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28.10.2021
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Minderung der Bemessungsgrundlage bei freiwilliger Rabattgewährung

Eine Rabattgewährung durch ein Pharmaunternehmen aufgrund gesetzlicher Verpflichtung führt zur Minderung der Bemessungsgrundlage. Gilt das auch für Preisnachlässe, die aufgrund vertraglicher Verpflichtung gewährt werden?

Hintergrund

Nach ständiger Rechtsprechung führt ein Rabatt, den ein leistender Unternehmer aufgrund gesetzlicher Vorschriften an einen Dritten gewährt, zur Minderung der Bemessungsgrundlage beim leistenden Unternehmer. Das hat der EuGH bereits 2017 zur Rabattgewährung eines pharmazeutischen Unternehmens an einen privaten Krankenversicherer nach § 1 AMRabG entschieden (EuGH, Urteil vom 20.12.2017, C-462/16, Boehringer Ingelheim Pharma, siehe Deloitte Tax-News). Trotz der umfassenden Judikatur des EuGH (siehe Deloitte Tax-News) zur Minderung der Bemessungsgrundlage war bislang ungeklärt, ob diese Grundsätze auch für Rabatte gelten, die aufgrund vertraglicher Verpflichtung gezahlt werden.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine ungarische Tochtergesellschaft eines Pharmaunternehmens. Sie vertreibt Arzneimittel über Großhändler an Apotheken. Der Vertrieb der Arzneimittel wurde vom ungarischen Krankenversicherungsträger bezuschusst. Die Apotheke verkauften die Arzneien an die versicherten Endabnehmer. Die Versicherten zahlten den Apotheken die Differenz zwischen dem Preis des Arzneimittels und dem vom Krankenversicherungsträger an die Apotheken gezahlten Zuschussbetrag. Auf Grundlage privatrechtlicher Verträge leistete die Klägerin an den Krankenversicherungsträger Zahlungen, die von den Einnahmen aus dem Verkauf der Arzneimittel abgezogen wurden. Die Klägerin verfügte über keine Rechnungen über die an den Krankenversicherungsträger geleisteten Zahlungen.

Unter Berufung auf die Zahlungen an den Krankenversicherungsträger minderte die Klägerin den zu entrichtenden Umsatzsteuerbetrag. Die ungarischen Steuerbehörden versagten die nachträgliche Minderung der Bemessungsgrundlage.

Dagegen wandte sich die Klägerin vor dem vorlegenden ungarischen Gerichtshof. Dieser sah es als klärungsbedürftig an, ob die in der Rechtssache Boehringer Ingelheim Pharma (C‑462/16) begründeten Grundsätze zur Minderung der Bemessungsgrundlage auch gelten, wenn der Preisnachlass nicht von Gesetzes wegen, sondern aufgrund vertraglicher Verpflichtung gewährt wird.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass die Versagung der Minderung der Bemessungsgrundlage im Fall der Gewährung eines Preisnachlasses auf vertraglicher Grundlage unionsrechtswidrig ist. Zudem setzt die Minderung der Bemessungsgrundlage nach dem EuGH keine Rechnung voraus, wenn die Durchführung der Leistungen auf andere Weise nachgewiesen ist.

Begründung

Unter Anwendung der in der Rechtssache Boehringer Ingelheim Pharma (C-462/16) entwickelten Grundsätze bejaht der EuGH das Vorliegen eines Preisnachlasses i.S.d Art. 90 Abs. MwStSystRL. Der Umstand, dass die Zahlungen des Pharmaunternehmens an den staatlichen Krankenversicherungsträger aus vertraglicher Verpflichtung erfolgten, rechtfertigt nach dem EuGH keine abweichende Beurteilung. Dies folgt aus dem eindeutigen Wortlaut der Norm. Art. 90 Abs.1 MwStSystRL eröffnet den Mitgliedstaaten zwar einen gewissen Gestaltungsspielraum bei der Festlegung der Maßnahmen zur Bestimmung des Minderungsbetrages. Liegen die Voraussetzungen des Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL jedoch vor, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, dem Steuerpflichtigen ein Recht zur Minderung der Bemessungsgrundlage einzuräumen.

