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11.11.2021
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Zuordnungsfrist bei gemischt genutzten Gegenständen grundsätzlich unionsrechtskonform

Überraschung! Die Ausschlussfrist für die Dokumentation der Zuordnungsentscheidung gegenüber der Finanzverwaltung bei gemischt genutzten Gegenständen ist nach dem EuGH nicht neutralitätswidrig.

Hintergrund

Bei der Anschaffung oder Herstellung von Gegenständen, die sowohl für unternehmerische als auch für private Zwecke verwendet werden, setzt der Vorsteuerabzug voraus, dass der Unternehmer beim Leistungsbezug eine Zuordnungsentscheidung trifft. Bei einer teilunternehmerischen Mindestnutzung von 10 % besteht ein Zuordnungswahlrecht. In diesen Fällen kann der Unternehmer den gemischt genutzten Gegenstand insgesamt seinem Unternehmen zuordnen, ihn in seinem nichtunternehmerischen Bereich belassen oder ihn im Umfang der tatsächlichen unternehmerischen Verwendung seinem Unternehmensvermögen zuordnen.

Nach gefestigter BFH-Rechtsprechung und Rechtsauffassung der Finanzverwaltung ist die Zuordnungsentscheidung zeitnah, d.h. spätestens im Rahmen der Jahressteuererklärung zu dokumentieren (BFH, Urteil vom 07.07.2011, V R 42/09, BStBl 2014 II S. 76; Abschn. 15.2c Abs. 16 Satz 5 UStAE). Die Zuordnungsentscheidung erfolgt rechtzeitig, wenn sie bis zum 31. Juli des Folgejahres gegenüber dem Finanzamt kommuniziert wird. Die Zuordnungsfrist wird als Ausschlussfrist angesehen. Eine Verlängerung der Abgabefrist für die Umsatzsteuerjahreserklärung ist für die Zuordnungsfrist unbeachtlich. Besteht ein Zuordnungswahlrecht und wird die Zuordnungsentscheidung dem Finanzamt erst nach Ablauf der Zuordnungsfrist mitgeteilt, wird bei fehlenden Beweisanzeichen die Zuordnung zum Unternehmensvermögen nicht vermutet (Abschn. 15.2c Abs. 18 Satz 4, Abs. 19 Satz 2 UStAE) und damit der Vorsteuerabzug ausgeschlossen.

In der Rechtssache Gmina Ryjewo hat der EuGH indes entschieden, dass eine juristische Person des Öffentlichen Rechts eine nachträgliche Zuordnungsentscheidung treffen kann, wenn es bei Bezug der Eingangsleistung an einer ausdrücklichen Zuordnungsentscheidung fehlt (EuGH, Urt. v. 25.07. 2018, C-140/17, Gmina Ryjewo). Vor diesem Hintergrund sah es der BFH als klärungsbedürftig an, ob die von ihm entwickelten Grundsätze zur Ausübung des Zuordnungswahlrechts im Rahmen der festen Zuordnungsfrist unionsrechtsmäßig sind.

Sachverhalt

Dem Vorabentscheidungsverfahren liegen zwei Sachverhalte zugrunde.

Im ersten Fall ließ ein Gerüstbauunternehmer ein Einfamilienhaus errichten, in dem ein Arbeitszimmer vorgesehen war, das er unternehmerisch nutzen wollte (BFH XI R 3/19). Den Vorsteuerabzug machte er erstmals in der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2015 geltend, die er im September 2016 abgab.

Im zweiten Fall ließ der Kläger im Jahr 2014 auf seinem Wohnhaus eine Photovoltaikanlage installieren (BFH XI R 7/19). Den Strom verbrauchte er teilweise selbst, teilweise verkaufte er ihn an Energieversorger. Ende Februar 2016 reichte er die Jahreserklärung für 2104 beim Finanzamt ein. Darin machte er erstmalig die Abzüge geltend, die im Wesentlichen die Vorsteuer über die Lieferung und Installation der Photovoltaikanlage betrafen.

