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09.06.2022
Internationales Steuerrecht

BFH: Wegzugsbesteuerung bei unentgeltlichen Übertragungen

Die Vorschrift zur Wegzugsbesteuerung bei unentgeltlichen Anteilsübertragungen auf im Ausland ansässige Steuerpflichtige ist nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass das Recht Deutschlands zur Besteuerung der in den unentgeltlich übertragenen Anteilen ruhenden stillen Reserven ausgeschlossen oder beschränkt werden müsste.​​

Sachverhalt

Ein Vater übertrug auf seinen in den USA ansässigen Sohn einen Anteil an einer deutschen GmbH. Das Vermögen der GmbH bestand im Zeitpunkt der Übertragung überwiegend aus im Inland belegenem Grundvermögen. In unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang übertrug der Vater weitere Anteile an der GmbH auf seine Ehefrau.

Finanzamt und FG behandelten die Übertragung der Anteile als teilentgeltliche Erwerbe und setzten für den Vater einen steuerpflichtigen Übertragungsgewinn für die Übertragungen auf den Sohn und seine Ehefrau an. Für den unentgeltlichen Teil der Übertragung auf den Sohn waren sie der Auffassung, dass die Voraussetzungen der Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG a.F. (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AStG n.F.) erfüllt seien und für den Vater ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn entstanden sei.

Entscheidung

Der BFH schließt sich der Auffassung des FG an und bestätigt, dass § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG a.F. (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AStG n.F.) im Streitfall erfüllt und nicht einschränkend auszulegen ist.

Gesetzliche Grundlage

Im Privatvermögen gehaltene § 17 EStG-Beteiligungen unterliegen der sog. Wegzugsbesteuerung des § 6 AStG. Neben dem Wegzug (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AStG n.F., entspricht inhaltlich § 6 Abs. 1 S. 1 AStG a.F.). ist auch die unentgeltliche Übertragung der Anteile auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person ein Tatbestand der Wegzugsbesteuerung § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AStG n.F., entspricht inhaltlich § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG a.F.). Vorbehaltlich dieser beiden Tatbestände unterliegt auch der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile der Wegzugsbesteuerung § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG n.F., entspricht inhaltlich § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG a.F.).

Anwendung der Wegzugsbesteuerung auf den Streitfall

Unstreitig im zugrundeliegenden Streitfall war, dass der Vater die Anteile an der GmbH, an welcher er innerhalb der letzten fünf Jahre mindestens 1% beteiligt war, durch teilweise unentgeltliches Rechtsgeschäft auf seinen nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Sohn übertragen und damit dem Wortlaut nach, die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG a.F. erfüllt hat. Strittig war allein, ob die Regelung auch den Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile voraussetzt.

Keine einschränkende Auslegung

Nach Auffassung des BFH ist § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG a.F. weder aus teleologisch-historischen noch aus systematischen Gründen einschränkend dahingehend auszulegen, dass durch die unentgeltliche Anteilsübertragung auf den beschränkt Steuerpflichtigen das Recht der Bundesrepublik Deutschland zur Besteuerung der in den unentgeltlichen übertragenen Anteilen ruhenden stillen Reserven ausgeschlossen oder beschränkt werden müsste.

Systematische Auslegung

Die Regelungen der sog. Wegzugsbesteuerung sollen sicherstellen, dass dem deutschen Fiskus durch den Wegzug oder die unentgeltliche Übertragung in das Ausland kein im Inland entstandener Wertzuwachs entzogen wird. Deshalb erstreckt § 6 AStG steuersystematisch den Anwendungsbereich des § 17 AStG auf Sachverhalte, in denen es jenseits einer transaktionsbedingten Realisierung der in den Anteilen angesammelten Wertzuwächse nach dem Willen des historischen Gesetzgebers einer vorgelagerten Abrechnung der stillen Reserven bedarf, um das deutsche Besteuerungsrecht hieran abzusichern.

