FG Köln: OSS-Verfahren bei Betriebstätten von Organgesellschaften im EU-Ausland
Unterliegen sonstige Leistungen an Nichtunternehmer in Organschaftsfällen auch dann dem OSS-Verfahren, wenn die Organgesellschaft im Mitgliedstaat des Verbrauchs eine Betriebsstätte unterhält?
Hintergrund
Mit dem JStG 2020 wurde für Umsätze ab 1. Juli 2021 das in § 18j UStG geregelte One-Stop-Shop-Verfahren (OSS) in Fortentwicklung des zuvor für Telekommunikations-, Rundfunk- und elektronische Dienstleistungen an Nichtunternehmer geltenden Mini-One-Stop-Shop-Verfahrens (MOSS) eingeführt (vgl. Deloitte Tax News). Das OSS-Verfahren (EU-Regelung) ist ein besonderes Besteuerungsverfahren, das von EU-Unternehmern, die sonstige Leistungen an Nichtunternehmer erbringen, genutzt werden kann, wenn sie im Mitgliedstaat des Verbrauchs nicht ansässig sind. § 18j UStG, der die mit dem zweiten Teil des Mehrwertsteuerdigitalpakets eingeführten Art. 369a ff. MwStSystRL umsetzt, gilt für Lieferungen innerhalb eines Mitgliedstaates über eine elektronische Schnittstelle, für innergemeinschaftliche Fernverkäufe und für von im Gemeinschaftsgebiet, nicht aber im Mitgliedstaat des Verbrauchs ansässigen Unternehmern erbrachte sonstige Leistungen an Nichtunternehmer. Das OSS-Verfahren dient der Verfahrensvereinfachung. Der teilnehmende Unternehmer erklärt sämtliche dem besonderen Besteuerungsverfahren unterliegenden Leistungen quartalsweise im EU-Mitgliedstaat der OSS-Registrierung. Nimmt ein Steuerpflichtiger am optionalen OSS-Verfahren teil, entfallen Registrierungs- und Deklarationspflichten in anderen EU-Mitgliedstaaten für die dem OSS-Verfahren unterliegenden Umsätze.
Nach § 18j Abs. 1 Satz 4 1. Halbsatz UStG ist die Teilnahme am OSS-Verfahren dem Unternehmer nur einheitlich für alle EU-Mitgliedstaaten und alle dem OSS-Verfahren unterliegenden Umsätze möglich. Dies gilt gemäß § 18j Abs. 1 Satz 4 2. Halbsatz UStG hinsichtlich sonstiger Leistungen an Nichtunternehmer nur für die EU-Mitgliedstaaten, in denen der Unternehmer weder einen Sitz noch eine Betriebsstätte hat. Entgegen dem Gesetzeswortlaut erweitert die Finanzverwaltung den gesetzlichen Ausschlusstatbestand nach § 18j Abs. 1 Satz 4 2. Halbsatz. UStG um das Merkmal des Organkreises gemäß Abschn. 18j.1 Abs. 1 Satz 4 2. Halbsatz UStAE. Danach ist im Fall der umsatzsteuerlichen Organschaft das OSS-Verfahren im Hinblick auf sonstige Leistungen an Nichtunternehmer nur für solche EU-Mitgliedstaaten eröffnet, in denen der Unternehmer bzw. der Organkreis weder einen Sitz noch eine Betriebsstätte unterhält. In Organschaftsfällen unterliegen sonstige Leistungen an Nichtunternehmer nach Ansicht der Finanzverwaltung nicht dem OSS-Verfahren, wenn eine Organgesellschaft im Mitgliedstaat des Verbrauchs eine Betriebsstätte unterhält. Mit der Frage, ob die ungeschriebene Erweiterung des gesetzlichen Ausschusstatbestandes nach § 18j Abs. 1 Satz 4 2. Halbsatz UStG um das Merkmal des Organkreises i.S.d. Abschn. 18j.1 Abs. 1 Satz 4 2. Halbsatz UStAE mit dem gesetzgeberisch intendierten Vereinfachungszweck im Einklang steht, hat sich das FG Köln in einem aktuellen Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz befasst. Zudem war streitig, ob der Mitgliedstaat der Registrierung im OSS-Verfahren dazu berechtigt ist, formell ordnungsgemäß gemeldete Steuerdaten materiell-rechtlich zu prüfen.
