BFH: Unionsrechtswidrigkeit der Besteuerung ausländischer Fonds nach dem InvStG 2004
Ein ausländischer Investmentsfonds, der unter der Geltung des Inverstmentsteuergesetzes 2004 mit Kapitalertragsteuer belastete Dividenden inländischer Aktiengesellschaften bezogen hat, hat einen Anspruch auf Erstattung der unionsrechtswidrig erhobenen Kapitalertragsteuer. Der Erstattungsanspruch ist auch aus unionsrechtlichen Gründen zu verzinsen.
Sachverhalt
Der Kläger ist ein in Frankreich ansässiger Fonds Commun de Placement, der als Zweckvermögen im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG in der jeweils für die Streitjahre geltenden Fassung zu qualifizieren wäre, wenn er im Inland ansässig wäre. Er bezog Ausschüttungen inländischer Kapitalgesellschaften, auf die zunächst Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag (26,375 %) einbehalten wurde. Gemäß dem anzuwendenden Doppelbesteuerungsabkommen konnte Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt 11,375% wieder erstattet werden.
Der Kläger beantragte aus unionsrechtlichen Gründen die Erstattung der ihm verbliebenen Kapitalertragsteuer (15%) zuzüglich Zinsen. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH kommt entgegen der Auffassung des FG zu dem Ergebnis, dass dem Kläger aus unionsrechtlichen Gründen eine Befreiung von der Körperschaftsteuer zusteht. Weiter habe der Kläger dem Grunde nach auch ein Anspruch auf Verzinsung der Erstattung der unionsrechtswidrig erhobenen Kapitalertragsteuer.
Gesetzliche Grundlagen
Nach § 11 Abs. 1 S. 2 und 3 und Abs. 2 S. 1 InvStG 2004 sind nur gebietsansässige Publikumsfonds von der Körperschaftsteuer befreit und von inländischer Kapitalertragsteuer entlastet, nicht aber ausländische Publikumsfonds.
Unionsrechtswidrigkeit der Besteuerung ausländischer Fonds
Der BFH beruft sich auf die bereits ergangene Rechtsprechung zu Spezialimmobilienfonds (vgl. BFH-Urteil vom 11.10.2023 (I R 23/23 (I R 33/17)) und EuGH-Urteil vom 27.04.2023, C-537/20; siehe auch Deloitte Tax-News Deloitte Tax-News: Steuern – Internationales Steuerrecht (deloitte-tax-news.de)). So liegt nach dem BFH auch im aktuellen Streitfall eine steuerliche Ungleichbehandlung vor, die dazu geeignet ist, gebietsfremde Publikumsfonds von Investitionen in deutsche Kapitalgesellschaften abzuhalten, als auch in Deutschland ansässige Anleger davon abzuhalten, für solche Investitionen gebietsfremde Publikumsfonds in Anspruch zu nehmen. An dieser Schlussfolgerung ändere sich auch nichts durch die Besteuerung der Ausschüttung auf der Ebene der Anleger. Denn die deutschen Rechtsvorschriften machten die Befreiung der inländischen Fonds nicht von der Voraussetzung abhängig, dass sämtliche Einkünfte auf der Ebene ihrer Anleger besteuert werden.
Der EuGH habe darüber hinaus ausgeführt, dass die steuerliche Benachteiligung gebietsansässiger Anleger von gebietsfremden Fonds im Vergleich zu gebietsansässigen Anlegern der gebietsansässigen Fonds zu einer verbotenen Beschränkung des freien Kapitalverkehrs führt. In nicht wenigen Fällen (z.B. Fondsanleger mit Verlustvorträgen, Fondsanleger mit Nichtveranlagungs-Bescheinigungen oder mit Kapitaleinkünften unterhalb des Sparer-Pauschbetrages, gemäß § 5 KStG steuerbefreite institutionelle Fondsanleger) haben die inländischen Anleger eines gemäß § 11 Abs. 1 S. 2 InvStG 2004 steuerbefreiten Inlandsfonds keine Steuer zu tragen (fehlende Steuerbelastung sowohl auf Fonds- als auch auf Anlegerebene; Keinmal-Belastung), während bei einer Anlage in einen ausländischen Fonds stets eine Steuerbelastung auf Fondsebene eintritt (Einmal-Belastung), so der BFH.
Der BFH führt weiter aus, dass die Beschränkung des freien Kapitalverkehrs nicht durch die Notwendigkeit, die Kohärenz des nationalen Steuersystems zu wahren, gerechtfertigt werden kann. Denn auch bei Publikumsfonds könnte die interne Kohärenz des deutschen Fondsbesteuerungssystems aufrechterhalten werden, wenn die gebietsfremden Publikumsfonds von der Körperschaftsteuer befreit werden könnten, sofern sich die deutschen Steuerbehörden unter voller Zusammenarbeit dieser Fonds vergewissern, dass die Anleger dieser Fonds eine Steuer entrichten, die derjenigen entspricht, der die Anleger eines gebietsansässigen Publikumsfonds unterliegen. Solchen gebietsfremden Publikumsfonds zu erlauben, diese Befreiung unter diesen Bedingungen in Anspruch zu nehmen, wäre eine weniger einschränkende Maßnahme.
