgliedstaaten, können wirtschaftliche Gründe die Gestellung von unentgeltlichen Patronats- und Garantieerklärungen für die ausländischen Tochtergesellschaften rechtfertigen, so dass eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG (bzw. die Annahme von fiktiven Haftungsvergütungen) unterbleibt (Folgeentscheidung zum EuGH-Urteil vom 31.05.2018, C-382/16, „Hornbach-Baumarkt“).
Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.08.2023, 1 K 1472/13; BFH-anhängig: I R 68/23
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine im Inland ansässige AG, deren Unternehmensgegenstand das Betreiben von Baumärkten im In- und Ausland ist. Über ihre inländische Tochtergesellschaft (HI AG) war sie mittelbar zu 100 % an mehreren Gesellschaften im EU-Ausland (Österreich, Niederlande) sowie in Drittstaaten (Tschechien, Schweiz) beteiligt. Für diese ausländischen Gesellschaften hatte sie verschiedene Miet-/Zahlungs-/Firmengarantien sowie Patronatserklärungen (Garantieerklärungen) gegenüber den Kreditgebern abgegeben. Ein Entgelt stellte sie den ausländischen Gesellschaften hierfür nicht in Rechnung.
Im Rahmen einer Außenprüfung wurden auf Ebene der AG Einkommenserhöhungen nach § 1 Abs. 1 AStG (fiktive Haftungsvergütungen) vorgenommen, da die unentgeltlich gewährten Garantieerklärungen aus Sicht der Finanzverwaltung nicht fremdüblich waren.
Das FG Rheinland-Pfalz hatte dem EuGH mit Datum vom 28.06.2016 die Frage vorgelegt, ob eine Einkunftskorrektur nach § 1 AStG im Fall einer unentgeltlichen Vorteilsgewährung im Konzern im EU-Ausland unionsrechtskonform ist. Daraufhin hatte der EuGH mit Urteil vom 31.05.2018 (C-382/16, „Hornbach-Baumarkt“, siehe Deloitte Tax News) entschieden, dass die Einkünfteberichtigungsvorschrift des § 1 AStG grundsätzlich europarechtskonform ist. Allerdings müsse bei wirtschaftlichen Gründen für ein Abweichen vom Fremdvergleich eine Einkünftekorrektur unterbleiben. Nach dem EuGH könnten sich diese Gründe auch aus der Stellung als Gesellschafter der gebietsfremden Gesellschaft ergeben. Dann ging die Sache an das FG Rheinland-Pfalz zurück. Das FG habe zu prüfen, ob die unentgeltliche Gewährung aus wirtschaftlichen Gründen vereinbart wurde, die sich aus der Stellung als Gesellschafter der gebietsfremden Gesellschaft ergaben.
Entscheidung
Das FG kommt zu dem Ergebnis, dass in Bezug auf die in der EU ansässigen Tochtergesellschaften keine Einkunftskorrektur nach § 1 AStG vorzunehmen ist. Nach dem FG rechtfertigen im Streitfall wirtschaftliche Gründe die Gestellung von unentgeltlichen Patronats- und Garantieerklärungen.
Gesetzliche Grundlagen: § 1 Abs. 1 AStG
Werden Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus Geschäftsbeziehungen zum Ausland mit einer ihm nahestehenden Person dadurch gemindert, dass er seiner Einkünfteermittlung andere Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise), zugrunde legt, als sie voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten (Fremdvergleichsgrundsatz), sind seine Einkünfte unbeschadet anderer Vorschriften so anzusetzen, wie sie unter den zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären.
Tatbestandliche Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 AStG erfüllt
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Alt. 3 AStG a.F. sind im Hinblick auf die unentgeltlichen Garantieerklärungen gegenüber ausländischen Konzerngesellschaften unstrittig erfüllt.
Kein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit in Drittstaatenfällen
Die Hinzurechnung von Haftungsvergütungen nach § 1 Abs. 1 AStG verstößt in Bezug auf die tschechischen und schweizerischen Tochtergesellschaften nicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV). Die im Streitfall einschlägige Tatbestandsalternative des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 3 AStG a.F. setze eine Beteiligung des Steuerpflichtigen (hier: AG) an der ausländischen Gesellschaft von mindestens einem Viertel voraus, die es erlaube, einen sicheren Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen. Die damit anwendbare Niederlassungsfreiheit verdränge in Drittstaatenfällen die Kapitalverkehrsfreiheit.
Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit in EU-Fällen
§ 1 Abs. 1 AStG räumt dem Steuerpflichtigen nicht die Möglichkeit ein, wirtschaftliche Gründe für die Vereinbarung nicht fremdüblicher Bedingungen im Rahmen von Geschäftsbeziehungen mit einer nahestehenden Person im Ausland darzulegen und nachzuweisen, die sich aus seiner Stellung als Gesellschafter der nahestehenden Person ergeben. Folglich verstößt die Vorschrift gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV). Dies habe allerdings nicht ihre Unanwendbarkeit zur Folge. Vielmehr sei § 1 AStG gemeinschaftsrechtskonform dahin auszulegen, dass der Steuerpflichtige die Möglichkeit erhält, aus seiner Gesellschafterstellung resultierende wirtschaftliche Gründe für die Vereinbarung nicht fremdüblicher Bedingungen mit einer nahestehenden Person im Ausland nachzuweisen (vgl. EuGH-Urteil vom 31.05.2018, C-382/16, „Hornbach-Baumarkt“ und BFH-Urteil vom 27.11.2019, I R 40/19).