In beiden Fällen versagte das Finanzamt den jeweiligen Vorsteuerabzug mit der Begründung, dass die Zuordnungsentscheidung nach dem Ablauf der Zuordnungsfrist gegenüber dem Finanzamt erklärt wurde. Die Einspruchs- und Klageverfahren in erster Instanz blieben ohne Erfolg. Daraufhin legten die Kläger Revision ein.

Vorlagefragen

 BFH legte dem EuGH die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vor:

  1. Steht Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 167 MwStSystRL einer nationalen Rechtsprechung entgegen, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug in den Fällen, in denen ein Zuordnungswahlrecht beim Leistungsbezug besteht, ausgeschlossen ist, wenn bis zum Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist für die Umsatzsteuer-Jahreserklärung keine für die Finanzbehörden erkennbare Zuordnungsentscheidung abgegeben wurde?
  2. Steht Art. 168 Buchst. a MwStSystRL einer nationalen Rechtsprechung entgegen, nach der eine Zuordnung zum privaten Bereich unterstellt wird beziehungsweise eine dahingehende Vermutung besteht, wenn keine (ausreichenden) Indizien für eine unternehmerische Zuordnung vorliegen?

Entscheidung

Nach dem EuGH sind die in Frage stehenden festen Zuordnungsfristen nicht grundsätzlich unionsrechtswidrig. Der EuGH stellt klar, dass die Zuordnungsentscheidung als solche eine materielle Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist, die Dokumentation und fristgerechte Mitteilung dieser Entscheidung gegenüber der Finanzverwaltung aber eine rein formelle Voraussetzung darstellt. Ein Verstoß gegen die Dokumentationsfrist allein kann daher grundsätzlich nicht zum Verlust des Rechts auf Vorsteuerabzug führen. Die Zuordnungsfrist kann nach dem EuGH zur Wahrung der Rechtssicherheit gerechtfertigt sein, da ein Fehlen jeglicher zeitlichen Beschränkungen diesem Grundsatz widerspricht. Ob die feste Zuordnungsfrist in diesem Sinne verhältnismäßig ist, hat das vorlegende Gericht zu prüfen.

Anmerkung

 Ausgehend von der Interpretation der EuGH Entscheidung Gmina Ryjewo (EuGH, Urt. v. 25.07.2018, C-140/17, Gmina Ryjewo), sowie den Ausführungen des Generalanwalts in der vorliegenden Rechtssache, überrascht die Entscheidung des EuGH, der die generelle Vereinbarkeit der nationalen Ausschlussfrist für die Zuordnungsentscheidung mit dem Unionsrecht grundsätzlich bestätigt. Die Prüfung, ob die Ausschlussfrist selbst verhältnismäßig ist, überlässt der EuGH dem vorlegenden Gericht. Der BFH wird insbesondere prüfen müssen, ob mildere, gleich geeignete Mittel in Betracht kommen, die den Steuerpflichtigen weniger beeinträchtigen als die vollständige Versagung des Vorsteuerabzugs bei nicht fristgemäßer Mitteilung der Zuordnungsentscheidung.

Daraus folgt, dass die Zuordnungsentscheidung weiterhin vor dem Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist für die Umsatzsteuerjahreserklärung dem Finanzamt mitgeteilt werden muss, solange keine gegenteilige höchstrichterliche Nachfolgeentscheidung ergeht. Besteht ein Zuordnungswahlrecht, ergeben sich für Steuerpflichtige vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils keine Änderungen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Mitteilung der Zuordnungsentscheidung gegenüber dem Finanzamt bleibt der 31. Juli des Folgejahres gemäß § 149 Abs. 2 Satz 1 AO.

Betroffene Normen​

Art. 167, 168 Buchst. a MwStSystRL; § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG

Fundstellen

EuGH, Urteil vom 14.10.2021, C 45/20 und C 46/20
BFH, Beschluss vom 18.09.2019, XI R 3/19 und XI R 7/19
Finanzgericht Sachsen, Urteil vom 19.03.2018, 5 K 249/18
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12.09.2018, 14 K 1538/17

Ihre Ansprechpartner

Dr. Ulrich Grünwald
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ugruenwald@deloitte.de
Tel.: +49 30 25468 258

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