Im Hinblick auf die formellen Voraussetzungen, die der Steuerpflichtige zur Ausübung des Rechts auf Minderung der Bemessungsgrundlage erfüllen muss, führt der EuGH seine bisherige Rechtsprechung zum Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten fort (EuGH, Urteil vom 11. Juni 2020, SCT, C‑146/19). Die Grundsätze der Neutralität und der Verhältnismäßigkeit sind zu wahren. Ist der Steuerpflichtige nicht im Besitz einer Rechnung, kann er den zur Minderung berechtigenden Umsatz aber anderweitig nachweisen, ist ihm der Alternativnachweis zu ermöglichen.

Anmerkung

Erneut bestätigt der EuGH seine bereits in der Rechtssache Elida-Gibbs, EuGH Urt. vom 24.10.1994, C-317/94, aufgestellten Grundsätze zur Bestimmung der Besteuerungsgrundlage im Rahmen der Gewährung von Rabatten. Die für (pharmazeutische) Unternehmen vorteilhafte Rechtsprechung, da sich deren Steuerlast deutlich verringern wird, wird weiter ausgedehnt. Diesmal auf eine Mehrparteien-Konstellation, bei der die Gewährung des Rabatts nicht gesetzlich vorgeschrieben (vgl. hierzu C-462/16) ist, sondern auf vertraglicher Vereinbarung beruht. Das eröffnet vielen Steuerpflichtigen neue Handlungsmöglichkeiten im Bereich der Rabattierung. Denn die aufgestellten Grundsätze sind nicht auf pharmazeutische Unternehmen beschränkt. Im Einzelnen bedeutet das: Nach Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Steuerbemessungsgrundlage zu mindern, wenn der Steuerpflichtige nach der Bewirkung eines Umsatzes die Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält.

Der Anwendungsbereich des Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL ist jedoch nicht auf Preisnachlässe beschränkt, die sich aus gesetzlicher Verpflichtung ergeben. Die gesetzliche Verpflichtung ist kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der unionsrechtlichen Vorschrift. Es kommt nur darauf an, dass der Steuerpflichtige nicht die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon erhält. So verfügt im vorliegenden Sachverhalt Boehringer nicht über die gesamte Gegenleistung für die verkauften Arzneimittel, sondern nach Abzug der an den staatlichen Krankenversicherungsträger geleisteten Zahlungen nur über einen Teil des von den Großhändlern, an die sie ihre Arzneimittel verkauft hat, gezahlten Endbetrags. Aufgrund dessen ist von einem Preisnachlass für diese Arzneimittel nach der Bewirkung des Umsatzes auszugehen.

Im Hinblick auf den zu führenden Nachweis und die Frage des Erfordernisses einer Rechnung, ist diese nach dem EuGH nicht zwingend erforderlich. Ist es dem Steuerpflichtigen unmöglich oder übermäßig erschwert eine Rechnung zu erhalten, gebieten es die Grundsätze der Neutralität und der Verhältnismäßigkeit, dass der Steuerpflichtige mit anderen Mitteln nachweist, dass der Umsatz, der zur Minderung der Bemessungsgrundlage berechtigt, tatsächlich bewirkt worden ist. Zur Vermeidung von Diskussionen mit der Finanzverwaltung empfiehlt es sich jedoch weiterhin, den Nachweis durch eine Rechnung zu führen.

Betroffene Normen

Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL (§ 17 Abs. 1 UStG); Art. 273 MwStSystRL

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 06.10.2021, C-717/19

Ihre Ansprechpartner

Dr. Ulrich Grünwald
Partner

ugruenwald@deloitte.de
Tel.: +49 30 25468 258

Dr. Diana-C. Kurtz
Senior Manager

dkurtz@deloitte.de
Tel.: +49 89 29036 8025

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