Wirtschaftliche Gründe
Nach dem FG sind wirtschaftliche Gründe i.S.d. EuGH-Rechtsprechung außersteuerliche Gründe, d.h. Gründe, die nicht in Zusammenhang mit steuerlichen Motiven stehen. Der Steuerpflichtige müsse nachweisen können, dass die mit der nahestehenden Person vereinbarten Bedingungen zwar nicht denen eines Geschäfts mit einem Dritten entsprechen, dass es für den Abschluss des Geschäfts aber echte wirtschaftliche Gründe gab, die nicht in der Erlangung eines Steuervorteils bestanden. Der EuGH habe im Hornbach-Urteil ausdrücklich klargestellt, dass sich wirtschaftliche Gründe auch aus gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen zwischen den beteiligten Gesellschaften ergeben können.
Das FG vertritt die Auffassung, dass es sich bei wirtschaftlichen Gründen im Sinne des Hornbach-Urteils nicht nur um die Rettung insolvenzgefährdeter oder zumindest notleidender verbundener Unternehmen gehen könne (entgegen des inzwischen aufgehobenen BMF-Schreibens vom 06.12.2018).
Weiter führt das FG aus, dass wirtschaftliche Gründe eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG nicht automatisch ausschließen, sondern diese in die Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen den durch § 1 AStG verfolgten Zielen einerseits und der durch die Einkünftekorrektur bewirkten Beeinträchtigung gemeinschaftsrechtlich geschützter Rechtspositionen andererseits einzubeziehen sind (vgl. auch BFH-Urteil vom 27.02.2019, I R 73/16). Als durch § 1 AStG verfolgte gesetzgeberischen Ziele berücksichtige der EuGH im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sowohl das Ziel, die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, als auch die Verhinderung von Steuerumgehungen. Dabei sei die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Verrechnungspreisvorschriften wie § 1 AStG grundsätzlich weniger streng vorzunehmen als bei reinen Missbrauchsvermeidungsnormen.
Anwendung auf den Streitfall
Nach dem FG kommt eine Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG bezüglich der unentgeltlich gewährten Garantieerklärungen gegenüber den österreichischen und niederländischen Gesellschaften nicht in Betracht. Die im Ausland verfolgte Marktexpansion stelle ein wirtschaftlicher Grund dar, der die Gewährung von unentgeltlichen Garantieerklärungen rechtfertigen könne. Würde die Muttergesellschaft für die Gestellung von Sicherheiten zu Gunsten der Tochtergesellschaften ein Entgelt verlangen und damit deren ohnehin bereits erhebliche wirtschaftliche Belastung auf Grund der Expansion noch erhöhen, wäre dies wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen. Zwar würden fremde Dritte üblicherweise eine Haftungsvergütung vereinbaren; innerhalb eines Konzerns wäre sie unter den gegebenen Umständen aber in hohem Maße unüblich, so das FG.
Das FG weist daraufhin, dass das negative Eigenkapital der ausländischen Tochtergesellschaft nicht entscheidungserheblich ist. Zwar dürfte die Überschuldung der Gesellschaften bereits für sich gesehen ein hinreichender wirtschaftlicher Grund für unentgeltliche Stützungsmaßnahmen gewesen sein. Unabhängig von der jeweiligen Eigenkapitalsituation entsprach es im Streitfall aber jedenfalls vernünftigen betriebswirtschaftlichen Erwägungen, den Tochtergesellschaften auf Grund der ohnehin bereits erheblichen finanziellen Belastung ihrer Liquidität nicht noch zusätzlich die Zahlung von Haftungsvergütungen aufzuerlegen.
Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen den durch § 1 AStG verfolgten Zielen einerseits und der durch die Einkünftekorrektur bewirkten Beeinträchtigung gemeinschaftsrechtlich geschützter Rechtspositionen andererseits führt das FG Folgendes aus: Im Streitfall liegen einerseits keine konkreten steuerlichen Vorteile für die AG durch die unentgeltlich gewährten Garantien vor. Andererseits würde die Niederlassungsfreiheit bei Annahme fiktiver Haftungsvergütungen erheblich beeinträchtigt sein. Folglich erweisen sich nach dem FG die vorgenommenen Einkünftekorrekturen nach § 1 AStG als unverhältnismäßig und sind folglich rückgängig zu machen.
Betroffene Norm
§ 1 AStG
Streitjahr 2003
Anmerkungen
Einordnung der oben dargestellten Entscheidung:
Die oben dargestellte Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz vom 16.08.2023 stellt nun die Folgeentscheidung zum EuGH-Urteil vom 31.05.2018 (C-382/16, „Hornbach-Baumarkt“) dar. Während der EuGH noch weitgehend offengelassen hat, was unter dem Nachweis von wirtschaftlichen Gründen zu verstehen ist, hat das FG dazu nun Stellung genommen. Es bleibt abzuwarten, wie der BFH sich zu dieser Thematik positionieren wird. Die Revision ist beim BFH unter Az. I R 68/23 anhängig.
Fundstelle
FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.08.2023, 1 K 1472/13; BFH-anhängig: I R 68/23
Weitere Fundstellen
EuGH, Urteil vom 31.05.2018, C-382/16, Hornbach-Baumarkt, siehe Deloitte Tax News
BFH, Urteil vom 27.11.2019, I R 40/19, siehe Deloitte Tax News
BMF, Schreiben vom 06.12.2018, BStBl. I 2018, S. 1305 (inzwischen aufgehoben), siehe Deloitte Tax News
BFH, Urteil vom 27.02.2019, I R 73/16, BStBl. II 2019, S. 394, siehe Deloitte Tax News