BFH: Nichtanwendbarkeit der Schachtelstrafe bei Drittstaatendividenden
Das pauschale Betriebsausgaben-Abzugsverbot nach § 8b Abs. 7 KStG i.d.F. des StBereinG 1999 ist mit der unionsrechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit nicht vereinbar und daher auch bei Drittstaatenbeteiligungen nicht anwendbar (Folge aus der neueren EuGH-Rechtsprechung). Das Urteil betrifft nur Altfälle bis VZ 2001.
Sachverhalt
Im Streitfall war eine deutsche GmbH in Höhe von 25,17 v.H. an einer in einem Drittstaat ansässigen Kapitalgesellschaft beteiligt. Die Ausschüttung der ausländischen Tochtergesellschaft war dem Grunde nach in Deutschland steuerfrei, weil die Voraussetzungen des Schachtelprivilegs unstreitig vorlagen. Strittig war dagegen der Ansatz von nicht abziehbaren Betriebsausgaben gemäß § 8b Abs. 7 KStG i.d.F. des StBereinG 1999 (KStG 1999). Zu klären war dabei, ob aus der neueren EuGH-Rechtsprechung (Urteile vom 03.10.2013, C-282/12 „Itelcar“ und vom 11.09.2014, C-47/12 „Kronos“) die Nichtanwendbarkeit der sog. Schachtelstrafe in Drittstaatenfällen wegen Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit folgt oder ob bei einer gesetzlich qualifizierten Mindestbeteiligungsquote von 10% die Kapitalverkehrsfreiheit von der Niederlassungsfreiheit verdrängt wird?
Entscheidung
Der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass das Abzugsverbot von fiktiven Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 7 KStG 1999 bei Auslandsbeteiligungen in den Bereich der Kapitalverkehrsfreiheit und nicht denjenigen der Niederlassungsfreiheit fällt. Die Schachtelstrafe ist daher auch bei Drittstaatenbeteiligungen unanwendbar.
Kapitalverkehrsfreiheit oder Niederlassungsfreiheit
Eine nationale Regelung, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, fällt in den Anwendungsbereich über die Niederlassungsfreiheit. Hingegen sind nationale Regelungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll, ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen (EuGH-Urteile vom 20.12.2017, C-504/16 und C-613/16 „Deister Holding“).
Kein hinreichend "sicherer Einfluss" bei Beteiligung von mindestens 10%
Nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung ermöglicht eine unmittelbare Beteiligung an den stimmberechtigten Anteilen einer Tochtergesellschaft von mindestens 10% einen hinreichend "sicheren Einfluss", sodass vorrangig die Niederlassungsfreiheit anwendbar ist (BFH-Urteile vom 06.03.2013, I R 10/11 und vom 29.08.2012, I R 7/12). An dieser Rechtsprechung hält der BFH nun unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des EuGH nicht mehr fest.
Nach der Rechtsprechung des EuGH lässt eine Beteiligung von mindestens 10% nicht zwangsläufig den Schluss zu, dass die Gesellschaft, die sie hält, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der die Dividenden ausschüttenden Gesellschaft ausübt (EuGH-Urteile vom 10.06.2015. C-686/13; vom 11.09.2014, C-47/12 „Kronos“; vom 03.10.2013, C-282/12 „Itelcar“; vom 20.12.2017, C-504/16 und C-613/16 „Deister Holding“ und vom 07.09.2017, C-6/16 „Eqiom und Enka“). Demgemäß ist die Regelung des § 8b Abs. 7 KStG 1999 nicht nur auf Dividenden anwendbar, die eine gebietsansässige Gesellschaft auf Grundlage einer Beteiligung hält, die einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der ausschüttenden Gesellschaft verleiht und es ermöglicht, deren Tätigkeiten zu bestimmen, sondern auch auf Dividenden, die auf der Grundlage einer Beteiligung bezogen werden, die keinen solchen Einfluss verleiht.
§ 8b Abs. 7 KStG 1999 fällt unter die Kapitalverkehrsfreiheit
Daher kann sich bei Drittstaaten-Dividenden die in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft unabhängig vom Umfang der Beteiligung im konkreten Fall allein auf die Kapitalverkehrsfreiheit berufen. Insofern bleibt die Höhe der konkreten Beteiligung unberücksichtigt (EuGH-Urteil vom 11.09.2014, C-47/12 „Kronos“; so auch FG Münster, EuGH-Vorlage vom 20.09.2016, 9 K 3911/13 F).
Die Regelung des § 8b Abs. 7 KStG 1999 stellt eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar, was zu deren Nichtanwendbarkeit führt (die Gründe ergeben sich aus den EuGH-Urteilen vom 18.09.2003, C-168/01 "Bosal" und vom 23.02.2006, C-471/04 "Keller Holding“).
Betroffene Normen
§ 8b Abs. 7 KStG i.d.F. des StBereinG 1999, Art. 43 EG (jetzt Art. 49 AEUV) Niederlassungsfreiheit, Art. 56 EG (jetzt Art. 63 AEUV) Kapitalverkehrsfreiheit
Streitjahr 2001
Anmerkungen
Die Entscheidung betrifft lediglich Altfälle bis VZ 2001, die noch von der alten Regelung des § 8b Abs. 7 KStG 1999 betroffen sind.
§ 8b Abs. 5 KStG stellt mittlerweile eine Gleichbehandlung hinsichtlich der fingierten Beteiligungsaufwendungen bei Auslands- und Inlandsbeteiligungen sicher.
Vorinstanz
Finanzgericht München, Urteil vom 19.09.2016, 7 K 1118/16, EFG 2016, S. 1991
Fundstelle
BFH, Urteil vom 24.07.2018, I R 75/16, lt. BMF Schreiben vom 24.01.2020 zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 06.03.2013, I R 10/11, BStBl. II 2013, S. 707
BFH, Urteil vom 29.08.2012, I R 7/12, BStBl. II 2013, S. 89, siehe Deloitte Tax-News
EuGH, Urteil vom 18.09.2003, C-168/01, BFH/NV 2004, S. 13 "Bosal"
EuGH, Urteil vom 23.02.2006, C-471/04, BStBl. II 2008, S. 834 "Keller Holding“
EuGH, Urteil vom 03.10.2013, C-282/12, IStR 2013, S. 871 „Itelcar“
EuGH, Urteil vom 11.09.2014, C-47/12, BFH/NV 2014, S. 1869 „Kronos“, siehe German Tax and Legal News
EuGH, Urteil vom 10.06.2015, C-686/13, BFH/NV 2015, S. 1229
EuGH, vom 07.09.2017, C-6/16, HFR 2018, S. 175, „Eqiom und Enka“
EuGH, Urteile vom 20.12.2017, C-504/16 und C-613/16, BFH/NV 2018, S. 319 „Deister Holding“, siehe Deloitte Tax-News
Finanzgericht Münster, Beschluss vom 20.09.2016, 9 K 3911/13 F, EFG 2017, S. 323, siehe Deloitte Tax-News