Teleologisch-historische Auslegung

Zwar wurde in der Literatur mit Blick auf § 6 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 AStG a.F. kritisiert, dass der Besteuerungstatbestand u.a. deshalb zu weit reiche, weil er nicht voraussetzt, dass das deutsche Besteuerungsrecht für den Gewinn aus der Veräußerung der Anteile im Zuge der Übertragung ausgeschlossen oder zumindest beschränkt wird. Allerdings haben diese Erwägungen keinen Eingang in den Gesetzeswortlaut gefunden.

Nach Auffassung des BFH eröffnet § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG a.F. insoweit nicht die Möglichkeit, das dortige Tatbestandsmerkmal des Ausschlusses bzw. der Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in die vorrangig zu prüfenden Tatbeständen des § 6 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 bis 3 AStG a.F. hineinzulesen.

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken

Eine entsprechende einengende Auslegung sei nach dem BFH auch nicht aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten. Denn eine verfassungskonforme Auslegung scheidet aus, wenn sie dem Wortlaut der auszulegenden Norm sowie dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes widerspricht (BFH-Urteil vom 10.04.2013, I R 80/12). 

Die Norm durchbricht zwar das Realisationsprinzip, nach dem Wertzuwächse grundsätzlich erst bei einer transaktionsbezogenen Gewinnrealisierung erfasst werden dürfen. Indessen ist eine Abrechnung der vorhandenen stillen Reserven ausnahmsweise bereits ohne Transaktion zulässig, wenn ein späterer Steuerzugriff ansonsten nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich wäre. § 6 Abs. 1 AStG verlagert damit lediglich die Besteuerung zeitlich vor, die nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG grundsätzlich vorgesehen ist (BFH-Urteil vom 25.08.2009, I R 88, 89/07).

Kein Verstoß gegen das Unionsrecht

Die einengende Auslegung ist nach dem BFH im Streitfall auch nicht unionsrechtlich geboten. Zwar ist bei einer Schenkung von Anteilen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) einschlägig. Damit stellt sich jedoch nicht die Frage der Rechtfertigung der sofortigen Entstrickungsbesteuerung nach § 6 AStG. Denn die sog. Standstill-Klausel des Art. 64 Abs. 1 AEUV ist erfüllt, weil mit der Übertragung der Anteile des Vaters auf seinen Sohn eine Direktinvestition i.S.v. Art. 64 Abs. 1 S. 1 AEUV vorliegt und § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG bezogen auf Schenkungen seit dem maßgebenden Stichtag (31.12.1993) unveränderter Bestandteil der Rechtsordnung war. Der Vater kann sich damit nicht auf die Kapitalverkehrsfreiheit berufen.

Kein Verstoß gegen Art. 24 Abs. 1 DBA-USA

Es liegt auch kein Verstoß gegen Art. 24 Abs. 1 DBA- vor. Art. 24 Abs. 1 DBA-USA verbietet es jedem Vertragsstaat, Staatsangehörige des jeweils anderen Vertragsstaats unter ansonsten gleichen Verhältnissen höher als seine eigenen Staatsangehörigen zu besteuern. Dieses Verbot greift im Streitfall schon deshalb nicht ein, weil die Steuerpflicht des Vaters nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern ausschließlich an den Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt des Sohns als Erwerber anknüpft.

Betroffene Normen

§ 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG a.F. (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AStG n.F.)

Streitjahr 2009

Anmerkungen

Neue Rechtslage

Die Entscheidung betrifft § 6 AStG in der Fassung vor der Reform der Wegzugsbesteuerung durch das ATAD-Umsetzungsgesetz vom 25.06.2021 (siehe Deloitte Tax-News). Die neu geregelten Ersatztatbestände des § 6 Abs. 1 S. 1 AStG weichen inhaltlich nicht von den Altregelungen ab, sodass das o.g. Urteil auch für die geltende Gesetzeslage Bedeutung hat.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 08.12.2021, I R 30/19, BStBl II 2022, S. 763

BFH, Pressemitteilung 022/22 vom 27.05.2022

Weitere Fundstellen

​BFH, Urteil vom 10.04.2013, I R 80/12, BStBl. II 2013, S. 1004

BFH, Urteil vom 25.08.2009, I R 88, 89/07, BStBl. II 2016, S. 438

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