Erlass eines Freistellungsbescheids unter Berücksichtigung der Festsetzungsverjährung
Nach dem BFH ist die unter Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit erhobene Kapitalertragsteuer dem Kläger unter Erteilung eines Freistellungsbescheids auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 50d Abs. 1 S. 2 EStG zu erstatten (vgl. auch BFH-Urteile vom 13.04.2021, I R 31/18 und vom 22.04.2009, I R 53/07). Allerdings stehe dem Erlass eines Freistellungsbescheids für die in den Jahren 2008 und 2009 zugeflossenen Kapitalerträge die Festsetzungsverjährung entgegen.
Nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung gelten für den auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 50d Abs. 1 Sa. 2 EStG zu erwirkenden Freistellungsbescheid die Vorschriften der Abgabenordnung über die Festsetzungsverjährung. Damit müsse der Antrag auf Erlass eines Freistellungsbescheids vor Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO gestellt werden. Diese Frist beginnt regelmäßig mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Da die Kapitalertragsteuer mit dem Zufluss des Kapitalertrags entsteht (§ 44 Abs. 1 S. 2 EStG), beginnt die Frist für die im Jahr 2008 zugeflossenen Erträge mit Ablauf dieses Jahres und endet mit Ablauf des Jahres 2012. Da im Streitfall die Erstattungsanträge erst im Jahr 2014 gestellt wurden, war die Feststellungsfrist bereits abgelaufen. Bei der Fristberechnung sei auch keine Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO) zu berücksichtigen. Auch unionsrechtliche Gründe würden keine davon abweichende Würdigung gebieten.
Anspruch auf Verzinsung des Erstattungsbetrages
Nach dem BFH hat der Kläger einen (unionsrechtlichen) Anspruch auf Verzinsung des Erstattungsbetrages. Denn nach der EuGH-Rechtsprechung habe der Einzelne, wenn ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts Steuern erhoben hat, einen Anspruch auf Erstattung nicht nur der zu Unrecht erhobenen Steuer, sondern auch der Beträge, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Steuer an diesen Staat gezahlt oder von diesem einbehalten worden sind. Darunter fallen auch die Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen infolge der vorzeitigen Fälligkeit der Steuer.
Der Zinssatz bestimme sich grundsätzlich nach dem nationalen Recht und damit nach § 238 AO. Ob gemäß § 238 Abs. 1a AO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 12.07.2022 (BGBl. I 2022, S. 1142) in den Fällen des § 233a AO ab dem 01.01.2019 ein abgesenkter Zinssatz von 0,15 % pro Monat anzusetzen ist, müsse im Streitfall nicht entschieden werden. Denn der Kläger habe ab Rechtshängigkeit seiner Klage ein Anspruch auf Prozesszinsen gemäß § 236 AO. Auf diesen Anspruch wären etwaige Zinsen gemäß § 233a AO anzurechnen (§ 236 Abs. 4 AO).
Zur Dauer des Zinslaufs sei zwischen den Streitjahren 2010 bis 2011 und 2012 bis 2013 zu differenzieren. Was die in den Streitjahren 2010 bis 2011 bezogenen Kapitaleinkünfte angehe, könne der Kläger Zinsen erst ab Ablauf einer angemessenen Bearbeitungszeit von sechs Monaten nach Eingang des Erstattungsantrags bei der Behörde beanspruchen. Hingegen sei im Hinblick auf die in den Streitjahren 2012 und 2013 bezogenen Kapitaleinkünfte der Zeitraum von der Entrichtung der Kapitalertragsteuer bis zur Erstattung zu verzinsen. Diese Differenzierung beruhe auf eine veränderte Gesetzeslage, die es inländischen Fonds möglich gemacht hatte in den Jahren 2012 und 2013 Dividenden ohne Abzug von Kapitalertragsteuer zu beziehen.
Betroffene Normen
§ 11 InvStG 2004
Streitjahre 2008-2013
Vorinstanz
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 21.08.2019, 4 K 999/17
Fundstellen
BFH, Urteil vom 13.03.2024, I R 1/20
BFH, Pressemitteilung vom 22.08.2024 Nr. 033/24
Anmerkung
Alte Rechtslage
Das o.g. Urteil erging noch zur Rechtslage des InvStG 2004. Mit Einführung des neuen InvStG 2018 zum 01.01.2018 unterliegen sowohl inländische als auch ausländische Fonds gemäß § 6 InvStG 2018 grundsätzlich gleichermaßen der Körperschaftsteuerpflicht.
Bedeutung der Entscheidung
Die Entscheidung ist von beträchtlicher finanzieller Tragweite, da zahlreiche ausländische Fonds vergleichbare Erstattungsanträge gestellt haben, die sich nach Schätzungen des Bundesrechnungshofs auf eine Gesamtsumme im Milliardenbereich belaufen.
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 11.10.2023, I R 23/23 (I R 33/17), siehe Deloitte Tax-News
EuGH, Urteil vom 27.04.2023, C-537/20, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 13.04.2021, I R 31/18
BFH, Urteil vom 22.04.2009, I R 53/07