FG Hamburg: Verhältnis von § 1 AStG zur verdeckten Gewinnausschüttung im Organschaftsfall
Die Korrekturnorm des § 1 AStG ist jedenfalls dann neben der verdeckten Gewinnausschüttung anwendbar, wenn sie zu weitergehenden Berichtigungen führt. Der zutreffende Inlandsgewinn eines Organträgers konnte im Rahmen einer grenzüberschreitenden Dreieckskonstellation nur durch die Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 1 AStG anstelle von § 8 Abs. 3 S. 2 KStG erfasst werden.
Sachverhalt
Eine GmbH (Klägerin) ist eine inländische Holdinggesellschaft mit mehreren Tochtergesellschaften, an denen sie jeweils zu 100% beteiligt war. Mit ihrer inländischen Tochtergesellschaft (A-GmbH) bestand eine ertragsteuerliche Organschaft. Daneben war die GmbH an der singapurischen B Ltd. und der amerikanischen C beteiligt. Die B Ltd. war wiederum zu 100% an zwei chinesischen Enkel-Kapitalgesellschaften (B-X und B-Y) beteiligt. Die C wiederum hielt 100% der Anteile an der D Inc..
Die A-GmbH und die D erhielten als Lizenzgeber von der B-X Lizenzgebühren. Im Rahmen einer Betriebsprüfung bei der A-GmbH wurde festgestellt, dass aufgrund eines höheren Leistungsumfangs der A-GmbH ein Teilbetrag der an D gezahlten Lizenzgebühren auf die A-GmbH entfällt. Des Weiteren unterhielt die A-GmbH ein sog. Tech-Center, in dessen Rahmen sie Dienstleistungen gegenüber anderen Konzerngesellschaften erbrachte. Der Leistungsanteil, der auf die B-X entfiel, wurde nicht an die A-GmbH erstattet. In beiden Fällen nahm die Betriebsprüfung bei der A-GmbH eine verdeckte Gewinnausschüttung (im Folgenden: vGA) gemäß § 8 Abs. 3 KStG an.
Schließlich stellte die Betriebsprüfung bei der GmbH (Klägerin) fest, dass die auf der Ebene der A-GmbH aus den oben dargestellten Sachverhalten festgestellten verdeckten Gewinnausschüttungen aufgrund der Organschaft zur GmbH vorweggenommene Gewinnabführungen der A-GmbH darstellten. Die Vorteile aus den verdeckten Gewinnausschüttungen seien jedoch nicht der GmbH, sondern deren Enkelgesellschaften zugeflossen. Deshalb sei auf der Ebene der GmbH ein Vorteilsverbrauch entstanden. Dieser fiktive Aufwand führe bei der GmbH zu einer Neutralisierung der zuzurechnenden verdeckten Gewinnausschüttungen. Das Einkommen der GmbH sei aber in Höhe der Beträge der verdeckten Gewinnausschüttungen gemäß § 1 AStG außerbilanziell zu erhöhen.
Hingegen vertrat die GmbH die Auffassung, dass eine Hinzurechnung der streitgegenständlichen Beträge nach § 1 AStG nicht in Betracht kommt, weil sie selbst keine Geschäftsbeziehungen mit den ausländischen Tochtergesellschaften in Bezug auf die streitgegenständlichen Vorfälle gehabt hat. Weiter liege auf Ebene der GmbH ein Vorteils-/Aufwandsverbrauch vor, der als abzugsfähige Betriebsausgabe außerbilanziell zu berücksichtigen sei. Deshalb sei im Ergebnis keine Gewinnerhöhung in den Streitjahren vorzunehmen.
Entscheidung
Das FG Hamburg schließt sich der Auffassung der Finanzverwaltung an. Auf Ebene der GmbH (Klägerin) hat eine außerbilanzielle Einkommenserhöhung nach § 1 AStG zu erfolgen.
