Zurück zur Übersicht
17.06.2020
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Vorlage zu den Rechtsfolgen der umsatzsteuerlichen Organschaft

Die Inanspruchnahme des Organträgers für die Steuerschuld der Organschaft steht unionsrechtlich auf dem Prüfstand.

Hintergrund

Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer finanziellen Eingliederung bei einer umsatzsteuerlichen Organschaft sind höchstrichterlich nicht abschließend geklärt. Während der XI. Senat des BFH es für zweifelhaft hält, ob das für das Vorliegen der finanziellen Eingliederung geforderte Über- und Unterordnungsverhältnis unionsrechtskonform ist, fordert der V. Senat weiterhin, trotz der aktuellen EuGH Rechtsprechung Larentia + Minerva (EuGH vom 16.07.2015 – C 108/14 und 109/14), eine Mehrheitsbeteiligung mit entsprechend mehrheitlichen Stimmrechten.

Neben der Klärung der Frage, ob die Eingliederung mit Durchgriffsrechten aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Missbräuchen unionsrechtlichen Maßstäben entspricht, hat der EuGH mit dem anhängigen Verfahren darüber hinaus Gelegenheit, sich zu den Rechtsfolgen der umsatzsteuerlichen Organschaft zu äußern. Denn fraglich ist, ob die Inanspruchnahme des Organträgers für die Steuerschuld der Organschaft unionsrechtskonform ist, oder ob nicht die Mitglieder der Organschaft als Gruppe in Anspruch genommen werden müssen.

Sachverhalt und finanzgerichtliche Entscheidung

Streitig ist das Bestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft zwischen einer GmbH als Organgesellschaft und einer Gesellschaft A als Organträgerin. Die Gesellschaft A war zu 51% und die Gesellschaft C zu 49% an der GmbH beteiligt, wobei A und C gleichberechtigt jeweils 7 Stimmen in der Gesellschafterversammlung hatten. In allen 3 Gesellschaften war E alleiniger Geschäftsführer.

Das FA verneinte die finanzielle Eingliederung, da die nach nationalem Recht erforderliche Stimmrechtsmehrheit nicht vorlag, während das FG unter Rückgriff auf das EuGH-Urteil Larentia + Minerva (C-108/14) die umsatzsteuerliche Organschaft bejahte. Selbst wenn der Mehrheitsgesellschafter nur über 50% der Stimmrechte verfügt, ergibt sich die für das Vorliegen eines Über-und Unterordnungsverhältnisses zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft erforderliche Durchgriffsmöglichkeit allein schon aus der Identität des Geschäftsführers E in den Gesellschaften. Nach Ansicht des FG darf das Erfordernis eines Über- und Unterordnungsverhältnisses nur für Ausnahmefälle verlangt werden, um die Ziele der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung der Steuerhinterziehung oder –umgehung zu erreichen.

Vorlagefragen des BFH

Ebenso wie das FG hält der XI. Senat des BFH es für zweifelhaft, ob das vom V. Senat angenommene Über- und Unterordnungsverhältnis aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Missbräuchen sowie Steuerhinterziehung und –umgehungen erforderlich ist. Des Weiteren hält der XI. Senat es für möglich, dass die Inanspruchnahme des Organträgers für die Steuerschuld der Organschaft mit dem Unionsrecht nicht in Einklang steht. Er legt dem EuGH daher folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

  1. Sind Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG dahingehend auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat gestatten, anstelle der Mehrwertsteuergruppe (des Organkreises) ein Mitglied der Mehrwertsteuergruppe (den Organträger) zum Steuerpflichtigen zu bestimmen?
  2. Falls die Frage 1 verneint wird: Sind Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG insoweit berufbar?
  3. Ist bei der nach Rz 46 des EuGH-Urteils Larentia + Minerva (EU:C:2015:496, Rz 44 f.) vorzunehmenden Prüfung, ob das in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG enthaltene Erfordernis der finanziellen Eingliederung eine zulässige Maßnahme darstellt, die für die Erreichung der Ziele der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung erforderlich und geeignet ist, ein strenger oder ein großzügiger Maßstab anzulegen?
  4. Sind Art. 4 Abs. 1, Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG dahingehend auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat gestatten, im Wege der Typisierung eine Person als nicht selbständig i.S. des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG anzusehen, wenn sie in der Weise finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines anderen Unternehmers (Organträgers) eingegliedert ist, dass der Organträger seinen Willen bei der Person durchsetzen und dadurch eine abweichende Willensbildung bei der Person verhindern kann?