Sachverhalt
Die Antragstellerin ist eine inländische AG und Organträgerin einer umsatzsteuerlichen Organschaft. Mehrere ihrer Organgesellschaften unterhalten Betriebstätten im EU-Ausland. Mit Wirkung zum 1. Juli 2021 registrierte sich die Antragstellerin für das OSS-Verfahren. In der Folge übermittelte sie quartalsweise OSS-Meldungen an das BZSt und entrichtete die gemeldeten Steuerbeträge. Das BZSt leitete die gemeldeten Daten und die bezahlten Steuerbeträge nicht an die jeweiligen Mitgliedstaaten weiter. Nach Ansicht des BZSt dürfen sonstige Leistungen an Nichtunternehmer in anderen Mitgliedstaaten, in denen eine Organgesellschaft eine feste Niederlassung unterhält, nicht im OSS-Verfahren erklärt werden. Daraufhin beantragte die AG beim FG Köln den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Leitsätze (vereinfacht)
- Im OSS-Verfahren steht dem Mitgliedstaat der Registrierung kein materielles Prüfungsrecht zu.
- Eine ausländische feste Niederlassung/Betriebsstätte einer Organgesellschaft führt nicht zum Ausschluss der dem OSS-Verfahren unterliegenden Umsätze der Organschaft.
Betroffene Normen
§ 18j UStG; § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG; Art. 369g MwStSystRL; Art. 11 MwStSystRL
Anmerkung
Im Streitfall ist die Antragstellerin zur Teilnahme am OSS-Verfahren berechtigt. Die im EU-Ausland von den Organgesellschaften unterhaltenen Betriebsstätten stehen der Teilnahmeberechtigung der Organträgerin nicht entgegen. Eine anderweitige Auslegung widerspricht dem Vereinfachungsgedanken des OSS-Verfahrens. Das FG Köln hat das BZSt daher dazu verpflichtet, die von der Antragstellerin gemeldeten Steuerdaten und die von ihr bezahlten Steuerbeträge an die betroffenen Mitgliedstaaten weiterzuleiten. Sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein, insbesondere wegen des drohenden Verlusts der Vorteile des OSS-Verfahrens anzunehmender Anordnungsgrund lagen bei summarischer Prüfung vor.
Dem Mitgliedstaat der Registrierung kommt nach dem FG kein materielles Prüfungsrecht bezüglich des im OSS-Verfahren übermittelten Erklärungsgehalts zu. Für ein etwaiges Recht auf Plausibilitätsprüfung fehlt es an einer Rechtsgrundlage.
Ebenso entbehrt die vom BZSt vertretene Ansicht (Abschn. 18j.1 Abs. 1 Satz 4 2. Halbsatz UStAE) jeglicher gesetzlichen Grundlage. Eine im Mitgliedstaat des Verbrauchs belegene Betriebsstätte einer Organgesellschaft begründet keinen Ausschlussgrund für die Anwendung des OSS-Verfahrens. Die Wirkungen der Organschaft sind auf die Innenleistungen zwischen den im Inland belegenen Unternehmensteilen beschränkt. Die Unternehmensteile sind als ein Unternehmen zu behandeln. Eine Betriebstätte einer Organgesellschaft im Mitgliedstaat des Verbrauchs kann den Ausschluss des OSS-Verfahrens nicht rechtfertigen. Die entgegenstehende Auffassung der Finanzverwaltung widerspricht zudem dem Verständnis der Europäischen Kommission (Europäische Kommission, Leitfaden für die einzige Anlaufstelle für die Mehrwertsteuer, März 2021, Teil 1 a – Einzelheiten, Ziff. 11). Danach sind Leistungen, die von der Mehrwertsteuergruppe im Mitgliedstaat der festen Niederlassung erbracht werden, in der über die einzige Anlaufstelle eingereichten Erklärung und nicht in der Mehrwertsteuererklärung der festen Niederlassung anzugeben.
Abschn. 18j.1 Abs. 1 Satz 4 2. Halbsatz UStAE steht daher nicht im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung. Betroffene Steuerpflichtige können sich in vergleichbaren Konstellationen unmittelbar auf den Beschluss des FG Köln berufen.
Fundstelle
Finanzgericht Köln, Beschluss vom 03.04.2023, 2 V 211/23, rechtskräftig