Anwendung der Korrekturnorm § 1 Abs. 1 AStG
Nach § 1 Abs. 1 S. 1 AStG sind dann, wenn die Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus einer Geschäftsbeziehung zum Ausland mit einer ihm nahe stehenden Person dadurch gemindert werden, dass er seiner Einkünfteermittlung andere Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise), zugrunde legt, als sie voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten (Fremdvergleichsgrundsatz), die Einkünfte des Steuerpflichtigen unbeschadet anderer Vorschriften so anzusetzen, wie sie unter den zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären.
Nach dem FG ist das der GmbH zuzurechnende Einkommen der A-GmbH gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 AStG außerbilanziell zu erhöhen. Die schuldrechtlichen Beziehungen in Form der vertraglichen Lizenzrechtegewährung und der Erbringung von Dienstleistungen durch die A-GmbH gegenüber der B-X stellen Geschäftsbeziehungen im Sinne dieser Vorschrift dar. Die B-X sei auch eine nahe stehende Person der A-GmbH im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG a.F. und die vereinbarten Vergütungen entsprechen nach dem FG unstreitig nicht dem Fremdüblichkeitsgrundsatz.
Das FG hebt hervor, dass die Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 1 AStG nicht durch das gleichzeitige Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung verdrängt wird. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 AStG sind die Einkünfte „unbeschadet anderer Vorschriften“, so anzusetzen, wie unter den zwischen voreinander unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären. Nach § 1 Abs. 1 S. 3 AStG (für die Streitjahre 2012 und 2013 geltende Fassung) bzw. nach § 1 Abs. 1 S. 4 AStG (für die Streitjahre 2014 und 2015 geltende Fassung) sind, wenn die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu weitergehenden Berichtigungen als die anderen Vorschriften führt, die weitergehenden Berichtigungen neben den Rechtsfolgen der anderen Vorschriften durchzuführen. In seiner Begründung beruft sich das FG auch auf die BFH-Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 27.11.2019, I R 40/19 (I R 14/16)), nach der kein Vorrang von § 8 Abs. 3 S. 2 KStG gegenüber § 1 Abs. 1 AStG folgt, sondern vielmehr ein rechtliches Nebeneinanderlaufen der Einkommenskorrekturvorschriften. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist § 1 AStG ergänzend oder in besonderen Fällen anstelle der anderen Korrekturnormen anzuwenden, soweit durch diese Korrekturnormen die Erfassung des „zutreffenden Inlandsgewinns“ nicht sichergestellt werde. § 1 AStG sei ausschließlich anzuwenden, sofern sich Korrektur und Gegenkorrektur (Vorteilsverbrauch) im Inland kompensierten (vgl. BMF-Schreiben vom 14.07.2021, Tz. 1.4; unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 27.11.2019, I R 40/19).
Einkommenserhöhung bei der GmbH (Klägerin)
Das FG spricht sich für die Einbeziehung der GmbH in die Vergleichsbetrachtung nach § 1 Abs. 1 S. 3 KStG a.F. aus. Der „zutreffende Inlandsgewinn“, der auch nach der BFH-Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 27.11.2019, I R 40/19) erfasst werden soll, könne nur durch die Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 1 AStG anstelle von § 8 Abs. 3 S. 2 KStG erreicht werden. Denn, während die Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 1 AStG bei der GmbH (Klägerin) zu einer Einkommenserhöhung führt, habe die Anwendung einer verdeckten Gewinnausschüttung keine Einkommenserhöhung bei der GmbH zur Folge.
Zwar würde die Anwendung von § 8 Abs. 3 S. 2 KStG auf Ebene der A-GmbH zunächst zu einer Einkommenserhöhung führen, die der GmbH als Organträgerin gemäß § 14 Abs.1. S. 1 KStG in Verbindung mit § 17 Abs. 1 S. 1 KStG zugerechnet würde. Da es sich bei den Vorteilen der B-X nicht um einlagefähige Wirtschaftsgüter handelt und diese im Zusammenhang der mittelbaren Beteiligung der GmbH an der B-X „verbraucht“ werden, würde hierdurch zugleich das Einkommen der GmbH gemindert (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 26.10.1987, GrS 2/86).