Anmerkung

In seinem Beschluss betont der BFH, dass unionsrechtlich Steuerpflichtiger und Steuerschuldner die MwSt-Gruppe (nach nationalem Recht der Organkreis) ist und nicht ein Mitglied der MwSt-Gruppe (nach nationalem Recht der Organträger). Nach deutschem Umsatzsteuerrecht, dessen Wortlaut von der unionsrechtlichen Grundlage abweicht, werden jegliche Umsätze der Organgesellschaft einschließlich der Verwirklichung der Entnahmetatbestände und der übrigen Umsätze dem Organträger zugerechnet. Der Organträger ist Schuldner der auf diese Umsätze entfallenden Umsatzsteuer.

Der EuGH hat damit erstmals die Gelegenheit zu prüfen, ob die Steuerschuldnerschaft des Organträgers gegen Unionsrecht verstößt. Die Anrufung des EuGH anstatt des Großen Senats erscheint vorliegend überraschend. Denn letztlich war zu entscheiden, ob an der bisherigen Auslegung des nationalen Rechts festzuhalten ist, oder ob es ausnahmsweise bei einer ansonsten bestehenden Mehrheitsbeteiligung auch genügt, dass dem Mehrheitsgesellschafter lediglich 50% der Stimmrechte zustehen. Eine Zuständigkeit des EuGH über divergierende Auffassungen zwischen zwei Senaten hinsichtlich der Auslegung des nationalen Rechts zu entscheiden, besteht nicht. Sollte der EuGH die Vorlagefrage zur Entscheidung annehmen und tatsächlich zum Ergebnis gelangen, dass die nationale Rechtsfolge, nach der der Organträger und nicht die MwSt-Gruppe Steuerschuldner ist, unionsrechtswidrig ist, wären die nationalen Auswirkungen erheblich.

Betroffene Norm

§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG

Vorinstanz

Finanzgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 06.02.2018, 4 K 35/17, EFG 2018, S. 1138 und MwStR 2018, S. 846

Fundstellen

BFH, Beschluss  (EuGH-Vorlage) vom 11.12.2019,  XI R 16/18

Weitere Fundstellen

EuGH, Urteile vom 16.07.2015, C-108/14 und C-109/14, MwStR 2015, S. 583
Grünwald, MwStR 2020, S. 447
Reiß, UR 2020, S. 338

Ihre Ansprechpartner

Dr. Diana-C. Kurtz
Senior Manager

dkurtz@deloitte.de
Tel.: +49 89 29036 8025

Annett Penner
Senior Manager

apenner@deloitte.de
Tel.: +49 511 3023 4192

Ihre Ansprechpartner

Dr. Diana-C. Kurtz
Senior Manager

dkurtz@deloitte.de
Tel.: +49 89 29036 8025

Annett Penner
Senior Manager

apenner@deloitte.de
Tel.: +49 511 3023 4192

So werden Sie regelmäßig informiert:
Artikel teilen:
Diese Webseite verwendet Cookies, um Ihnen einen bedarfsgerechteren Service bereitstellen zu können. Indem Sie ohne Veränderungen Ihrer Standard-Browser-Einstellung weiterhin diese Seite besuchen, erklären Sie sich mit unserer Verwendung von Cookies einverstanden. Möchten Sie mehr Informationen zu den von uns verwendeten Cookies erhalten und erfahren, wie Sie den Einsatz unserer Cookies unterbinden können, lesen Sie bitte unsere Cookie Notice.