Kein Verstoß gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten
Nach dem FG verstößt die Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 1 AStG nicht gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten. Denn, die Dienstleistungs- als auch die Niederlassungsfreiheit seien nur innerhalb der EU anwendbar. Im Streitfall gehe es allerdings um Auslandssachverhalte in einem Drittstaat (China).
Betroffene Normen
§ 1 AStG, § 8 Abs. 3 S. 2 KStG
Streitjahre: 2012-2015
Anmerkungen
Rechtsentwicklung zu § 1 Abs. 1 AStG
Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz vom 14.08.2007 (BGBl. I 2007, S. 1912) wurde Satz 3 in § 1 Abs. 1 AStG verankert: „Führt die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu weitergehenden Berichtigungen als die anderen Vorschriften, sind die weitergehenden Berichtigungen neben den Rechtsfolgen der anderen Vorschriften durchzuführen.“ Durch das Amtshilfe-Richtlinienumsetzungsgesetz vom 29.06.2013 (BGBK. I 2013, S. 1809, siehe auch Deloitte Tax News) wurde die Vorschrift in Satz 4 des § 1 Abs. 1 AStG verlagert.
BFH-Urteil vom 27.11.2019 (I R 40/19, I R 14/16)
Der BFH hatte noch zur alten Rechtslage (zu § 1 Abs. 1 AStG i.d.F. des Steuervergünstigungsabbaugesetzes vom 16.05.2003 (BGBl. I 2003, S. 660)) entschieden, dass sich beide Vorschriften (§ 8 Abs. 3 S. 2 KStG und § 1 Abs. 1 AStG) in dem Sinne überlagern, dass sich eine Gewinnkorrektur nach der einen Vorschrift erübrigt, wenn sie bereits nach der anderen vollzogen wurde. Soweit die Rechtsfolgenden der beiden Vorschriften nicht voneinander abweichen, könne der Rechtsanwender wählen, welche von ihnen er vorrangig prüfe (siehe auch Deloitte Tax News).
BFH-Urteil vom 09.08.2023 (I R 54/19)
Der BFH hat nun zur Rechtslage nach dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 entschieden, dass § 1 Abs. 1 AStG gegenüber anderen Einkünftekorrekturvorschriften (hier § 8 Abs. 3 S. 2 KStG) grundsätzlich zurücktritt und nur dann (subsidiär) zur Anwendung kommt, wenn die andere Norm Berichtigungen nur in einem geringen Umfang zulässt (siehe auch Deloitte Tax News).
Fazit
Auch nach dem FG Hamburg soll die Regelung des § 1 Abs. 1 AStG wohl die zutreffende Besteuerung des Inlandsgewinns herstellen. Wenn also bei einer fremdvergleichskonformen Durchführung der Geschäftsbeziehungen ein höherer Gewinn in Deutschland hätte versteuert werden müssen, als dies bei Anwendung der vGA (insbesondere im Fall eines Vorteilsverbrauchs) der Fall ist, soll § 1 AStG zur Anwendung kommen, um dennoch eine Erfassung des zutreffenden Inlandsgewinns sicherzustellen.
Das FG Hamburg hat im Streitfall einen Verstoß gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten abgelehnt, da hier ein Drittstaat (China) beteiligt war. Fraglich bleibt, ob das Gericht in einem EU-Fall anders entschieden hätte.
Fundstelle
FG Hamburg, Urteil vom 24.03.2023, 6 K 241/21
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 27.11.2019, I R 40/19, nach Zurückverweisung anhängig unter: I R 14/16, siehe Deloitte Tax News
BMF, Schreiben vom 14.07.2021, BStBl. I 2021, S. 1098
BFH, Urteil vom 09.08.2023, I R 54/19, siehe Deloitte Tax News